Fouad Boussouf beim „Bregenzer Frühling“: Im Zeichen des Feuers
Mit „Fêu“ präsentierte Fouad Boussouf sein tranceartiges Stück zwischen archaischem Ritual und Breakdance
Peter Füssl · Mär 2024 · Tanz

Nach dem begeisternden Auftakt, den Angelin Preljocaj, der Direktor des Centre Choréographique National (CNN) d’Aix-en-Provence, mit seiner Compagnie dem „Bregenzer Frühling“ beschert hatte, war am zweiten Abend dieser Saison sein Kollege Fouad Boussouf von Le Phare, dem CNN Le Havre in der Normandie mit einer österreichischen Erstaufführung zu Gast. Zu seinem 2023 uraufgeführten Stück „Fêu“ ließ sich der ursprünglich vom Breakdance herkommende Choreograph und Tänzer von den starken Frauenfiguren seiner Kindheit in Marokko, von seiner Mutter und von seinen Tanten, inspirieren, aber auch von den unterschiedlichen Benefits und Gefahren des Feuers, dem als Urgewalt eine zentrale Bedeutung für die Menschheit zukommt. Eine Stunde lang bewegten sich zehn exzellente Tänzerinnen in verschiedensten Variationen im Kreis rund um ein imaginäres Feuer – und sie wurden selber zum Feuer. Ein eindrucksvolles Wechselspiel aus Wildheit, Konzentration, Ausgelassenheit, Erschöpfung und Ekstase.

Aus dem Dunkeln ans Licht ...

Die Performance beginnt mit einem gleißend hellen Lichtpunkt in der Mitte der Bühne, der das Feuer symbolisieren soll. Aus der ihn umgebenden Dunkelheit schälen sich zehn bedächtig schreitende Frauenfiguren in unterschiedlich langen, luftigen, in Rot- und Brauntönen gehaltenen Kleidern und Hosen heraus. Man hört sie schon gehen, ehe man sie richtig sieht. Dieser Lichtpunkt wird in den nächsten sechzig Minuten zum Zentrum einer endlosen Rotation, den Soundtrack dazu liefert der in der französischen Tanz-Szene vielbeschäftigte Komponist und Electronic-Spezialist François Caffenne. Anfangs klingt es wie ein dumpfer, elektronischer Herzrhythmus gepaart mit den Geräuschen knisternden Feuers. Die Frauen bewegen sich im Kreis, lassen kleinere und größere Lücken, einzelne Tänzerinnen bewegen sich aus der Reihe, forcieren den Schritt, gliedern sich wieder ein. Alles spielt sich im Halbdunkel ab. Die Bewegungen sind noch ruhig, die elektronische Kulisse wirkt aber zusehends spannungsgeladener und nimmt trancigen Charakter an. Die Schritte werden schneller. Die Tänzerinnen bewegen sich formiert im Kreis, lösen die Formation zwischendurch immer wieder auf, drehen ihre Kreise parallel zueinander in unterschiedlich großem Radius rund ums imaginäre Feuer. Sie variieren das Tempo, manche schreiten extrem langsam, während andere schnellen Schrittes an ihnen vorüberziehen. Neun Tänzerin lassen den Kreis enger und weiter werden, lockerer und dichter, während eine das Ensemble in umgekehrter Richtung umkreist. Einzelne Tänzerinnen schälen sich mit kleinen solistischen Sondereinlagen aus dem Kreisformat heraus – gehen rückwärts, drehen sich um die eigene Achse –, um sich dann wieder ins Kollektiv einzugliedern. Das Geschehen nimmt zunehmend kultischen Charakter an, wirkt wie ein Ritual, dessen Sinn sich dem Betrachter noch nicht so richtig eröffnet.

Die Dramatik wächst

Nach zehn Minuten gewinnt das Geschehen an Tempo und Dramatik. Zwei unterschiedlich große Kreise rotieren in Gegenbewegungen, die tänzerischen Gesten werden analog zur Musik ekstatischer. Zur hämmernden Perkussion erhalten erstmals die langen Haare ihren ganz speziellen Platz in der Choreographie. Die Tänzerinnen ziehen ihre Runden mit langen Schritten in einer Art hüpfendem Laufschritt, Arme und Beine fliegen hoch. Sie laufen vor- und rückwärts, vollziehen während der Umrundungen auch noch rasche Drehbewegungen um die eigene Achse. Einzelne Tänzerinnen beginnen wilde solistische Darbietungen ins kollektive Geschehen einzubauen, die sich oftmals aus dem Repertoire des Breakdance speisen, andere bleiben einfach stehen, um sich im Zeitlupentempo extrem zu verdrehen. In diesem Kollektiv finden die unterschiedlichsten individuellen Ausformungen ihren Platz und bereichern den Gesamteindruck. Die Choreographie der langen Haare wird immer eindrucksvoller. Die Tänzerinnen peitschen sie mit runden Kopfbewegungen aus dem Nacken heraus rhythmisch durch den Raum, oder lassen die lange Mähne durch rhythmisches Bücken und Strecken auf- und abtanzen. Einzelne Akteurinnen fallen erstmals in konvulsive Zuckungen.

