Ein wildes Schlagen des Herzens
Uraufführung: „Schmerzambulanz“ nach dem Roman von Elena Messner in der Box im Landestheater
Manuela Cibulka ·
Feb 2025 · Theater
Wenn ein System leidet – an Mangelernährung, an Burnout, neurologischen, psychischen oder Stoffwechsel-Beschwerden, an kaputten Beinen oder an einem überanstrengten Herzen – passieren Fehler, und wenn Fehler passieren, leiden Menschen. Im System Krankenhaus sind von Fehlern nicht nur die Patient:innen, sondern auch alle darin Beschäftigten betroffen. Wie es von den Ärzt:innen bis zum Pflegepersonal den Mitarbeiter:innen in solchen Situationen geht, kann im Landestheater hautnah miterlebt werden.
Mit gestärkten, von der Decke baumelnde Arbeitskitteln und den typisch weißen Krankenhaus-Schuhen wird die Szenerie eröffnet. Im Dunkeln wartend erkennt man schemenhaft die Schauspieler:innen, stark geschminkt und mit bis auf die behandschuhten Hände hautfarbenen Ganzkörperanzügen ausstaffiert, puppenhaft und dem System angepasst. So beginnt der Abend und das erste Wort hat Bregenz – eingespielt im Hintergrund das Landeskrankenhaus der Hauptstadt und auf die Kittel projiziert die darin Beschäftigten. Völlig authentisch liefern sie den Einstieg mit Aussagen, woran das System, in dem das „Personal das Herz ist“, wohl erkranken könnte. Der Ansatz der Regisseurin Viola Köster, den für die Bühne adaptierten Roman „Schmerzambulanz“ in Bregenz zu verorten und regionale Aspekte in den Raum zu stellen, liefert die Basis für die Einspielungen und Projektionen, die neben der schauspielerischen Handlung einen großen Teil der Aufführung einnehmen.
Eine Patient:innen-Geschichte wie viel andere
Die Geschichte selbst basiert auf der Krankenakte der Patientin Barbara Steindl. Lediglich wegen Mangelernährung eingewiesen, verschlechtert sich deren Zustand fortwährend, bis es zum Zusammenbruch und letztlich zum Überlebenskampf auf der Intensivstation kommt. Die stationsführende Ärztin Judit Kasparek (Maria Lisa Huber) und ihr Team verfangen sich in Schuldzuweisungen, Selbstzweifel und Überforderung. Allein gelassen vom Pfleger Jovo (Suat Ünaldi), ihrer Freundin und Anästhesistin Asja (Isabella Campestrini) und ihrem Mentor Tom (Nico Raschner), beruft die Ärztin daraufhin ein Ethikkonsil ein, das den Fall aufklären und das Dilemma zwischen Rentabilität und Patient:innenwohl sowie Verantwortung in der Medizin klären soll.
In dem 2023 erschienenen, mit dem Theodor Körner Preis ausgezeichnete Roman der Kärtner Autorin Elena Messner erscheint die Erzählstimme in den unterschiedlichsten Rollen und vielleicht macht gerade dieser Kunstgriff den Stoff für das Theater so geeignet. Alle Blickwinkel kommen zur Sprache und die Figuren schlüpfen in der Bühnenadaption von Privat- in ihre Berufsrollen bildlich durch das An- und Ausziehen ihrer Arbeitskleidung. Wenn sie sich in die marionettengleich aufgehängten Berufskittel zwängen, kommen sie dem System nicht aus. Hier zählen Befunde und Befehle. Entkleidet finden Unsicherheit, Angst und Wut Platz. Auch kann privat gemeinsam ein Glas getrunken oder sich mehr als freundschaftlich begegnet werden und auch hierzu fallen die Regieanweisungen kreativ aus. Darin liegt vielleicht auch das Erstaunlichste an diesem Abend: das Zusammenspiel von Regie, Bühne und Kostüm (Birgit Angele), Projektion (Sarah Mistura) und Dramaturgie (Agnes Kitzler) ist treffsicher, ausgeklügelt und unglaublich ideenreich. Ein Polster ist nicht nur ein Polster, eine Mullbilde viel mehr als Verbandswerkzeug, und auch geschwungene Fahnen werden von Bildmaterial begleitet. Eine kleine Box mit viel Inhalt und dennoch nicht überladen.
Schauspielerisch ist es neben den mitten aus dem realen Leben gegriffenen und zum Teil auch sehr berührenden Aussagen der „echten“ Ärzt:innen und Pflegekräfte aus Vorarlberg für die Darsteller:innen nicht einfach, nicht allzu theatralisch beim Publikum anzukommen. Wie immer sehr textsicher wirkt deren Spiel vor allem für die kleine Bühne zum Teil zu überschwänglich und das Kämpferische bleibt nicht immer nachvollziehbar. Nico Raschner in der Rolle des überheblichen Chefarztes überzeugt an diesem Abend in seiner subtil gespielten Rolle am meisten.
Die Höhepunkte musikalisch mit Depeche Modes „Reach out – touch faith“ anzukündigen und mit Stings „Fragile“ aufzulösen, erzeugt am Ende ebenso beeindruckend schöne Szenen, wie das Einbeziehen des Publikums in den gemeinsam gefundenen Takt, denn „niemand kann sich raushalten“. Es geht uns alle an und es spielt nicht irgendwo. Und wie immer fühlt man sich nach einem sowohl räumlich als auch inhaltlich „dicht gedrängten“ Abend angesprochen.
Landestheater: „Schmerzambulanz“ nach dem Roman von Elena Messner
weitere Aufführungen: 27.2. sowie 8./11.3. und 6./8./11./12.6. jeweils 19.30 Uhr; 1.3., 20.30 Uhr, Box
Theater am Kornmarkt, Bregenz
https://landestheater.org/spielplan/detail/schmerzambulanz/