Ein Quantum Zeit
Uraufführung: „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit – vom Kuchen ein (Theater)Stück“ von Philip Jenkins im Theater Kosmos
Manuela Cibulka · Mai 2025 · Theater

Keine Sorge: Prousts Jahrhundertwerk mit mehr als 5.000 Seiten muss man nicht kennen, um diesem Abend folgen zu können. Dafür darf aber auch nicht erwartet werden, danach viel mehr über das zugrundeliegende Stück zu wissen, um zukünftig bezüglich Weltliteratur besser mitreden zu können. Geboten werden Bruchstücke der Literatur als Rahmenhandlung und persönliche Biographien von Menschen, die sich Gedanken zur Zeit, zu ihrer Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft machen. Das große Ganze stellt sich dabei weniger ein als die Sicherheit, dass es mit der Zeit oft wirklich rätselhaft ist und 90 Minuten für die einen kurzweilig und für die anderen doch recht lang sein können.

Geführt durch den Abend werden die Zuschauer:innen von der eindrücklichen Erzählstimme George Nussbaumers. Als allwissender Marcel nimmt er seinen Platz auf dem höchsten der vier Podeste ein. „Ich spreche. Ich kann es und ich darf es.“ Seine „zuverlässigen Angaben“ und Erinnerung zu den Hauptfiguren aus Prousts Werk rufen Charles Swan – gespielt von Hubert Dragaschnig – auf die Bühne. Das An-ihn-Denken hat diesen in seiner Ruhe gestört und aus dem Jenseits nach Bregenz auf die zweite Spielebene „gebeamt“. Direkt auf die von Mandy Hanke schlicht und ansprechend gestaltete Bühne bestehend aus vier abgestuften Ebenen, die für jeweils eine bestimmte Zeitebene, ganz im Sinnen von Prousts Erzählkonzeption von ineinander gestapelten Zeitkammern, steht. Hierher, wo er von über 120 Menschen, die nie etwas sagen, sondern nur vereinzelt husten, beobachtet wird. War es bei ihm die Erzählung über einen Gugelhupf-Diebstahl ist es bei seiner geliebten Odette de Crécy– dargeboten von Sabine Lorenz – die Geschichte der wundersamen Pudel-Rettung aus dem Pool, die sie auf den Plan holt. Die sich in Folge zwischen ihnen spinnenden Dialoge schwanken zwischen Komödie und Posse á la gekränktem Ehepaar. Man kann sich zwar noch an die erste Begegnung erinnern kann – „Du trugst an deinem Kleid einen Strauss von Catleja-Blüten“ (für die passenden Kostüme zeichnet Nicole Wehinger verantwortlich) – ist inzwischen aber von Eifersuchtsspiel und Alltagsgeplänkel bestimmt. Solide gespielt finden die beiden an diesem Abend nicht wirklich überzeugend zusammen, was vielleicht auch an den „Unterbrechungen“ durch die Expertinnen, wie sie vom Regisseur selbst bezeichnet werden, liegen mag. 

Meine deine Welt

Nach der „Odysee“ und „Don Quijote“ vervollständigt diese Produktion Philip Jenkins‘ Auftragstrilogie für das Theater Kosmos. Neben sich durch das Stück ziehenden Lokalbezügen – gefahren wird nach Lindau, besucht werden Ausstellungen im Kunsthaus Bregenz, geliebt wird unter der Festspieltribüne – stehen auch in dieser Inszenierung Menschen „aus der Nachbarschaft“ auf der Bühne und benennen ihren Zugang zur Zeit. Wenn die Waldpädagogin Karin Müller-Vögel ihre Visitenkarte mit der Wald-Adresse ums Eck dabei hat, die klinische Psychologin Monika Sommerer im selben Häuserblock wie das Theater zu finden ist, Julien Sénamaud und Ophélie Masson nach unterschiedlichster Vergangenheiten jetzt ihren Platz in Vorarlerg gefunden haben, spaziert man mit ihnen durch deren Leben und ist dabei beinahe näher an Proust, als während dem „wahren“ Schauspiel. Enfaltet werden willentliche Erinnerungen, subjektive Wahrheiten, die völlig unaufgeregt und authentisch präsentiert dem Abend einige berührende Momente schenken und zeigen, dass Zeit zwar für alle vergänglich, Erinnerungen aber prägend sind und immer wieder hervorgeholt werden können. 
In Monika Bauers Zurückdenken an Kriegserlebnisse als Kleinkind und beim Aufschlagen ihres mitgebrachten ersten Buches, geschenkt bekommen in der Nachkriegszeit als Schatz, der sie bis heute begleitet, ist der Proustsche „Madeleine-Effekt“ im Raum und man kann die alten Buchseiten förmlich riechen. In ihrem Gedicht lässt sie uns ebenso wie Philipp Salzgeber, der als Astronome eines seiner Teleskope mit dabei hat, in die Sterne blicken. Wie lässt sich Lichtgeschwindigkeit begreifen? Was ist die Zeit? Wir wissen es nicht. Werden an diesem Abend dahingehend natürlich auch nicht klüger, aber was macht das schon. Jeder Mensch ist ein eigener Kosmos – und dem Theater Kosmos wünschen wir für die kommenden Aufführungen jede Menge Menschen, die 90 Minuten ihrer Zeit im Zuschauerraum verbringen, um sich eigene Erinnerungen zu schaffen.

„Auf der Suche nach der verlorenen Zeit – vom Kuchen ein TheaterStück“ – UA von Philip Jenkins nach Marcel Proust
weitere Vorstellungen: 10./11./15./16./17./24./25./28./29.5. jeweils um 20 Uhr
Theater Kosmos, Bregenz

www.theaterkosmos.at

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