Geniale Provokation!
„Alles normal“ – ein Salon d‘amour Stück am Dornbirner Spielboden
Dagmar Ullmann-Bautz · Dez 2023 · Theater

Beinahe schon zur Normalität gehörend wie das alljährliche Weihnachtsfest, feierte das aktionstheater ensemble auch heuer wieder eine Uraufführung am Dornbirner Spielboden. Und wie jedes Jahr erwartete das Publikum eine schonungslose und bis zum Äußersten getriebene Abrechnung mit dem, was sich in unserem Land ereignet. Dabei ist Grubers Idee, das neueste Stück im Rahmen eines "Salon d'amour" zu präsentieren, voll und ganz aufgegangen. Die Bosheit und Schärfe der Texte und Szenen treffen in diesem locker-flockigen Ambiente noch gnadenloser ins Herz. Grubers Spezialität, die Gratwanderung zwischen dem Tanz auf des Messers Schneide und erbarmungslosem, anarchistischem Humor, hat er mit "Alles normal" erneut eindrucksvoll unter Beweis gestellt.

Geheimtipp „Salon d‘amour“

Schon vor rund 20 Jahren haben Martin Gruber und Martin Ojster die Politik- und Kunstlounge „Salon d‘amour“ ins Leben gerufen – ein Format, das auf einer unverwechselbaren Mischung aus scharfen politischen Statements, Literatur, hintergründigen Texten und viel Musik basiert. Ursprünglich im Bregenzer Magazin 4 stattfindend, avancierte das Format rasch zum Geheimtipp und für viele zum Fixpunkt im jährlichen Kulturprogramm. Doch wie viele andere Veranstaltungsreihen wurde auch diese durch Corona schmerzhaft unterbrochen.

Heftige Seitenhiebe mit süßem Lächeln

Als im Juli in der österreichischen Politikszene eine wahrlich unselige Diskussion über den Begriff „normal“ entbrannte, nahm sich das aktionstheater ensemble dies „ganz persönlich und ganz normal“ zum Anlass für ihr aktuelles Stück. Wenn Babett Arens als erfrischend souveräne Moderatorin einen bunten Abend verspricht und charmant heftige Seitenhiebe mit süßem Lächeln verteilt, beginnt „Alles normal“ ganz harmlos. Doch aufgepasst, im Verlauf der kommenden 75 Minuten entwickelt sich das Geschehen von abgründig komisch zu immer tragischer, trauriger und brutaler.

Wunderbare fantasievolle Figuren

Es sind dann die großartigen Künstler:innen, die den Abend trotz des großen Schmerzes so genussvoll machen. Von Anfang an fesseln Videos von Resa Lut den Blick auf die auf drei Seiten gespannten Leinwände. Die kunterbunt zusammengesetzten Menschenpaare erinnern an das Blätterkarussell, das Spiel, bei dem Kopf, Körper und Gliedmaßen verdeckt gezeichnet wurden und dabei die wunderbarsten fantasievollsten Figuren entstanden sind. Liebliche Landschaften werden gestört durch oft so sinnentleerte Werbesprüche wie "Weil ich ein Mädchen bin" und vieles mehr, spannend gemixt mit Live-Mitschnitten vom Selfie-Wahn, den die großartige Isabella Jeschke den ganzen Abend hindurch exzessiv zelebriert. Sie ist es auch, die sich nicht mit den ungustiösen politischen Themen abgeben mag, stattdessen lieber der Schönheit huldigt und dann aber begierig filmt, wenn sich Kolleg:innen raufend am Boden wälzen.

Fanatisch, extrovertiert, erschütternd

Man wagt kaum zu atmen, während Michaela Bilgeri fanatisch und hemmungslos ihre drei Sterne beim Cooking-Game erkämpft oder einen Festzelt-Kellnerinnen-Marathon der Sonderklasse sprintet. Und immer ist es ihr fanatischer Gesichtsausdruck, der einfach nur beeindruckt. Beinahe herzzerreißend ist der Erklärungskampf von Thomas Kolle um die Penisgröße, die das männliche Publikum summend unterstützen darf. Kolle brilliert wieder einmal in seiner Darstellung von extrovertierter Selbstverliebtheit. Je länger der Abend dauert, umso tiefer und schmerzhafter werden die Statements. Monica Anna Cammerlander, die auch das Cello spielt, entführt eindrucksvoll und erschütternd in die machtausübenden hierarchischen Strukturen der Kunst- und Kulturszene. Zeynep Alan plaudert ganz glücklich und zufrieden von ihrer hellen Haut, die ihr gerade nach der nächsten Wahl von großem Vorteil sein wird, wenn sie dann vorher noch ihren Namen ändert. Als sie dann mit eisverschmiertem Gesicht einfach nur dasteht und schaut, braucht sie keinen Text mehr, um enorm zu beeindrucken.

Musikalische Highlights

Tamara Stern überzeugt erneut mit ihrem herrlich trockenen Humor, wenn sie über eine operative Penisverlängerung doziert, die mit einem beispielhaft ausgestreckten rechten Arm aller Schauspieler:innen endet. Sie begeistert auch singend mit ihrer wunderbaren Stimme als Mitglied des eigens zusammengestellten Salon-Orchesters mit Lisa Lurger, Monica Anna Cammerlander, Atanas Dinovsky, Daniel Neuhauser, Gidon Oechsner und Daniel Schober. Mit Musik vom Feinsten setzen sie weitere Highlights in diesen grausig schönen und mitreißenden Abend. Auf die Spitze treibt es die Band mit Leonard Cohens wunderschönem und so traurigem Lied „Take this Waltz“, während über ihnen Herbert K….´s Sager endlos über die Leinwände läuft: „Es wird Verletzungen und Verwundungen geben – es wird ein anderer Wind wehen in diesem Land“.

Tief ins Mark

Und auch Autor und Slamer Elias Hirschl setzt Glanzpunkte in diesem faszinierenden Konglomerat kreativer Auseinandersetzungen. Seine reduzierten, trocken vorgetragenen Texte einer Bestandsaufnahme der „österreichischen Normalität“ treffen ganz tief ins Mark.
Man muss es einfach sagen, Martin Gruber hat nicht nur mit den Künstler:innen auf der Bühne, sondern mit Dramaturg Martin Ojster und Ausstatterin Valerie Lutz auch hinter ihr ein ganz großartiges, eingespieltes Team.
Wieder einmal möchte man nach dem begeisterten Schlussapplaus nicht aufstehen, sondern die Atmosphäre auf sich wirken lassen, die Eindrücke verarbeiten und sich langsam auf die nächste Uraufführung freuen. Wer es diese Woche in Dornbirn verpasst hat – vom 13. bis 20. Januar besteht die Möglichkeit, „Alles normal“ im Theater am Werk in Wien zu sehen.

https://aktionstheater.at/

Teilen: Facebook · E-Mail