In der Hoffnung auf eine neue popkulturelle Revolution
Hans Platzgumer: „What Goes Up Must Come Down – Kleine Geschichte der Popmusik"
Annette Raschner ·
Mai 2025 · Literatur
„What goes up must come down, Spinnin’ Wheel got to go ‘round“, sang die Band Blood, Sweat & Tears 1968 in ihrem Hit „Spinning Wheel“. Das Rad des Lebens, es dreht sich ununterbrochen, besonders schnell aber in der Popmusik. Mit „What Goes Up Must Come Down“ hat der Schriftsteller und Musiker Hans Platzgumer nun eine kleine Geschichte der Popmusik geschrieben. Parallel zur Buchpublikation ist unter dem Titel „Favorite Record“ auch ein neues Album seiner Band Convertible erschienen. Annette Raschner hat mit Hans Platzgumer das folgende Gespräch geführt.
Annette Raschner: Sie haben diesen literarischen Essay nicht aus der Warte des Fans, sondern des Insiders geschrieben. Wobei Sie sich darin als einen Popsonderling beschreiben. Wie meinen Sie das?
Hans Platzgumer: Ich war immer schon einer der vielen Sonderlinge in diesem Kosmos, weil es mich mehr interessiert hat, neue Grenzen auszuloten, als das zu wiederholen, was es schon gab. Das haben auch andere gemacht, und um die geht es in diesem Buch. Es ist kein enzyklopädisches, sondern ein launisches Werk, wie der Pop in sich auch launisch ist, was er auch sein darf.
Das Energiefeld des Pop
Raschner: Der Titel bezieht sich auf den Song „Spinning Wheel“ von Blood, Sweat & Tears. Warum haben Sie ihn gewählt?
Platzgumer: Als Schriftsteller und Musiker hatte ich schon länger die Idee für einen Essay über Popmusik, aber ich fand lange nicht den richtigen Zugang. Dann kam ich auf die erwähnte Textzeile, und das war für mich die Initialzündung. Sie ist das Sinnbild für das, worum es im Pop geht. Man möchte möglichst rasch hoch hinauf und fällt dann oft recht früh ziemlich tief auf die Schnauze. In diesem Energiefeld spielt sich der Pop ab. In dem Größenwahn, der Euphorie und dem Zerschmettern, wenn es nicht mehr funktioniert. Das Rad des Pop wirft die Leute, die ganz oben waren, rasant wieder ab. Aber auch das, was Pop erschafft, wird teilweise in extrem kurzer Zeit wieder abgeschafft und durch etwas Neues ersetzt. Das ist zugleich das Spannende, woraus wir viel lernen und ableiten können für andere gesellschaftliche Bereiche.
Raschner: „Pop lebt vom Momentum, Pop zelebriert den Augenblick. Im Pop gibt es kein Davor und kein Danach“, schreiben Sie in Ihrem Buch, in dem sie neben süffigen Anekdoten auch die Geschichte Ihrer musikalischen Karriere erzählen. 1989 sind Sie mit dem Bassisten Frank Pümpel nach New York gezogen, um die Grungeband H. P. Zinker zu gründen. „Alle waren außer sich“, konstatieren Sie. Sie auch?
Platzgumer: Ich ganz besonders. Es gibt Räume und Zeiten, wo sich spezielle Energiefelder aufbauen. Das war damals in den 1980er Jahren in New York der Fall. Und zufällig war ich gerade dort. Ich bin unbedarft reingerutscht und irgendwann auch wieder raus.
Raschner: Wie blicken Sie auf diese Zeit zurück? Nostalgisch, sentimental oder erleichtert, das Ganze überlebt zu haben?
Platzgumer: Ich denke, es ist eine Mischung aus allem. Nostalgie versuche ich in meinem Leben grundsätzlich nicht aufkommen zu lassen, ich habe auch keine Zeit dafür. Aber natürlich war diese Zeit für meine persönliche Entwicklung maßgeblich. Ich bekam eine riesige Dosis Lebenserfahrung sowie Glück und Unglück zugleich. Aber: Je ne regrette rien.
