Ein höllischer Rausch aus Sprache, Spiel und Schlamm Dagmar Ullmann-Bautz · Nov 2025 · Theater
Ferdinand Schmalz’ „schlammland gewalt“, produziert vom Ensemble UNPOP, feierte gestern im Theater Kosmos in Bregenz Premiere. Und schon nach wenigen Sekunden ist dem Publikum klar: Hier wird niemand verschont.
Schauspieler Felix Römer stürzt sich in diesen Text wie eine entfesselte Naturgewalt auf Bühne und Zuschauer:innen. Er fegt, stapft, schleicht, wankt, kreiselt, tanzt, hetzt, kugelt, wälzt sich, schreit, wimmert, säuselt, brüllt, donnert – ein Schauspieler, der nicht nur Figuren wechselt, sondern Zustände, Körper, Temperamente. Römer stemmt einen Gewaltmarsch durch die Abgründe der österreichischen Seele – und das Publikum folgt ihm gebannt, atemlos, manchmal erschrocken, oft lachend, immer fasziniert.
Zwischen Groteske und Abgrund
Verantwortlich für diesen mitreißenden, fast rauschhaften Theaterabend: die Theaterleiter:innen Stephan Kasimir und Caro Stark, Schauspieler Felix Römer und Musiker Paul Winter.
Der österreichische, preisgekrönte Autor Ferdinand Schmalz erzählt die Geschichte eines Dorffestes, das in einer Katastrophe endet – eine Geschichte von Macht und Machtmissbrauch, von alltäglicher Gewalt, von unterdrückter und ausgelebter Sexualität, von Klimaveränderung, provinzieller Enge und verdrängten Sehnsüchten, ertränkt in Unmengen von Alkohol und morastigem Schlamm.
Großartiger Schauspieler
Es gleicht einer rasanten Achterbahnfahrt, wenn Felix Römer diese Geschichte praktisch verkörpert – unterstützt vom Musiker Paul Winter, der mit feinem Gespür begleitet, akzentuiert und kontrastiert. Gemeinsam reißen sie das Publikum mit, begeistern von urkomisch bis erschreckend grauslig, von wahnsinnig traurig bis bitter böse. Römer spielt und erzählt unter Einsatz aller seiner Möglichkeiten, körperlich wie stimmlich, wechselt im Minutentakt Figuren, Gesichter, Haltungen. Vom Betreten des Raumes bis zum Schlussapplaus nimmt er das Publikum mit auf diesen herrlich komischen und zugleich wahnsinnigen Höllenritt.
Ferdinand Schmalz präsentiert mit „schlammland gewalt“ einen Text, der tief in die menschliche, die österreichische Seele blicken lässt – verpackt in seine so unverwechselbare, bildgewaltige Sprache, das „Schmalzische“, das eine ungeheure Bandbreite an Emotionen in sich trägt.
Die Blaskapelle spielt bis zum Untergang
Ein Bierzelt auf der Festwiese eines kleinen Bergdorfes, die Blaskapelle spielt auf, die Brathendln brutzeln vor sich hin, ein Stand mit hübschen Lebkuchenherzen dient als Versteck für verliebte Paare, ein Kühlwagen als noch intimerer Ort für aufbrechende Lust. Menschen feiern, ohne an das Morgen zu denken, wollen Warnungen nicht hören. Ein Dorfkaiser und sein Adjutant scheinen alles im Griff zu haben – nur nicht das eigene Fleisch und Blut. Dauerregen lässt das Zelt langsam im Morast versinken, einer jungen Frau, die vor der Katastrophe warnt, wird gewaltsam das Maul gestopft. Die Blaskapelle spielt, es wird getanzt, gejuchzt und gesoffen – bis zum Untergang. Eine Schlammlawine begräbt das Dorf samt Bierzelt.
Düster und geheimnisvoll
Regisseur Stephan Kasimir hat es wieder einmal geschafft, eine spannende Geschichte großartig zu erzählen, Nuancen herauszukitzeln und das Wesentliche auf den Punkt zu bringen. Caro Stark entwarf ein Bühnenbild, das zunächst geheimnisvoll und düster wirkt und sich – je genauer man hinschaut – immer weiter herausschält: Neben einem riesigen Haufen Erde hängt über Kopf ein zerstörtes Festzelt samt Interieur. Lichtdesigner Othmar Gerster taucht dieses Bild immer wieder in unterschiedlichste Stimmungen, erzeugt Leichtigkeit und drückende Schwere, Enge und Weite.
Ein Theaterabend, der in jeder Minute und jeder Facette in sich hat, was gutes Theater ausmacht. Ein Abend, der in jeder Minute trägt – kraftvoll, klug, überraschend, überwältigend. Das Premierenpublikum hat ihn zu Recht bejubelt.
Weitere Vorstellungen:
4./5./7./8.11., 20 Uhr und 9.11., 17 Uhr
Theater Kosmos Bregenz
www.unpop.at/unpop4/schlammland-gewalt