Interessantes Bewegungsvokabular

Boussouf nutzt geschickt die unterschiedlichen Hintergründe und Ausbildungen der zehn Tänzerinnen. Manche kommen ursprünglich sichtlich vom Breakdance her, andere vom zeitgenössischen Tanz, oder aus der nordafrikanischen Tradition – wobei den tribalistischen Elemente im kultisch wirkenden Geschehen ohnehin die wichtigste Rolle zukommt.

Während weiter im Kreis gelaufen wird, treten auffallende Bewegungen der Arme und Schultern in den Vordergrund, gepaart mit den immer dramatischer durch die Luft fliegenden Haaren. Manche Tänzerinnen scheinen sich schon hypnotisch in einem tranceartigen Zustand zu bewegen, während andere noch Tempo machen. Ultracooles steht neben wahren Veitstänzen – jede Frau findet den Raum, ihre Persönlichkeit einzubringen, sich in Formationen einzugliedern und wieder herauszulösen. Die stampfenden Beine, die sich verrenkenden Köpfe und das Schleudern der Haare gewinnen auf eindrucksvolle Weise an Vehemenz. Die Frauen tanzen nicht nur mehr rund ums Feuer, sondern werden zu Feuer, zu lodernden Glutknäueln und züngelnden Flammen.

Vom Zwischenspiel ins grandiose Finale

Nach einer guten halben Stunde fällt plötzlich das transparente Netz, das bisher beinahe unsichtbar den Tanzkreis umschlossen hatte, und die Frauen – je nach Interpretationsweise – einschloss oder nach außen hin abschirmte. Das Publikum hat erstmals freie Sicht auf die nun erstarrten Tänzerinnen, die alle – heftig atmend – zu leise verebbenden Trommelschlägen die Blicke nach oben richten. Das Licht dunkelt ab, was aber wie eine finale Szene wirkt, ist tatsächlich nur ein Zwischenspiel und markiert in etwa die Halbzeit. Denn sowohl die Lautstärke der Trance-Musik, als auch die Kraft der Bewegungen nehmen wieder kontinuierlich zu. Der auf dem Bühnenboden heruntergelassene Vorhang bildet nun den Kreisrand, innerhalb dem sich die Tänzerinnen laut lachend bewegen. Erschöpfung und Ekstase scheinen zunehmend Hand in Hand zu gehen. Kultisch wirkende Tanzschritte, abrupte Breaks, enorm kraftvolle, immer deutlicher aus der Hip-Hop-Szene stammende Solo-Performances einzelner Akteurinnen wechseln sich ab. Manche geben sich betont leichtfüßig und beschwingt. Und immer noch dreht sich alles im Kreis – mal laut, mal leise, mal schnell, mal langsam, und stets unter wirkungsvollem Einsatz der wehenden Mähne.

Ein verzerrter E-Bass mischt sich lautstark ins perkussive Geschehen ein und markiert schon vom Musikalischen her eine neue Stufe in der dramatischen Entwicklung. In Reih und Glied aufgestellt, werden in gebeugter Haltung Richtung Publikum die Haare geschüttelt. Ein paar letzte Verrenkungen, und schon geht es wild im Kreis hüpfend ins lautstarke Finale. Ekstase ist angesagt, einzelnen Frauen entfahren Schreie, das gesamte Bewegungsvokabular wird nochmals mit Vollgas durchdekliniert. Tanzen in völliger Entrücktheit bis zur Erschöpfung – und völlig eins mit dem Element Feuer.

Schließlich wird der Lichtkegel wieder verkleinert, die Musik wird leiser, die Tänzerinnen bewegen sich wie ganz am Anfang im Halbdunkel im Kreis. Doch es ist ein Finale in Raten, denn zum endgültigen Abschluss wird nochmals kurz alles voll aufgedreht, und die Körper wirbeln ein letztes Mal wild durcheinander. Schließlich endet alles im totalen Dunkel, aus dem heraus die Tänzerinnen erst zaghaft und dann mit tobendem Applaus verabschiedet werden. Und auch Fouad Boussouf kommt kurz auf die Bühne, um den Erfolg zu genießen.

Weitere Termine beim „Bregenzer Frühling“ 2024
4.5.2024         Sharon Eyal/Gai Behar – L-E-V Dance Company
10.5.2024       Nadav Zelner/Crystal Pite/Ohad Naharin – Nederlands Dans Theater 2
18.5.2024       Igor Levit/Richard Siegal – Ballet of Difference
16.-25.5.2024 aktionstheater ensemble „All About Me – Kein Leben nach mir”
www.bregenzerfruehling.com

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