Große Wirkkräfte und Gegensätze
Standing Ovations für die Chorakademie Vorarlberg unter der Leitung von Markus Landerer
Silvia Thurner · Jän 2024 · Musik

Den 200. Geburtstag von Anton Bruckner feierte die Chorakademie Vorarlberg unter der Leitung von Markus Landerer mit der Messe Nr. 2 in e-Moll (WAB 27). Die Anforderungen an die Chorsänger:innen waren dabei außerordentlich groß, denn zahlreiche Passagen sind achtstimmig gesetzt. Die melodischen Linien werden in hohen Lagen über lange Phrasierungsbögen hinweg geführt und komplizierte chromatische Verflechtungen verlangen eine genaue Abstimmung mit dem Bläserensemble. Nicht weniger forderte das Gloria von John Rutter. Höchst motiviert sangen und spielten bei der Sonntagsmatinee in der Kapelle der Stella Privathochschule alle Mitwirkenden zusammen und stellten beeindruckende Werkdeutungen in den Raum.

Die Musik von Anton Bruckner erfordert einen spezifischen Zugang zur musikalischen Ausgestaltung. Der Kirchenmusiker und Komponist „baute“ seine zweite Messe aus kleinen Motiven auf und kombinierte darin die Klarheit der Renaissancemusik mit der melodisch-harmonischen Tonsprache des 19. Jahrhunderts. Auf Solist:innen und eine Streicherbesetzung verzichtete Bruckner. So erhalten der über weite Strecken a cappella geführte Chor sowie ein 15-köpfiges Bläserensemble anspruchsvollste musikalisch-interpretatorische Aufgaben.

Ausgewogene Stimmführungen

Bereits im Kyrie kamen die Qualitäten der Chorakademie Vorarlberg zur Geltung. In einem schön geführten Piano verflochten die Sänger:innen die chromatisch geführten melodischen Bögen mit teilweise überraschenden harmonischen Wendungen transparent und aufeinander bedacht. Die sparsamen Linien des Bläserensembles boten dabei eine willkommene intonatorische Hilfe. Im Gloria traten die Holzbläser:innen und das Horn in den Klangvordergrund und zelebrierten eindrucksvolle Wechselspiele zwischen dem Instrumental- und dem Vokalpart. Besonders in Erinnerung blieb das vielschichtig ausgeformte „Amen“.
Dramatisch in seinem drängenden Duktus wurde der erste Teil des Credos in den Raum gestellt. Umso größer war sodann die transzendierende Wirkung in der totalen Zurücknahme des a cappella geführten Chores. Das hohe Niveau und die gute Klangbalance aller vier Stimmlagen verströmte eine große musikalische Aussagekraft. Detailreich machte der dritte Credo-Teil Bruckners Kompositionsart nachvollziehbar. Die Sänger:innen und Musiker:innen errichteten aus Motivbausteinen musikalische Klangtürme und führten den musikalischen Fluss in gut ‚ausgehörten‘ harmonischen Verhältnissen in ein vielsagendes Crescendo. Auch hier unterstrichen die kurzen Töne auf dem „Amen“ die religiöse Aussage markant. 
Sensibel geformt erklang das Sanctus, in dem die Tonbewegungen des Chores vom Bläserklang übernommen, weitergetragen und wieder herausgeführt wurden. Eine große Erwartungshaltung baute sich im Benedictus auf, als die Sänger:innen mit weicher Tongebung von den symbolisch nach unten geführten Tonlinien der Bläser:innen getragen wurden. Die bogenförmige Anlage des abschließenden Agnus Dei entfalteten der Chor und das Bläserensemble mit plastisch modellierten Gegensätzen und Steigerungen. Besondere Anforderungen stellten die langen Linien und die hoch gesetzten Frauenstimmen, die mit bewundernswerter Kraftanstrengung bewältigt wurden. 
Die engagierte Werkdeutung der Vorarlberger Chorakademie verdient höchste Bewunderung. Wagemut lohnt sich! Die Musiker:innen der Sinfonietta Vorarlberg spielten mit großer Aussagekraft und unterstützten den Chor in mehrerlei Hinsicht. Das Bläserensemble in der ungewöhnlichen Brucknermesse bot einen farbenreichen „Unterbau“. Gleichzeitig wirkten die Musiker:innen in den exponierten melodischen Abschnitten spielfreudig und präsent. Auch das Gloria von John Rutter musizierte die Sinfonietta Vorarlberg engagiert, flexibel und in einer guten Korrespondenz mit dem Chor.

Ein Monolith und Zeitgeistiges

Bruckners zweiter Messe stellte die Chorakademie Vorarlberg John Rutters „Gloria“ zur Seite. In Kombination miteinander gehört, ließen die Werke im Hinblick auf die sich aufbäumenden Klangtürme und die schubartigen musikalischen Schichten aufhorchen. In typisch britischem Klanggewand und modernen Rhythmisierungen schrieb John Rutter das Werk im Jahr 1974. Ruhe und Energie, Anrufungen und in sich gekehrtes Gebet wurden in illustrativen Klangbildern dargestellt. 
Die musikalische Deutung wirkte zwar eindrucksvoll, doch der kompositorische Gehalt war eher bescheiden, besonders im Vergleich zur Wirkmacht der Musik von Anton Bruckner. Am meisten störte jedoch die „Diskrepanz“ zwischen dem lateinischen Text und der melodisch-rhythmischen Konzeption der Musik. Offensichtlich zeigte sich diese auch in der wenig textdeutlichen Aussprache der sonst so gut artikulierenden Sänger:innen der Chorakademie.
Markus Landerer leitete den Chor und die Sinfonietta Vorarlberg souverän. Auch in diesem Jahr motivierte er alle Mitwirkenden zu Höchstleistungen und bescherte dem Publikum spannende musikalische Erfahrungen. Zudem führte er die Zuhörenden mit seinem klugen Vortrag in die Spezialitäten der Kompositionen von Bruckner und Rutter ein und verstärkte mit seinen Worten die Intensität des musikalischen Erlebnisses.

https://www.chorakademievorarlberg.at/

 

 

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