Elina Duni: „A Time To Remember“ Peter Füssl · Jun 2023 · CD-Tipp

Der düster-nachdenkliche, von wunderschönem, melancholischem, auf- und abwogendem Piano und dezenter Gitarre untermalte und mit sehnsuchtsvollen Flügelhorn-Tönen drapierte Opener „Évasion“ ist eine Chanson-artige Eigenkomposition von Elina Duni und Rob Luft zu einem französischsprachigen Gedicht der belgisch-israelischen Lyrikerin und Holocaust-Überlebenden Esther Granek. Die aus Albanien stammende und in der Schweiz aufgewachsene, multilinguale Sängerin und der englische Gitarrist, die auch jenseits der Musik ein Paar sind und in London leben, haben für das Nachfolge-Album zum famosen, vor drei Jahren erschienenen Debüt „Lost Ships“ ihres Quartetts mit dem Drummer/Pianisten Fred Thomas und dem Flügelhornisten Matthieu Michel noch vier weitere Songs geschrieben.

Im Titelstück „A Time To Remember“ schwelgt Duni mit ihrer klaren und ausdrucksstarken Stimme in wehmütigen, poetisch verklausulierten Erinnerungen, und dort sind auch „Whispers of Water“, „Sunderland“ und das non-verbale, die Stimme auf eindrucksvolle Weise instrumental einsetzende „Dawn“ angesiedelt. Luft, Thomas und Michel schaffen farbenreich, sensibel und geschmackvoll die jeweils passende musikalische Atmosphäre, was natürlich auch für die dezenten Ethno-Charme verströmenden albanischen Traditionals gilt, die Duni auf stimmige Weise ins Jazz-Idiom übersetzt. „Hape Derën“ kramt gedankenverloren in Erinnerungen, „E Vogël“ und das aus dem Kosovo stammende „Mora Testinë“ sind fröhlich aus der Reihe tanzende Liebeslieder. In dieser Rückbesinnungs-Nische war ursprünglich ja auch Dunis Karriere-Start angesiedelt, wobei man in ihrem Fall nicht unbedingt von „back to the roots“ sprechen kann, da ihre künstlerisch aktiven Eltern im kommunistischen Albanien nichts von Volksmusik hielten und sich die Sängerin erst in der Schweiz näher mit dieser Materie zu beschäftigen begann. Auch die Auswahl der Fremdkompositionen ist wieder sehr interessant ausgefallen. Überraschte Duni vor drei Jahren noch mit einem Cover des Schmachtfetzens „I’m A Fool To Want You“, so tut sie dies nun mit einer gefühlsseligen Version von Stephen Sondheims bereits hundertfach aufgenommenem Musical-Evergreen „Send In The Clowns“ und mit dem von Bing Crosby und Frank Sinatra populär gemachten Broadway-Love-Song „I’ll Be Seeing You“ von Fain/Kahal aus den 1930-er Jahren. Letzteren interpretiert Duni äußerst feinfühlig im Duo-Format zu Rob Lufts effektvoll-zurückhaltender Saitenkunst. Besonders zu Herzen geht auch „Mallëngjimi“ des 1932 geborenen albanischen Komponisten Rashid Krasniqi, in dem sich ein Exilant mit nostalgischen Gefühlen an die Heimat erinnert. Aber auch „First Song“, das Charlie Haden und Abbey Lincoln für deren 1990-er Album „The World is Falling Down“ geschrieben hatten, macht sich Elina Duni in einer zarten Interpretation ganz zu eigen. Die 12 von den Ursprüngen her vielleicht disparat erscheinenden Songs wirken in diesen gefühlvollen, intimen und – gerade durch den Verzicht auf große Gesten – äußerst intensiven Interpretationen wie aus einem Guss und werden durch das brillante Können aller Beteiligten zu musikalischen Kleinoden verfeinert.

(ECM/Universal)

Konzert-Tipp: Elina Duni/Rob Luft werden Anfang Oktober beim Generations Jazz Festival in Frauenfeld auftreten.

Dieser Artikel ist in der Print-Ausgabe der KULTUR Juli/August 2023 erschienen.

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