How Noisy Are The Rooms? – Kühne/Lanz/Vogel: Tühü Peter Füssl · Mai 2025 · CD-Tipp
Sobald man das zweite Album von How Noisy Are The Rooms? (HNATR?) auf den Plattenteller gelegt und in Rotation versetzt hat, gibt es zwei Möglichkeiten. Man kann versuchen, dieses Bombardement auf den Gehörsinn, dieses lustvolle Infragestellen der Hörgewohnheiten rational zu erfassen, zu analysieren und in den kleinen grauen Zellen des akustischen Erinnerungsspeichers verzweifelt nach irgendwelchen Referenzgrößen zu suchen. Das macht ein paar Stücke lang Spaß, man droht dann aber relativ rasch in einer mentalen Endlosschleife verloren zu gehen, was schnurstracks zur zweiten Möglichkeit führt: Sich vorbehaltlos in den orkanartigen Soundschnipseldschungel hineinfallen lassen, um das „postmusikalische Wimmelbild“, wie es im Label-Text treffend heißt, staunend zu genießen.
45 Minuten lang. Die deutsche Vokalartistin Almut Kühne spielt – jenseits von allem, was üblicherweise irgendwie als Gesang durchginge – genussvoll das unglaublich reichhaltige Repertoire ihrer Stimmbänder aus: Gesangsschnipsel, Sprachfetzen, Kakophonisches, an Tierlaute Erinnerndes, Alltagsgeräusche Imitierendes, Stöhnen, Trillern, Kreischen – in etwa jegliche Lautäußerung, die man für möglich oder unmöglich hält. Der wie Kühne in Berlin lebende Schweizer Turntablist, Noise-Musiker und Aktionskünstler Joke Lanz antwortet mit einem Staccato an Sound-Fragmenten, Laut-Fetzen und Störgeräuschen, die er aus den Plattenspielern zaubert. Drummer Alfred Vogel hält mit einem ganzen Arsenal an Perkussionsinstrumenten alles zusammen und liefert dem Ohr Orientierungspunkte, an denen man das gleichermaßen faszinierende wie herausfordernde musikalische Geschehen irgendwie festmachen kann.
Auch auf die Gefahr hin, beim nächsten Trommelschlag in den musikalischen Outer Space geschickt zu werden. Wenig verwunderlich passen die in vier Stücke eingebauten Texte der exzentrischen, deutschen Dada-Dichterin, Bildhauerin, Rezitatorin und Performance-Künstlerin Baroness Elsa von Freytag-Loringhoven (1874-1927), die in den 1920-er Jahren die Avantgarde-Szene in New York und Paris um schillernde Aspekte bereicherte, perfekt ins für alles Außergewöhnliche offene Konzept des Trios. Dasselbe gilt auch für die experimentelle New Yorker Vokalistin, Komponistin und mit dem John Zorn-Clan durch zahlreiche Projekte eng verbandelte Shelley Hirsch, die auf zwei Stücken zusätzliche Vocals beisteuert. „Besonders erwähnt werden soll, dass hier absolut ohne digitalen Trick und Track, Effekte oder elektronische Klangerzeuger gearbeitet wird. Das ganze Universum von HNATR? basiert auf analogen Soundquellen, die da schlicht und einfach wären: Die menschliche Stimme, Vinyl, Schlagwerk und allerlei Percussion“, wird im Begleittext ausdrücklich festgehalten. Am besten überzeugt man sich bei den heurigen Bezau Beatz (7.-11. August) selbst davon, denn bei diesem auf Extraordinäres spezialisierten Festival schlug vor sechs Jahren die Geburtsstunde des Trios.
(Boomslang Records/Galileo Music)
Dieser Artikel ist bereits in der Print-Ausgabe der „KULTUR" Mai 2025 erschienen. Hier geht es zum E-Paper.