Frenetischer Jubel bei den Bregenzer Meisterkonzerten
Die Violinistin Lisa Batiashvili und das Chamber Orchestra of Europe mit Robin Ticciati am Pult setzten die Liebe und die Freiheitsliebe wunderbar in Szene
Silvia Thurner · Apr 2023 · Musik

Ein Meisterkonzert im wahrsten Sinne des Wortes erlebten die Konzertbesucher:innen im Bregenzer Festspielhaus. Die zugleich energiegeladen und in sich ruhend wirkende Violinistin Lisa Batiashvili versetzte das Publikum mit ihrer Deutung des Beethoven-Violinkonzerts in Jubelstimmung. An ihrer Seite spielte das Chamber Orchestra of Europa unter der feinfühligen und eleganten Leitung von Robin Ticciati. In der zweiten Konzerthälfte präsentierte das Orchester eine anregende imaginäre Schauspielmusik. Teile aus Beethovens „Egmont“, op. 84 sowie Kompositionen von Jörg Widmann und Hector Berlioz verkörperten gegensätzliche emotionale Gestalten der Liebe eindrucksvoll.

Lisa Batiashvili und das Chamber Orchestra of Europa unter der Leitung von Robin Ticciati füllten das Beethoven Violinkonzert mit derart viel Emotion, mitreißender Musikalität sowie feinsinnigen Dialogen zwischen der Solistin und dem Orchester aus, dass das Hörerlebnis nur mit Superlativen beschrieben werden kann.
Mit einem strahlend offenen Geigenton, der über alle Tonhöhenregister hinweg ebenmäßig und brillant wirkte, musizierte Lisa Batiashvili. Viel könnte über Verbindungslinien zum Orchester, über programmatisch wirkende, immer wiederkehrende Motivgestalten sowie Tonwiederholungen, die zu wüsten Trillerketten mutierten, berichtet werden. Besonders in den Kadenzen spielte die Solistin ihre individuelle Art der Tongestaltung intensiv und kraftvoll aus. Sie entwickelte die Phrasen nie mit vordergründiger Virtuosität, sondern ganz aus den kompositorischen Wesensmerkmalen heraus.
Robin Ticciati agierte als Vermittler zwischen der Solistin und dem Orchester. In einem ständigen Geben und Nehmen entfalteten sich vielgestaltige Dialoge mit der Solistin und zwischen den Orchesterstimmen.
Das Beethoven Violinkonzert war innerhalb von 10 Tagen zweimal im Festspielhaus zu hören. Zuerst mit dem Symphonieorchester Vorarlberg und dem Solisten Alexander Janiczek, der zugleich auch als Orchesterleiter fungierte. Selbstverständlich gab diese zeitliche Nähe Anlass zu Interpretationsvergleichen. Es bestätigte sich der Eindruck, dass ein Violinkonzert dieses Formats ohne Dirigenten nicht zufriedenstellend aufgeführt werden kann. Denn die Kommunikation zwischen dem Solo- und dem Orchesterpart sind essentielle Wesensmerkmale des Beethoven-Violinkonzerts.

Musikalisch erlebte Gegensatzpaare

Programmatisch vielschichtig führte das Chamber Orchestra of Europa die emotionale Musik des Violinkonzerts im zweiten Konzertteil weiter. Für Kompositionen von Jörg Widmann und Hector Berlioz bildete Beethovens Trauerspiel „Egmont“, op. 84, in dem die Unterdrückung sowie der Drang nach Freiheit thematisiert werden, den Rahmen. Die politische Botschaft dieser Musik wirkte vielsagend und darüber hinaus wurden die unterschiedlichen Gesichter der Liebe eindrücklich erlebbar.
Hervorragend gestaltete das Orchester den Übergang von Beethoven zu Widmanns „Liebeslied“ für acht Instrumente. Viel Perkussion sowie Klavier, Streicher:innen und Holzbläser:innen öffneten zuerst einen fahlen Klangraum und füllten diesen mit eruptiven Klangballungen aus. Immer wieder wurden Tonsäulen von unten nach oben geschraubt. Ein Abschnitt wirkte regelrecht beengend, indem das Tam-Tam massiv abgedämpft erklang und Luftgeräusche sich scheinbar nicht in Töne weiterentwickeln konnten. Dass die Liebe auch dunkle Seiten haben kann, war in diesen Passagen fast körperlich spürbar.
Widmanns „Liebeslied“ stand die „Scene d’amour“ aus „Romeo und Juliet“ von Hector Berlioz gegenüber. Hier bildete das Chamber Orchestra of Europa die innige Leichtigkeit und Leidenschaft der Gefühle mit einem zart schmelzenden Gesamtklang ab und brachte die vollkommen andere „Temperatur“ der Szene hervorragend zur Geltung. Schließlich mündete der dramaturgische Verlauf in der berühmten „Egmont“-Ouvertüre, indem in einem energetischen Fluss das Aufbegehren und schließlich die Freiheit fulminant ausgedeutet wurden.
Robin Ticciati leitete die Orchestermitglieder mit genauer Diktion und tänzerischem Körpereinsatz. Er war ganz bei den aufmerksam spielenden Musiker:innen, sodass das Orchester wie ein organisch gestaltender Klangkörper agierte.

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