Ein Theaterabend über die Möglichkeiten und Grenzen der Wut
Richtig wütend!
Dagmar Ullmann-Bautz · Aug 2023 · Theater

„Jeder kann wütend werden, das ist einfach. Aber wütend auf den Richtigen zu sein, im richtigen Maß, zur richtigen Zeit, zum richtigen Zweck und auf die richtige Art, das ist schwer.“ (Aristoteles) Das Stück „Richtig wütend!“ feiert seine Uraufführung im Theater am Saumarkt in Feldkirch. Es handelt sich dabei um eine Eigenproduktion der Künstlerinnen Lisa Suitner und Vrovro Geiger, die in ihrem ersten gemeinsamen Projekt einen interdisziplinärer Theaterabend entwickelt haben. Die beiden Kunstschaffenden sind sich in den vorangegangenen Jahren bei verschiedenen Festivals der österreichischen Zirkusszene wiederholt begegnet, haben sich ausgetauscht und Gemeinsamkeiten gefunden. Und so ist über die Zeit ein stetig wachsender Wunsch entstanden, einmal gemeinsam ein Stück zu entwickeln, gemeinsam auf der Bühne zu stehen.

Die Liste aller Aktivitäten und Projekte der in Wien lebenden Clownin, Musikerin, Artistin, bildenden und multimedialen Künstlerin Vrovro Geiger ist so lang und so bunt, wir ihre Talente vielfältig sind. Clownfrau, Musikerin und Artistin Lisa Suitner hingegen ist in Vorarlberg gut bekannt – als Energiebündel der Sonderklasse mit einer wunderbaren Ausstrahlung. Sie selbst behauptet von sich, sie stecke immer noch in ihren besten Jugendjahren, leide somit unbestreitbar am Peter-Pan-Syndrom. In ihrem gemeinsamen Stück bringen die Zwei all ihre Talente ein, arbeiten sowohl mit clownesken Mitteln, wie auch musikalischen Intermezzi, Video- und Soundcollagen, nicht zuletzt Schauspiel und circensischen Einlagen – eben interdisziplinär!
Und da man so eine Eigenproduktion nicht einfach nur aus dem Ärmel schüttelt, haben die Künstlerinnen erst einmal mit der Suche nach einem Thema begonnen: „In unserer ersten Idee ging es eigentlich um das „Frau”-sein. Welche Erwartungen stellt „Frau” an sich selber, welche die Gesellschaft und welche sind wir bereit zu erfüllen, bzw. wie geht es uns dabei, wenn wir diese Erwartungen nicht erfüllen wollen oder können. Bald kamen wir dadurch auf das Thema Wut, auch weibliche Wut, und spürten, dass uns genau dieses Thema sehr stark berührt und beschäftigt.“ Und so starteten sie mit einer umfangreichen Recherche zum Umgang mit Wut, zur weiblichen Seite von Wut und ihrem Potential. Dazu haben sie Interviews geführt, haben Jugendliche und Erwachsene zu ihrem persönlichen Umgang mit Wut und dessen Stellenwert und Platz in der Gesellschaft befragt.
Das Resultat – ein riesiger Berg an Informationen durch den sich Geiger und Suitner in der Folge durcharbeiteten.

