Düns: Noble Flüchtlinge 1945
Der Rechnitz-Massenmord und die Flucht nach Vorarlberg
Jutta Gnaiger-Rathmanner · Mär 2025 · Gesellschaft

Das Vorarlberger Landestheater zeigt noch bis Ende April Elfriede Jelineks Stück „Rechnitz (Der Würgeengel)“. Dabei geht es um das Massaker von Rechnitz im Südburgenland, bei dem circa 200 jüdische Zwangsarbeiter:innen erschossen wurden. Neue historische Erkenntnisse haben nun einen Vorarlberg-Bezug der Täter:innen nachgewiesen, wie in der April-Ausgabe der KULTUR von Werner Bundschuh ausführlich berichtet wird. Ausgangspunkt für das Massaker war ein rauschendes NSDAP-Kameradschaftsfest, das Gräfin Margit von Batthyány (geb. Thyssen-Bornemisza) auf ihrem Schloss in Rechnitz veranstaltete. Zu diesem Fest waren SS-Offiziere, Gestapo-Führer, HJ-Jungen und einheimische Nazi-Größen geladen. Gegen Mitternacht erhielt der dort anwesende NSDAP-Ortsgruppenleiter Franz Podezin einen Anruf, woraufhin er 15 Männer bewaffnen ließ und die angeblich an Fleckfieber erkrankten Juden hinrichten ließ. Einige der Täter:innen flüchteten kurz darauf nach Vorarlberg, und zwar in das kleine Walgauer Dorf Düns. Hier hat Jutta Gnaiger-Rathmanner mit der Orts-Chronistin Anneliese Gantner gesprochen und interessante Details aus der Dorfgeschichte erfahren, die sie im folgenden Bericht zusammengefasst hat.

Auch Düns im Walgau, Vorarlberg, das kleine Bergdorf abseits der Hauptrouten, war in und nach der Kriegszeit von den Wegen der Flüchtlinge betroffen. Ende März 1945 kam eine auffällige Menschengruppe aus Ungarn, bzw. aus dem Südburgenland - aus Rechnitz nach Düns und suchte Unterkunft. Sie waren knapp dem Einmarsch der Russen entkommen und befanden sich auf dem Weg in die Schweiz. In Vorarlberg angekommen, gab es einen Stopp, denn der Grenzübertritt war nicht so einfach.
Sie wurden bei der Familie Mähr Gebhard, Hausnummer 32, einquartiert. Dort war Platz, da die Familie nur zwei Nachkommen hatte. Die Flüchtlinge waren noble Leute, es war ein Kommen und Gehen von Anverwandten der verzweigten Familie. Auch in Schnifis und Schlins waren Familienmitglieder untergekommen. Man wusste, dass ein Großteil von ihnen illegal unterwegs war, denn sie hatten keine Papiere.
Die noble Frau war mit ihrem Geliebten, dem Gutsverwalter ihres Schlosses im Burgenland, und ein paar Personalkräften unterwegs. Ihr Ehemann gehörte auch zu dieser Fluchtgesellschaft. Er soll in Schnifis gewohnt haben und soll bald wieder aus Heimweh nach seinen Pferden zurück in seine Heimat gezogen sein. Die Flüchtlinge gingen jeden Tag in den Gasthof Löwen zum Essen. Die Dame trug einen feinen Pelzmantel. Manchmal verließ sie das Dorf zu Fuß und wurde außerhalb des Dorfs – quasi geheim – von einem Auto mit Chauffeur abgeholt. Ihr Geliebter unterhielt sich bestens mit den Dorfbewohnern, besonders den Jägern, und freundete sich mit ihnen an. Die Fremden verteilten in alle Richtungen hin großzügig Geld, um alle für sich zu gewinnen.
Eines Tages erreichte ein Traktor mit zwei Anhängern das Dorf Düns. Er kam vom Schloss Rechnitz in einer zweiwöchigen Reise angefahren und führte das eingemachte Fleisch, das auf dem Schloss rasch verarbeitet und konserviert worden war, mit. Denn auf Grund der Flucht waren alle Haustiere geschlachtet worden. Drei Personen vom Schlosspersonal hatten diesen Traktor geführt und begleitet. Es waren dies der Schlosschauffeur Horvath und zwei mitgeschickte Kinder. Sie fanden im Haus Nr. 27 Herberge.
Ab und zu kam die Polizei aus Satteins im Auftrag von Wien in das Dorf und versuchte, über diese Gäste etwas zu erfahren. Die Dorfbewohner hielten dicht, gaben vor, von nichts zu wissen. Nach einem halben Jahr, am 15.Okt.1945, verließ die Gesellschaft das Dorf Düns in Richtung Schweiz. Das Gesinde kehrte größtenteils in das Burgenland zurück, obwohl es von der Roten Armee besetzt war. Bei den alten Dünsern sind diese Menschen als „liebe Leute“, freundlich und hilfsbereit, in Erinnerung geblieben. 

