Grenzüberschreitend: Schweizer Kulturpreis für Jüdisches Museum Hohenems
Goldiga Törgga geht nach Hohenems
Anita Grüneis · Nov 2024 · Aktuell

Bei der diesjährigen Verleihung des „Goldiga Törgga“ gab es viele Neues. Zum ersten Mal wurde der mit 15.000 Franken dotierte Schweizer Kulturpreis nicht an eine Einzelperson, sondern an eine Institution vergeben und zum ersten Mal geschah dies grenzüberschreitend. „Das Jüdische Museum Hohenems (JMH) wurde ausgezeichnet für seine kluge und mutige Ausstellungs- und Vermittlungstätigkeit zu Themen, die unsere Gesellschaft kontrovers diskutiert: Flucht, Migration, Identität, Krieg, Nahostkonflikt und das interreligiöse Zusammenleben. Davon profitiert das St. Galler Rheintal konstant“, so die Begründung der Jury.

„Die im JMH verhandelten Themen gehen alle an. Das Jüdische Museum ist Inspiration und Bereicherung für die Rheintaler Museumslandschaft. Die kompetente Institution ist wichtiger und prägender Teil der Kulturregion Rheintal, sie bietet Orientierung und Hintergrundwissen zu brisanten Fragen der Zeit und inspiriert mit seiner überzeugenden Vermittlungspraxis“, sagte die Präsidentin der Rheintaler Kulturstiftung Dr. Christa Köppel bei der Feier im Kino Madlen in Heerbrugg. Des Weiteren meinte sie, der Preis sei auch eine Anerkennung der länderverbindenden Aktivitäten. So ist für den Sommer 2025 eine Sonderausstellung „Gemeinsam erinnern im Rheintal“ im Museum Prestegg in Altstätten geplant, die das Geschehen im St. Galler Rheintal zwischen 1938 und 1945 thematisiert. Diese Ausstellung wird vom Direktor des JMH Hanno Loewy und seinem Team mitkuratiert. 

Ein Spazierstock für Hanno Loewy

Seit über 20 Jahren leitet Hanno Loewy, studierter Literatur-, Theater- und Filmwissenschaftler, das Jüdische Museum Hohenems. Er nahm an diesem Abend den Preis in Empfang und dankte dabei vor allem seinem Team. Doch mit dem Preis allein war es nicht getan. Christa Köppel hatte eine kleine Überraschung für Hanno Loewy parat. Sie überreichte zur Auszeichnung für das Museum auch einen speziellen Spazierstock. Er gehörte einst dem St. Galler Polizeikommandanten Paul Grüninger, der 1938 hunderten österreichischen Juden zur Flucht in die Schweiz verholfen hatte und deswegen unehrenhaft entlassen worden war. Seine Tochter hatte verfügt, dass dieser Spazierstock an Hanno Loewy übergeben werden solle. Ein sehr berührender Moment während dieser Feier, nicht nur Hanno Loewy war den Tränen nahe.

Ein Jüdisches Museum und SS-Lieder

Von weit her kam Laudator Milo Rau, seit 2023 Intendant der Wiener Festwochen, der derzeit auf einer Debattentour mit Namen „Resistance Now“ unterwegs ist. Um nach Hohenems zu gelangen, hatte er in den letzten 24 Stunden vier Grenzen gekreuzt: Die tschechische, die österreichische, die deutsche und schließlich die Schweizer Grenze. „Eine Orgie der Grenzüberschreitungen“, meinte er schmunzelnd und führte weiter aus, dass auch der Weg von Hanno Loewy nach Hohenems eine Geschichte der Grenzüberschreitungen war, „auch zwischen den Wissenschaften und Medien“. In seiner Lobrede ging er auf die aktuelle Politik ein und meinte: „Als ich nach Hohenems und dann hierher ins Rheintal fuhr, über vier Grenzen hinweg, fragte ich mich deshalb: Was bedeutet es, in einem Land, in dem Abgeordnete der stärksten Partei in der Wahlnacht SS-Lieder singen, in denen Zeilen wie: ,Gebt Gas, Ihr Germanen, wir schaffen die siebte Million‘, vorkommen, ein jüdisches Museum zu leiten?“ Milo Rau meinte weiter, die Antwort läge in einer radikalen Mehrdeutigkeit. „Jede Ausstellung des Jüdischen Museums war und ist eine Provokation, und zwar im Hinblick auf das, von dem man sich vorstellt, dass es zusammengehört, oder eben nicht: Juden und Araber, Israeli und Palästinenser, gute und böse Menschen, Antisemiten und Juden, Fluchthelfer und Flüchtlinge, Grenzpolizisten und Gutmenschen und hier im Grenzbereich eben auch ganz schlicht: Österreicher, Deutsche, Schweizer und Menschen aus über hundert Ländern, die hier leben und genauso viele gute wie schreckliche Gründe hatten, hierher zu kommen.“ Zum Abschluss meinte er, dass auch der „Türgga“ eine Pflanze sei, die ihre Fluchterfahrung habe, die in die Schweiz emigriert oder vielmehr entführt worden sei.

Rücktritte in der Rheintaler Kulturstiftung

Die weiteren Neuigkeiten betrafen an diesem Abend die Rheintaler Kulturstiftung selbst, in der es einige Änderungen geben wird: Nach je 13 Jahre Mitgliedschaft treten die beiden Stiftungsratsmitglieder Hans-Peter Enderli und Ursula Badrutt Schoch per Ende des Jahres zurück und auch die Präsidentin selbst, Christa Köppel wird die Stiftung verlassen. Ihr Amt wird die bisherige Beisitzerin Shaleen Mastroberardino, Gemeindepräsidentin Berneck übernehmen. Natürlich ging die Bekanntgabe des Rücktritts der Präsidentin an diesem Abend nicht ohne Lobreden vonstatten. Reto Friedauer, Gemeindepräsident von St. Margrethen und der Rheintaler Unternehmer Karl Stadler dankte ihr für ihre Arbeit und meinten unter anderem: „Die Rheintaler Kulturstiftung hat sich unter ihrer Leitung zu einem Erfolgsmodell entwickelt, so gab es beispielsweise 2023 neunzig Gesuche.“ Der Preis habe eine Strahlkraft gewonnen. Beide Laudatoren dankten Christa Köppel für ihr „mitreißendes Engagement und die manchmal notwendige Prise Sturheit“. Auch die allererste Preisträgerin des „Goldiga Törgga“, Jolanda Spirig, lobte sie und überreichte der scheidenden Präsidentin eine „Special-Edition“ des Preises. 
Die Veranstaltung wurde musikalisch begleitet vom Ostschweizer Duo Karl Kave & Durian. Der Balgacher Carlo Reinolter sorgte für die zündende Elektronik und der Thurgauer Andrin Uetz setzte mit seiner Stimme einen kräftigen Gegenpol. Es tönte ein bisschen nach Tom Schilling und seinem Major Tom – aber nicht völlig losgelöst, sondern gut gemischt mit Dark Wave und viel rauchiger Power.

https://rheintalerkulturstiftung.ch/auszeichnungen/
https://www.jm-hohenems.at/

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