Finale Grande im KUB mit druckfrischem Buch von Anna Boghiguian Martina Pfeifer Steiner · Feb 2023 · Ausstellung

Begegnungen mit Anna Boghiguian sind immer eindrucksvoll und inspirierend. Gelegenheiten dazu gab es schon in Venedig bei der KUB-Jubiläumsausstellung in der Scuola di San Pasquale bei der Biennale (siehe KUB goes Biennale) und in den Sommermonaten in Bregenz, wo die Künstlerin neben dem Kunsthaus in den Atelierräumlichkeiten des Postgebäudes ihre Ausstellung vorbereitete (siehe KULTUR Oktober 22). Am letzten Tag ihrer sensationell besuchten (und deshalb verlängerten) Ausstellung sitzt sie also wieder im Kunsthaus Bregenz – beim vor dem zweiteiligen, sich leicht bewegenden Segel aufgebauten Pult – und signiert, fragt nach dem Namen, ist freundlich zum kurzen Austausch bereit.
 Zu fast jeder Ausstellung veröffentlicht das KUB ein Buch, das in enger Zusammenarbeit mit den jeweiligen Künstler:innen entsteht. Anna Boghiguians Arbeit ist dafür prädestiniert. So erlebnisreich ein Ausstellungsrundgang im KUB war, so willkommen ist nun die Möglichkeit noch einmal in Ruhe nachzulesen, nachzuschauen, nachzuforschen. Und Stoff bietet die grafisch sehr schön gestaltete Publikation ausführlichen. Mit ihren hochbrisanten, ausdrucksstarken Zeichnungen zog Anna Boghiguian die Menschen in ihren Bann. Die komplette Serie von 96 Zeichnungen findet man nun abgebildet, die drei Kapitel der Erzählung angegeben: Französische Revolution, Russische Revolution, Aribert Heim.

 Sie tanzte und tanzte und verlor ihren Kopf

 Man wollte schon in der Ausstellung Stunden damit verbringen, die Texte auf den Blättern immergleichen Formats zu entziffern, im Buch kann man sich uneingeschränkt darauf einlassen. „Manche Leute sagen, es sei so, als würde man Untertitel in einem Film lesen. Für mich ist Schreiben aber Teil des Zeichnens, deshalb verwende ich Text in den Zeichnungen. Zeichnen ist Linie und Schreiben ist Linie – und beides passt meiner Meinung nach gut zusammen.“ Das sagt Anna Boghiguian im Gespräch mit Thomas D. Trummer, das im Anhang auch auf Deutsch abgedruckt ist. So spannend zu lesen! Dieser Text gibt noch einmal einen Eindruck, wie die Künstlerin arbeitet, wie sie erstaunliche Zusammenhänge verdichtet, ihre Assoziationen zu mythologischer und historischer Narration verbindet und ins Bild setzt.
Im obersten Stockwerk des Kunsthauses sah man eine sich im Kreis drehende, verspiegelte Plattform, darüber schwebend die Guillotine, eine hallende Stimme rezitierte den von Anna Boghiguian verfassten Text. Vor Ort war dieser nicht zu verstehen, nur über QR-Code am Handy mitzulesen. Im Buch ist das selbstverständlich möglich, und genau das ergibt so eine Art poetischer Vervollkommnung der intensiven Bildgeschichten.

 Bedeutungsvolle Beziehungsstränge der Schachfiguren

Dass auch jede einzelne Figur des raumfüllenden Schachspiels dokumentiert ist, war zu erwarten. Im Buch bleibt es bei der knappen Angabe von Namen und Lebensdaten. Die kurzen Textpassagen zu den markanten Auffälligkeiten der Protagonist:innen wurden in der Ausstellung im übersichtlichen Beiblatt mitgeliefert. Natürlich bleibt der Herausgeber Thomas D. Trummer auch diese Erläuterungen nicht schuldig: Im beigelegten Extraheft zur Biennale-Ausstellung „KUB in Venice. Otobong Nkanga und Anna Boghiguian“ beschreibt der KUB-Direktor diese besonders ausführlich.
 Zurück zum Buch: Die Installation mit dem überdimensionalen Freiheitssegel im Erdgeschoß des KUB und das vielversprechende Mobile mit Elfriede Jelinek, Martin Cooper, Bill Gates ist freilich auch noch einmal im Detail zu betrachten und über die spektakuläre Herstellung, aber auch über die Bedeutung dieser künstlerischen Arbeit im schon zitierten Interview nachzulesen.
 „Period of Change“ ist ein Buch nicht nur zum interessierten Durchblättern, sondern zur vertiefenden und berührenden Beschäftigung mit Themen unserer Zeit.

Anna Boghiguian. Period of Change
Herausgegeben von Thomas D. Trummer, Kunsthaus Bregenz
Texte: Anna Boghiguian und ein Gespräch von Thomas D. Trummer mit der Künstlerin
Englisch / Deutsch, 21 × 28 cm, 208 Seiten
Kunsthaus Bregenz, Verlag der Buchhandlung König, Köln, Februar 2023