Der Urgedanke des Pop
Raschner: Sie hatten damals das Gefühl, dass die Rockmusik ihren Reiz verloren hatte und der Rock ‘n‘ Roll in einer Sackgasse angelangt war. Was haben Sie stattdessen gesucht?
Platzgumer: Es ging um Provokation und um die Ablehnung des Etablierten. Das war damals die angloamerikanische Rockmusik mitsamt der Industrie, die um sie herum entstanden war und die alles geglättet und kommerzialisiert hat. Punk hat uns seit dem Ende der 70er Jahre gelehrt, frisch an die Sache heranzugehen. Das ist der Urgedanke des Pop, der auch heute noch wichtig wäre: Die Abenteuerlust, um ins Unbekannte vorzudringen. Sonst braucht es die Popmusik nicht mehr. Spannend wird es erst, wenn man versucht, etwas zu machen, was es bislang noch nicht in der Form gegeben hat. Es hat weniger mit Reflexion zu tun als mit Intuition und Energie. Wenn die aufhören, hört auch der Pop auf.
Raschner: Sie verleihen auch Ihrer Sorge um die Zukunft der Popmusik Ausdruck. Als Motor von so vielem scheint der Pop ins Stocken geraten zu sein?
Platzgumer: Ja, Pop in einer großen Bewegung wie in den 60er, 70er, 80er und 90er Jahren ist derzeit nicht mehr auszumachen. Die Digitalisierung, die Profitgier und der Neoliberalismus im Allgemeinen haben der Popmusik zu stark zugesetzt. Es liegt an jedem von uns, sowohl an den Konsumierenden wie den Produzierenden, sich davon wieder freizustrampeln und neue Räume zu schaffen, wo Pop wieder leben und Kraft gewinnen kann.
Pop als gesellschaftlicher Motor
Raschner: Weil es ihn so notwendig braucht?!
Platzgumer: Es braucht ihn hundertprozentig. Alle gesellschaftlichen Entwicklungen, die wir im letzten halben Jahrhundert durchgemacht haben, hin zu einer liberaleren Gesellschaft, sind von der Popmusik begleitet oder angetrieben worden; vom Rock ‘n‘ Roll in den 50ern, der Beatmusik in den 60ern, über Reggae und Disco, die sehr viel zur sexuellen Befreiung beigetragen haben. Auch der Feminismus war immer popmusikalisch begleitet. Die bunte Gesellschaft, die wir geworden sind, verdanken wir der Popmusik. Gerade jetzt, wo alles reaktionärer wird, hätten wir sie wieder bitter nötig, damit wir nicht wieder in die dunklen Zeiten zurückfallen. Es muss doch eine andere Richtung geben als das Gestern. Im Moment sind die sozialen Medien das größte Gift unserer Gesellschaft. Dieses Gift ist in die tiefsten Schichten unserer Emotionen und Gedanken eingedrungen. Das wieder rauszubekommen, ist ein riesiges Problem.
Raschner: Sie klingen sehr kulturpessimistisch …
Platzgumer: Das bietet sich natürlich an, aber das Tröstliche ist für mich, dass Pop immer bewiesen hat, dass er zu einer kompletten Überraschung bereit ist. Seine Sache ist die Unvorhersehbarkeit. Vielleicht steht gerade eine neue popkulturelle Revolution an, von der wir noch nichts ahnen. Ich hoffe darauf, dass die Gesetze neu geschrieben werden.
Annette Raschner ist Redakteurin im ORF-Landesstudio Vorarlberg.
Dieser Artikel ist bereits in der Print-Ausgabe der KULTUR Mai 2025 erschienen. Hier geht es zum E-Paper.
Hans Platzgumer: What Goes Up Must Come Down – Kleine Geschichte der Popmusik (inklusive Playlist mit 55 Songtiteln). bahoe books, Wien 2025, 180 Seiten, Hardcover mit Goldleineneinband, ISBN 978-3-903478-41-1, € 24
Buchpräsentation und Konzert mit Convertible, Mod. Wolfgang Paterno
Fr, 23.5., 20 Uhr
Theater Kosmos, Bregenz
www.theaterkosmos.at