Fuchsthone Orchestra: „Structures & Beauty“ Peter Füssl · Aug 2023 · CD-Tipp

Hört man zum ersten Mal die acht zwischen siebeneinhalb und knapp achtzehn Minuten langen Kompositionen, die je zur Hälfte von Christina Fuchs und Caroline Thon stammen, ist man geflasht von dieser völlig unkonventionellen musikalischen Achterbahnfahrt: dieser Spaß am Experiment und an starken Kontrasten, diese unvorhersehbaren Brüche und Wendungen, dieses lustvolle Konstruieren, Dekonstruieren und Rekonstruieren, diese Vielzahl an Stimmungen und Soundfarben bis hin zum Geräuschhaften, diese kraftvollen jazzorchestralen Klänge, detailreichen Erkundungen in kleineren Formationen und ausdrucksstarken solistischen Highlights!

Die beide auch als Saxophonistinnen bekannt gewordenen Bandleaderinnen verfügen über reichlich Erfahrungen mit großen Ensembles – Fuchs mit dem United Women’s Orchestra, der NDR Bigband und der WDR Big Band, Thon mit ihrem Thoneline Orchestra –, als sie vor fünf Jahren erstmals gut zwei Dutzend exzellenter Musikerinnen und Musiker in den Kölner Stadtgarten riefen. Dort wird bis heute dieses Genregrenzen sprengende work in progress permanent weiterentwickelt, das nun vorliegende Debütalbum „Structures & Beauty“ gilt als eine Art Zwischenbilanz. Fuchs und Thon wollen ihr musikalisches Schaffen aber auch als gesellschaftspolitische Statements verstanden wissen, mit denen sie die wichtigen, mitunter auch brennenden Themen der Zeit aufgreifen. So ließen sie sich von buddhistischen Denkern ebenso inspirieren wie vom römischen Dichter und Philosophen Lukrez, von Jean-Paul Sartres Drama „Geschlossene Gesellschaft“ („Die Hölle, das sind die anderen.“) ebenso wie von Greta Thunbergs berühmtem „Blah, blah, blah!“-Sager – bei den Lyrics lässt die aus Bregenz stammende, in Köln lebende Filippa Gojo alle Facetten ihrer breit aufgestellten, eindrucksvollen Vokalartistik aufleuchten. Auch die bereits in die Kompositionsprozesse miteinbezogene Elektronikerin Eva Pöpplein leistet durchgängig einen wesentlichen Beitrag zu den höchst willkommenen Attacken auf die üblichen Hörgewohnheiten. Einflüsse gibt es viele und höchst unterschiedliche. So wird der virtuose Barock-Geiger und Komponist Johann Georg Pisendel ebenso mit einer Komposition bedacht wie der französische Nouveau Réalisme-Künstler Yves Klein und sein epochales Gemälde „Monochrome Bleu“. Die wendige Pianistin Laia Genc legt oftmals den roten Faden durch die faszinierenden musikalischen Labyrinthe, Drummer Jens Düppe und Bassist Alex Morsey schaffen die zumeist treibende rhythmische Basis für ein gutes Dutzend exzellenter Solist:innen und deren atemberaubende Improvisationen. Der permanente Wechsel zwischen fein inszenierten, subtilen Interaktionen und sich oftmals wuchtig ins Dramatische steigernden Orchesterpassagen ergibt in Summe ganz großes, opulentes Kino für die Ohren. Ein komplexes und herausforderndes Vergnügen, das man stundenlang analysieren könnte, das sich aber ganz einfach auch mit großem Staunen genießen lässt.

(enja)

Dieser Artikel ist bereits in der Print-Ausgabe der KULTUR September 2023 erschienen.

Konzert-Tipp: 21.9. Spielboden Dornbirn

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