Gefühle des Lebens
Grandioses Saisonfinale des Symphonieorchesters Vorarlberg unter Leo McFall
Fritz Jurmann · Mai 2025 · Musik

Nach sechs Abokonzerten und einer Oper war am Wochenende mit zwei Aufführungen in Feldkirch und Bregenz Saisonschluss beim SOV. Im ausverkauften Bregenzer Festspielhaus warb der neue SOV-Geschäftsführer Gerald Mair vorab für das dieser Tage erscheinende Saisonprogramm seines Orchesters für 2025/26 und um die Verlängerung der Abonnements. Noch viel wirkungsvoller als seine sympathische Vorstellung freilich war das praktische Beispiel, die enorme Leistung, mit der das Orchester gerade bei dieser Gelegenheit Mairs Argumente untermauerte und damit das Finale der Konzertreihe zu einem beeindruckenden Glanzstück großer Orchesterpräsenz hochschraubte.

Und weil gerade derzeit, neben Papstwahl und Song Contest, auch viel die Rede ist vom Gedenken an das Ende des Zweiten Weltkrieges vor 80 Jahren, wird Ihrem Berichterstatter als Zeitzeugen beim nostalgischen Blick zurück gerade in solchen Momenten wieder bewusst, dass es in Vorarlberg in diesem Zeitraum über zwei Jahrzehnte lang kein eigenes professionelles Orchester gab. Das 1945 gegründete Vorarlberger Funkorchester, das den ersten Kulturhunger der Bevölkerung nach dem Krieg auf seine besondere Art stillte, wurde 1959 aufgelöst, weil das Land die Gehälter der Musiker:innen eines österreichischen Rundfunks nicht mehr berappen wollte. Vorarlberg – ein Land ohne Orchester. Dass in Sparzeiten wie diesen angesichts derzeit sinkender Abonnent:innenzahlen dieses Szenario eines „Landes ohne Orchester“ wieder Realität werden könnte, wagt derzeit kaum jemand anzudenken. Erst 1984 wurde dann das heutige Symphonieorchester Vorarlberg aus der Taufe gehoben, das der heimische Dirigent Christoph Eberle ab 1988 als Chef fast 20 Jahre lang zu ersten beachtlichen Erfolgen führte.

Staunen und Bewunderung

Doch die Entwicklung ging weiter, und was daraus geworden ist, erlebt man heute mit zunehmendem Staunen und großer Bewunderung. Da überrascht einen dieses SOV, wie es heute mit einem gängigen Kürzel genannt wird, als professionell geführtes Projektorchester alle paar Wochen mit neuen Programmen, die oft der Quadratur des Kreises gleichen. Weil sie nämlich mit immer neuen Ideen für ständigen Fluss, Abwechslung und Spannung sorgen, ohne dass die Konzertbesucher:innen dabei auf ihre geliebten Ohrwürmer der Klassik und Romantik zu verzichten bräuchten. Die gesunde Mischung macht’s eben, wie im gepflegten Restaurant. 
Angerichtet ist auch diesmal – auf ganz besondere Weise. Das SOV ist nochmals in der größtmöglichen Besetzung von über 90 Musiker:innen angetreten, darunter ein Wald von allein 60 Streicher:innem. Das ist erforderlich für die beiden gewaltigen Kolosse des Repertoires, mit denen der Abend eingeleitet und abschlossen wird. Und es ist auch das ideale Instrument für einen kundigen Dirigenten wie Leo McFall, der auch den Abschluss der Saison selbstbestimmt zur Chefsache machen will und das auch mit glänzender Überzeugungskraft und feinem Gespür tut. Und sich darin auch ideal verwirklichen kann. Schon kurze Zeit nach seiner Bestellung 2020 ist er mit seinem Orchester eins geworden, bestimmt die Programmauswahl mit und ist im entscheidenden Moment des Konzertes auch bei schwierigen und heiklen Aufgaben wie gerade in diesem Konzert eine sichere Bank, ein Fels in der Brandung der Gefühle des Lebens.
 
