Neu in den Kinos: „Ich Capitano“ (Foto: X-Verleih)
Gunnar Landsgesell · 20. Jän 2012 · Film

J. Edgar

Clint Eastwood widmet sich nach seinem Biopic über Nelson Mandela einer weniger einladenden politischen Figur: „J. Edgar“ folgt dem berüchtigten, gänzlich uncharismatischen FBI-Chef über fünf Jahrzehnte und portraitiert in klassischem Erzählkino einen Mann, der eigene Gefühle durch penible Härte und Machtinstinkt ersetzte. Leonardo Di Caprio mimt den Mann, der nicht schwul sein durfte.

Als J. Edgar Hoovers angebetete Mutter stirbt, zieht er sich vor dem Spiegel die Kleider der Verstorbenen über, legt ihren Schmuck an und bricht weinend am Boden zusammen. Das ist nur eines der starken Affektbilder, die Regisseur Clint Eastwood und sein junger Autor Dustin Lance Black („Milk“) für einen der mächtigsten Männer der USA finden. 48 Jahre lang war Hoover FBI-Direktor, umstritten wegen seines totalitären Amtsverständnisses und berüchtigt für den von ihm errichteten Apparat, mit dessen angehäuften Informationen er wenn nötig selbst die acht US-Präsidenten seiner Ära in Schach hielt. Dennoch ließ sich der mittlerweile 81jährige Eastwood nicht dazu verleiten, ein grelles Ölgemälde der Sensationen und politischen Höhepunkte dieser Zeit anzufertigen. Die Ermordung JFKs wäre nur eines davon, Eastwood handelt es mit einem wenige Sekunden dauernden Telefonat im Flüsterton ab: „The President is dead“.

Viel Raum für Di Caprio

„J Edgar“ ist ein eher ungewöhnliches Biopic geworden. Es lässt Leonardo Di Caprio viel Raum, um eine Hauptfigur der weniger sympathischen Art mit Leben zu erfüllen. Der Hollywood-Superstar nimmt dankend an, spielt gewagte Szenen – damit sind nicht Stunts gemeint, sondern Männerküsse im US-Mainstreamkino – mit dem gleichen Ernst wie die emotionale Leere, die Hoover in diesem Film nie überwinden kann. Was die kolportierte Homosexualität Hoovers betrifft, so beutet dieser Film das potenzielle Skandalon aber keineswegs aus, sondern bringt dieses unterdrückte Gefühlsleben in einigen stillen Momenten relativ trocken ein. Ein Rendezvous des jungen Hoover mit seiner späteren, lebenslangen Sekretärin und Vertrauten (Naomi Watts) bleibt in der Library of Congress stecken, wo ein begeisterter Hoover der verblüfften Frau zuerst sein neu entwickeltes Katalog-System zeigt, um ihr dann ohne jeden Anflug von Gefühl einen Heiratsantrag zu machen. Sie lehnt ab. Er findet später einen anderen dienstbaren Geist, Clyde Tolson (Armie Hammer), den er zum Vize-Direktor macht und mit dem er auf Dienstreise das Bett teilte.

Hoovers Fassade als wesentliche Erzählebene

Vielleicht hätten sich einige mehr Kontroverse von diesem Film erwartet, eine härtere politische Kritik und klare moralische Verurteilung Hoovers, das alles bietet Eastwoods Inszenierung nur sehr verhalten. Darin könnte auch die größte Leistung dieses Films liegen: Dass er sich dafür entschieden hat, die Fassade, die Hoover zeit seines Lebens aufgebaut hat, als wesentliche Erzählebene herzunehmen, und das Privatleben weiter der Spekulation zu überlassen. Für einen Händchenhaltenden FBI-Direktor mit seinem Stellvertreter im Fonds eines Taxis oder mehrere Unterwerfungsgesten gegenüber einer übermächtigen, emotional kühlen Mutter (Judie Dench) bleibt immer noch genug Platz. Und auch so ergibt „J Edgar“ ein effizient erzähltes Stück Hollywoodkino, das es schafft, eine Zeitspanne von über vier Jahrzehnten zu so einer kompakten Erzählung zusammen zu schweißen, wie wenige andere Filme dieser Zunft. Einzige wirkliche Schwäche ist die Maske, die recht dick aufgetragen werden musste, um Di Caprio, Watts & Co in Greise zu verwandeln. Obwohl CGI bereits ganze Welten erstehen lässt, muss auf den computerisierten Alterungsprozess des Menschen noch gewartet werden.