Der Wut ein Gesicht geben

Ihnen sei schon während der Interviews ganz schnell klar geworden, dass es zu wenig sei, nur über Wut zu sprechen, dass es ganz besonders wichtig sein wird, Wut-Ventile, hauptsächlich künstlerischer Natur, anzubieten, bei denen niemand zu Schaden komme, aber der Wut damit ein Gesicht verliehen sei. Wut zähle schließlich zu den menschlichen Basisemotionen, so heißt es in der Presseaussendung, sei ein wichtiger Motor für Veränderung und doch gelte es als Fauxpas, unsere Wut an den Mitmenschen zu entladen. Schließlich macht Wut uns auch blind!
Vrovro Geiger: „In den letzten Jahren wurden wir als Menschheit daran erinnert, dass Sicherheit und Stabilität eine Illusion darstellen. Die Frustration und die Wut der Menschen haben zugenommen und leider führt das nicht dazu, dass wir uns zusammentun und etwas verändern, sondern vermehrt dazu, dass wir wütend sind auf uns selbst, auf andere, auf Institutionen, auf die Politik, die Wirtschaft usw. Wir suchen Personen oder Personengruppen, denen wir die Schuld geben können. Wir gehen aufeinander los. Doch löst das wirklich das Problem?“
Bei der Lösung dieser doch verzwickten Fragestellung hilft vielleicht ein Blick auf die Vitae der Protagonistinnen. Als schon weitgereiste, selbstständige und freischaffende Künstlerinnen beschäftigen sich beide schon lange mit der Clownerie, einer ganz wunderbaren Disziplin, wenn es darum geht, Unaussprechliches mittels der eigenen Figur anzusprechen, um es darauf pointiert und charmant aufzulösen. Suitner: „Ein Clown zeigt nicht auf andere, sondern lenkt den Blick auf seine eigenen Unzulänglichkeiten und kann nur dann berühren, wenn er authentisch ist und sein eigenes Scheitern thematisiert und darüber lachen kann. Wir haben uns also mit unserer eigenen Wut auseinandergesetzt.“
Und so haben sie die beiden Figuren „Wanja Wonder“ und ihre Assistentin „Fat Susie” entwickelt, mit denen sie sich selbst parodieren, ihre eigenen Unzulänglichkeiten, ihr Unvermögen und Scheitern, ihre Hoffnungen und Wut. „Wanja Wonder“ ist eine energetisch überzeugende Workaholic, die mit allen Mitteln versucht, die Menschheit zu heilen und als Opfer ihrer eigenen Überforderung an ihrer sogenannten „Work-Life-Balance“ scheitert. „Fat Susie“ ist die stets jedermann/frau zu Hilfe eilende Assistentin, die andere immer wichtiger nimmt als sich selbst, sich klein macht, bevor es andere tun und ihre Wut in sich hineinfrisst – alles unter dem Deckmantel der Fürsorge und mit einem riesengroßen Pralinenvorrat, der immer griffbereit ist. „Fat Susie” ist Opfer ihres Selbstoptimierungswahns.
Fulminant und bombastisch soll die große Show starten, wenn „Wanja Wonder“ sich und ihre Assistentin „Fat Susie” in strahlendem Rampenlicht präsentiert. Mit Affirmationen, Power-Positions und Ritualen soll der unterdrückten Wut Platz gemacht und allen Suchenden geholfen werden. Geiger: „Beide Figuren durchleben in dem Stück einen Prozess. Sie kämpfen mit sich selbst, entblößen, verwandeln und befreien sich und ihre Wut schließlich.“ Suitner: „Doch wie bei jeder Diät der Jo-Jo-Effekt nicht lange auf sich warten lässt, ist es auch hier nicht sehr verwunderlich, dass trotz all der Mühe und dem Aufwand das Ende viele Gemeinsamkeiten mit dem Anfang hat.“
So wird das Stück „Richtig wütend!“ als humorvoll inszenierte Kritik an der Selbstoptimierung, als Plädoyer für mehr Selbstbestimmung und unterhaltsame Auseinandersetzung mit der eigenen Unzulänglichkeit beworben. Mit viel Witz will das Stück zum Nachdenken anregen und wird dabei wohl mehr Fragen stellen als Antworten geben.

Die Premiere des Stückes war ursprünglich für März angesetzt – dieser Artikel dazu ist bereits in der Print-Ausgabe der KULTUR März 2023 erschienen.

Lisa Suitner und Vrovro Geiger: „Richtig wütend!“
Premiere: 22.9., 19.30 Uhr, Theater am Saumarkt Feldkirch
weitere Vorstellung: 29.9., 19.30 Uhr, TiK, Dornbirn

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