Ein gelungener Auftakt Michael Löbl · Nov 2024 · Musik

Romantische Orchestermusik aus Belgien, Deutschland und Tschechien stand auf dem Programm des ersten Abends im Zyklus Bregenzer Meisterkonzerte. Zu Gast am Sonntagabend war das Antwerp Symphony Orchestra, sowohl die Solistin als auch die Dirigentin kamen aus Südkorea.

Fast sieben Monate dauerte die Durststrecke, so lange mussten die Abonnent:innen ohne ein Meisterkonzert ausharren. Es scheint aber, als wären wieder alle Abonnementbesitzer:innen mit an Bord, denn das Festspielhaus war prall gefüllt und bot den Gästen aus Belgien eine attraktive Konzertatmosphäre. 

Beeindruckender Konzertsaal

Die belgische Orchesterlandschaft ist selbst für gebildete Musikenthusiast:innen ein Buch mit sieben Siegeln. Zu oft wurden Klangkörper umbenannt, fusioniert oder aufgelöst, aus der Ferne ist es wirklich schwierig, hier den Überblick zu behalten. Es gibt – inklusive der Oper – drei Orchester in Brüssel, je eines in Ghent und in Liège und eben das Antwerp Symphony Orchestra, das den neuen Meisterkonzerte-Zyklus eröffnete. Antwerpen ist die größte Stadt Belgiens, hat mehr als doppelt so viele Einwohner wie Brüssel und verfügt über einen optisch und akustisch beeindruckenden Konzertsaal, die 2016 eröffnete Queen Elizabeth Hall, nicht zu verwechseln mit der gleichnamigen Location in London. Die Queen Elizabeth Hall ist der Sitz des Orchesters, das von zwei prominenten Dirigenten entscheidend geprägt wurde: Philippe Herreweghe und Jaap van Zweden. Das Antwerp Symphony Orchestra präsentierte sich als technisch hervorragender Klangkörper mit kompaktem, klarem Klang und brillanten Einzelleistungen bei den Bläsern.
Im letzten Abonnementkonzert vor der Sommerpause folgte auf Felix Mendelssohns romantisches Violinkonzert Antonín Dvořák bekannte Neunte Symphonie „Aus der Neuen Welt“. Eine fast identische Kombination gab es am Sonntagabend zu erleben, zunächst das Erste Violinkonzert von Max Bruch, nach der Pause abermals Dvořák, diesmal stand allerdings seine Symphonie Nr. 6 auf dem Programm. Diese Wahl muss man dem Antwerp Symphony Orchestra und der Dirigentin Shiyeon Sung hoch anrechnen, denn Antonin Dvořáks Symphonien Nummer Drei bis Sechs sind durchwegs absolute Meisterwerke und stehen vollkommen zu Unrecht im Schatten ihrer später komponierten Geschwister. Die Sechste steht in D-Dur und hat außer derselben Tonart auch sonst auffallend viele Parallelen zur Zweiten Symphonie von Dvořáks Mentor Johannes Brahms, die vier Jahre früher entstanden ist. 

Klassikszene im Aufwind

Die Zukunft der klassischen Musik deutet ganz klar in Richtung Asien. Betrachtet man die Besetzungen großer Orchester, vor allem in den USA aber auch in Europa, ist dieser Befund ganz eindeutig. Auch die Student:innen an allen bedeutenden Musikausbildungsstätten von Wien, Berlin über London bis New York oder Philadelphia kommen zu einem großen Teil aus asiatischen Ländern. Während im deutschsprachigen Raum schon lange kein Lehrer:in mehr auf die krasse Idee käme, einer Mittelschulklasse eine Brahms-Symphonie vorzuspielen, ist die Klassikszene vor allem in China und Südkorea noch immer im Aufwind. Und der Output ist absolut bemerkenswert. Kein Opernhaus kann mittlerweile auf einen koreanischen Tenor verzichten und Pianisten wie Lang Lang, Yuja Wang oder Seong-Jin Cho gehören längst zur absoluten Spitze der internationalen Klassikstarstars. So gesehen hat das Antwerp Symphony Orchestra die Zeichen der Zeit erkannt, wenn es mit zwei südkoreanischen Künstlerinnen seine Tournee durch Slowenien, Deutschland und Österreich bestreitet. Die Dirigentin Shiyeon Sung hat in Berlin und Stockholm studiert und begann ihre Karriere als Gewinnerin zweier bedeutender Wettbewerbe, dem „Sir Georg Solti“-Wettbewerb in Frankfurt und der „Mahler Competition“ in Bamberg. Seither hat sie zahlreiche große Orchester geleitet, in Europa, Asien, den USA und vor allem in Neuseeland, wo sie als „Principal Guest Conductor“ eng mit dem Auckland Philharmonia Orchestra zusammenarbeitet. Über ihren ökologischen Fußabdruck wollen wir hier nicht spekulieren.

Eine Herzensangelegenheit?

Shiyeon Sung dirigiert sehr deutlich, mit fließenden runden Bewegungen, effizient und schnörkellos. Das Orchester klingt unter ihrer Leitung durchsichtig, kompakt und fein ausbalanciert. Mit der „Rhapsodie Dahomeese“ des Belgiers August de Boeck hatten die Musiker:innen ein effektives Eröffnungsstück im Gepäck, das dem Publikum erste Bravorufe entlockte. Im folgenden Ersten Violinkonzert von Max Bruch waren sie der Solistin ein aufmerksamer Partner und die stellenweise durchaus virtuose Sechste von Dvořák wurde makellos umgesetzt. Ob Dvořáks Musik jetzt eine Herzensangelegenheit der Dirigentin ist, war nicht wirklich festzustellen. Geographisch ist Prag ja sowohl von Antwerpen als auch von Seoul ziemlich weit entfernt. Vielleicht ist das der Grund, warum Dvořák mittlere Symphonien so viel seltener zu hören sind als beispielsweise die „Neue Welt“. Um die musikalischen Qualitäten der früheren Werke freizulegen, sollten die Interpret:innen etwas mehr Herzblut investieren, denn diese Stücke müssen durch dynamische und agogische Gestaltung der Ausführenden erst mal kräftig gewürzt werden. Fazit: Toll gespielt, aber da wäre noch mehr drin gewesen. Das Publikum bestand auf einer Zugabe und bekam sie in Form des Abendsegens aus Engelbert Humperdincks Oper „Hänsel und Gretel“.

Schlackenloses Violinspiel

Ebenfalls aus Südkorea stammt die sympathische Geigerin Bomsori Kim. Nach ihrem Studium in Seoul und an der Juilliard School in New York konnte sie bei nicht weniger als zehn internationalen Wettbewerben Preise gewinnen. Seit 2021 ist sie unter Vertrag bei der Deutschen Grammophon.  Das Violinkonzert Nr. 1 von Max Bruch spielt sie technisch absolut makellos, mit wunderschönem, seidigem Klang und viel Temperament. Bewusst vermeidet sie alles süßliche, das in diesem Werk durchaus drinsteckt, und konzentriert sich auf rhythmische Prägnanz und glasklare Artikulation. Auch der berühmte langsame Satz profitiert von diesem Konzept. Und man muss es neidlos anerkennen, dieses Adagio ist ein Wurf. Ein wunderbar stimmungsvoller Gesang für Violine und Orchester und nicht zu Unrecht das bekannteste Werk dieses Komponisten. Das Publikum war hin und weg, Bomsori Kim bedankte sich mit dem virtuosen Finale aus der Vierten Solosonate des belgischen Geigers Eugène Ysaÿe.

www.bregenzermeisterkonzerte.at

 

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