Eine intensive Choreografie: Jochen Heckmanns Buch „tanzen fallen fliegen“ Anita Grüneis · Nov 2024 · Literatur,Tanz
Jochen Heckmann ist Tänzer, Choreograf und Pädagoge, und neuerdings auch Schriftsteller. Sein erster Roman „tanzen fallen fliegen“ ist eben erschienen und wurde vom TAK im Schaaner SAL mit einer Lesung und anschließendem Tanzabend vorgestellt. „I am waiting for you“ hieß die Produktion, die er gemeinsam mit Jacqueline Beck entwickelt hatte. Doch vor diesem Tanztheater hatten Interessierte die Möglichkeit, sich auf den Bucherstling von und mit Jochen Heckmann einzulassen.
„Ich lese. Sie auch?“, fragte die Schauspielerin Katja Langenbahn zu Beginn. „Und dann tanze ich vor Freude, weil mir dieses Buch so gut gefällt“, fügte sie hinzu. Es könnte sein, dass es vielen Leser:innen mit dem Buch „tanzen fallen fliegen“ von Jochen Heckmann ähnlich geht. Es ist eine autobiografische und auch etwas fiktionale Geschichte, die drei Generationen umfasst, den Großvater Egon, geboren 1901, den Vater Heiner und die Mutter Hannah, geboren 1934 und 1944 sowie den Sohn Julian, geboren 1968. Jahre, in denen auch viel in der Weltgeschichte passierte. Der Großvater erlebte zwei Kriege, der Vater einen und der Sohn die Unruhen der Nachkriegs-Generation. Stoff genug also für ein Buch. Doch nicht genug für den detailversessenen Autoren, der aus dem Inneren heraus schreibt und seine persönlichen Geschichten zu einer Wort-Choreografie zusammenfasst, die noch dazu vergnüglich zu lesen ist.
Die Leidenschaft im Tanz
„Wo die Sprache endet, beginnt der Tanz“, habe einmal jemand zu Jochen Heckmann gesagt. Mit dieser Einstellung wechselt sein Buch-Alter-Ego Julian aus der Provinz nach Paris, um Tanzen zu lernen – nicht gerade zur Freude seiner Eltern. Am 13. Juli 1989 notiert er: „Nein, ich bereue nichts. Nicht, dass ich hier gelandet bin. Nicht, dass ich Hunderte von Kilometern weit weg bin von meiner Familie, mit einer Grenze und Schlagbäumen zwischen uns. Weg von meiner Heimat, vom Deutsch-Sein. Ohne anfangs ein Wort Französisch gesprochen zu haben.“ In Paris lernt er auch die Kehrseite des Berufs kennen und die Schwierigkeit, damit Geld zu verdienen. Wie hart das Training sein kann, wird ebenfalls beschrieben: „In Windeseile bin ich umgezogen, nutze die gewonnene Zeit, um meinen Körper, mein Instrument zu stimmen. Das Aufwärmen wie ein Ritual. Am Boden auf dem Rücken liegend alle Gelenke mobilisieren. Den Asymmetrien nachspüren und unregelmäßigen Verspannungen Paroli bieten. An der einen oder anderen Stelle in der Wirbelsäule knackt es, entweicht Luft. Gleiches in den Füssen, Händen, Knien und Schultern. Ich erhebe mich und gehe zur Wand. Missbrauche die Barre als Dreh- und Angelpunkt meiner Gelenke. Hände an der Ballettstange, ein Bein obenauf, das andere am Boden verankert, leicht gebeugt. Lasse meinen Oberkörper in alle Richtungen kreisen und sich biegen. Bis zum Anschlag verdrehe und dehne ich mich. Die Augen dabei geschlossen. Es ist ein Balanceakt zwischen Schmerz und Genuss.“
Das geheimnisvolle Kästchen
Neben der Geschichte des Julian erfahren die Leser:innen auch, wie der Vater Heiner nach dem Tod seines Vaters Egon und dem Verlassenwerden von seiner Frau Hannah zurechtkommen muss, wie er ein Kästchen findet, das der Familie immer heilig war und wie er darin ein Geheimnis entdeckt. Er reist spontan nach Paris, sieht dort seinen Sohn zum ersten Mal tanzen und bekennt, dass es ihm sehr imponiere, wie dieser für etwas einstehe und seinen Weg gehe – „geradeaus und in vollem Galopp“. Vater und Sohn finden eine neue Basis für- und miteinander und fahren am 21. November 1989 gemeinsam nach Berlin. Damit beginnt für die Leserschaft ein Roadmovie der besonderen Art, denn nicht nur Vater und Sohn sind unterwegs, auch Freunde sind mit ihnen auf dem Weg nach Berlin und reisen durch ein sich veränderndes Deutschland. In Berlin angekommen, spielt das Familienkästchen seine Rolle und die Geschichte wird zu einem kleinen Krimi.
Die Liebe zwischen den Zeiten
In diesem Buch von Jochen Heckmann kommt auch die Liebe nicht zu kurz. So resümiert der Vater Heiner gegen Ende: „Sein Sohn und die Männer: Es fiel Heiner leichter als gedacht. Was hatte er denn wirklich mitbekommen? Hatte ihn etwas gestört? Es ist eine Vertrautheit, eine Verbundenheit, die einen beim Zuschauen berührt, die er wahrnimmt. Da liegt mehr Zärtlichkeit in einem Blickwechsel. In einem beiläufigen Händestreifen oder einem flüchtigen Kuss auf die Wange, als er es selbst zustande bekommen würde. Zumindest kann er sich nicht an diese Leichtigkeit und Ehrlichkeit erinnern, wenn es um ihn und Hannah ging.“ In solchen Momenten zeigt der Autor, wie sich die Zeiten und die Einstellung der Generationen zur Gesellschaft geändert haben.
Jochen Heckmann hat ein tiefsinniges und gescheites Buch geschrieben, eine große Choreografie der Generationen, der persönlichen Geschichten und der Zeitgeschichte. Bis zum Schluss hält er die Intensität, die Genauigkeit und die Spannung aufrecht. Und er beschreibt seine Grundeinstellung zum Leben, denn meistens genießt sein Julian den strengen Alltag, manchmal wird es ihm auch ein bisschen zu viel, das nennt er dann die „Rückwärtstage“. Doch er ist ein Kämpfer und gibt nicht so schnell auf: „Jeder Tag beginnt mit dem Sonnenaufgang, egal wie es mir geht, ob Wolken die Sicht auf den Himmel versperren, was alles in der Weltgeschichte passiert oder ob ganz Frankreich mal wieder streikt und der Müll sich auf den Straßen türmt. Also mache ich das Beste daraus. Und das Beste ist im Moment der Tanz.“
Das Buch sollte übrigens mal „Zwischen den Zeiten“ heißen, wie der Autor an diesem Abend verriet. Er selbst sei bereits mit einem neuen/alten Projekt beschäftigt. Vor über zehn Jahren schrieb der 56-Jährige das Kinderbuch „Traumschläfer“, das will er sich nun wieder vornehmen und vollenden. Als Tanztheater oder als Buch. Oder als beides. Denn für Jochen Heckmann gilt heute: Wo der Tanz endet, beginnt die Sprache.
Jochen Heckmann: „tanzen fliegen fallen, Querverlag, 2024, 336 Seiten, ISBN: 978-3-89656-347-7, € 18,50
https://www.choreoart.net/