Programm der Spätromantik

Das ist auch gleich so etwas wie das ungeschriebene Motto dieses letzten Aboprogramms mit Musik der Spätromantik des beginnenden 20. Jahrhunderts, das drei recht unterschiedliche Werke inhaltlich miteinander verbindet. Die üppige Suite aus der Erfolgsoper „Der Rosenkavalier“ von Richard Strauss und die klanglich auftrumpfenden Symphonischen Tänze op. 45 von Sergei Rachmaninow nehmen sieben zarte Lieder von Alban Berg wie beschützend in ihre Mitte. Überall bilden Emotionen die Grundlage für eine oft ausufernde, meist höchst fantasievolle musikalische Ausdeutung. 
Beim „Rosenkavalier“ ist es formal gesehen eigentlich keine Suite, weil es keine Sätze gibt, sondern ein Potpourri, das 1945 entstanden ist, aber auch keine einfache Aneinanderreihung der populärsten Melodien aus der Oper enthält. Vielmehr werden darin einzelne Figuren und Begebenheiten wie die berühmte „Überreichung der silbernen Rose“, bei der das Orchester klanglich zu glitzern beginnt, mehrfach angespielt, ebenso auch die genialen Walzerthemen, mit denen Richard die Eingebungen seines Fast-Namensvetters Johann aus Wien frech aufmöbeln und pseudo-wienerisch ins neue Jahrhundert hinüberführen wollte. So erlebt man ein Stück Oper einmal ganz ohne Gesang und dennoch mit Wiedererkennungs-Effekt der bekannten Themen, legt dabei die Strukturen dieser Musik frei in ihrer genialen Instrumentation und der packenden Handschrift von Strauss. Die SOV-Musiker:innen und ihr Chef spielen diese Klänge leidenschaftlich, mit viel schwelgerischem Impetus und eben – Gefühl, wie es in dieser Opernhandlung ja auf verschiedenen Ebenen reichlich zu finden ist.

Die Welt Alban Bergs

Erstaunlich dann die Wandlungsfähigkeit des Orchesters, das in reduzierter Besetzung die Welt des jungen Alban Berg spiegelt. Seine „Sieben frühen Lieder“ sind kostbarer Ausdruck einer frühen Liebesbeziehung, die schwärmerisch, mit aller Vorsicht im Zwiespalt der Gefühle verharrt. Hier bildet das Orchester in einer Mischung aus Spätromantik und beginnender Atonalität aus der Schule von Bergs Lehrer Arnold Schönberg eine überaus zarte, oft geradezu zerbrechliche Basis für die Gesangsstimme, die der hier bereits bekannten irischen Sängerin Paula Murrihy anvertraut ist. Ihr warm getönter Mezzo passt wunderbar zur verhaltenen Stimmung dieser Lieder, die sie mit feiner Zurückhaltung und inniger Pianokultur erfüllt. 
Nach der Pause geht es für das nun wieder 90-köpfige Orchester wieder zu handfesterem Repertoire, den Symphonischen Tänzen Rachmaninows, dem letzten vollendeten Werk des Komponisten, das als Summe seines Lebens und Schaffens, auch seiner Gefühlswelt, eingestuft wird. Dennoch sind seine ursprünglichen autobiographischen Überschriften der drei Sätze allgemeineren Bezeichnungen gewichen, und insgesamt ist in diesem Werk voll Lebendigkeit und rhythmischem Temperament nichts von der Elegie eines „Schwanengesangs“ zu spüren, im Gegenteil. Das SOV nutzt die Gelegenheit, dieses tolle, vielfarbig schillernde Orchesterporträt in aller Brillanz, im Glanz des Blechs, mit dem quirligen Holz und der kompakten Intensität des Streicherapparates vorzuführen, garniert mit eloquenten Soloeinwürfen von Konzertmeisterin Michaela Girardi. So lange, bis ein Tamtam, ein großer Gong, lange nachklingend wie eine Totenglocke, dem funkensprühenden Spektakel des Finalsatzes ein Ende macht. Langanhaltender, dankbarer Beifall.

Tipp:
nachzuhören im Radio: Mo, 14. und Mo, 21.7., 21 Uhr, Radio Vorarlberg
Bregenzer Festspiele: Orchestermatinee des SOV, So, 17.8., 11 Uhr, Festspielhaus, Bregenz  

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