Wer waren diese geflüchteten Menschen?

Es war Gräfin Margareta von Batthyány, genannt Margit, (1911–1986), bekannt als die „Schlächterin“ von Rechnitz. Frau Margit ist eine geborene Thyssen-Bornemisza, einem nach Ungarn ausgewanderten Zweig der Familie aus dem Ruhrgebiet. Die Familie Thyssen gehört bis heute zu den vermögendsten Industriellen Europas, basierend auf dem Geschäft mit Stahl, Kohle etc. Margits Vater hatte das Schloss Rechnitz aus dem langjährigen Besitz der Familie Batthyány 1906 gekauft. Margit ist dort geboren. Sie heiratete 1933 Graf Ivan II. von Batthyány  (1910–1985) aus der großen verarmten Grafenfamilie im Südburgenland und lebte mit ihm auf dem Schloss. Dieses wurde ihr 1938 als Hochzeitgeschenk von ihrem Vater überschrieben. Auch Graf Ivan gehörte dieser Fluchtgesellschaft an, ebenso ein Bruder von ihm, Fürst Ladislaus Batthyány-Strattmann. Diese beiden waren in Schnifis untergebracht. Diese große Verwandtschaft war begleitet von einem Teil ihres Gesindes. Zuerst Herr Joachim Oldenburg, der Gutsverwalter von Schloss Rechnitz: Er war der Liebhaber der Gräfin und leidenschaftlicher Jäger. Er stammte aus Deutschland und war von der Familie Thyssen auf Schloss Rechnitz eingeführt worden. Er wurde begleitet von Haushälterin Resie, die bald alle im Dorf kannten.
Das Schloss in Rechnitz wurde um 1940 von der SS gekauft und diente als Erholungsort für die Waffen-SS. Gräfin Margit blieb im Schloss wohnhaft und soll die Gesellschaft und Aufmerksamkeit der Offiziere genossen haben. In der Nacht vom 24. auf den 25. März 1945 geschah das „Massaker von Rechnitz“: Die Schlossgesellschaft versammelte sich zu einem rauschenden Fest, während die Roten Armee unausweichlich anmarschierte – sie befand sich schon 15 km vor Rechnitz. In einem nahegelegenen Stadel, dem „Kreuzstadl“, sind von den Festgästen als Mitternachtseinlage in Trunkenheit an die 200 arbeitsunfähige Zwangsarbeiter, bestehend aus Juden, Ungarn und Zigeunern, erschossen worden. Dieses Massaker war vom Schlossverwalter Oldenburg und Helfern organisiert worden. Die Gefangenen waren im Keller des Schlosses unter schlimmsten Bedingungen untergebracht gewesen. Sie wurden in mehreren Lastwagenfahrten durch Frächter Ostermann gezielt zum Stadel transportiert und 15 Gefangene mussten vor der Massenerschießung im Wald die Gräber ausschaufeln. Danach wurden auch diese erschossen. Es ist gerichtlich bekannt, dass Gräfin Margit mit ihrem Mann dabei anwesend gewesen war. Dieses Ereignis gab allen Grund, danach in aller Eile vom Schloss zu fliehen, da nur zehn Tage später, im April 1945, die Rote Armee Land und Schloss einnahm. Das Schloss brannte sofort völlig ab und aus. Wer waren die Brandstifter? Die Rote Armee oder SS-Soldaten? Vieles rundum dieses Massaker bleibt bis heute ungeklärt und ungesühnt. Trotzdem gab es ein dramatisches Nachspiel: Die Hauptzeugen waren ungreifbar oder wurden ermordet. Oldenburg und weitere Komplizen verschwanden durch Flucht, vermutlich nach Südafrika und Südamerika, Herr Ostermann beging Suizid. Alle Spuren und Aufklärungsversuche wurden von unsichtbarer Hand verwischt, verfolgt, nachweislich bis 2006 (D.L. Litchfield). Die Bewohner von Rechnitz verstummten unter diesem Terror. Frau Margit Batthyány-Thyssen gelang rasch die Auswanderung in die Schweiz.  Ihr neuer nobler Wohnsitz war der schweizerische Familiensitz, die Villa Favorita in Castagnola bei Lugano. Ihr Vater hatte sich schon Jahre zuvor am Luganersee niedergelassen. Dort habe sich Margit in Folge der Zucht von Rennpferden verschrieben, in Lugano, aber auch in Bad Homburg, Frankeich und den USA.

Spätere Kontakte 

Franz (Feri) Batthyány war ein Neffe von Graf Ivan, der als Kind mit seinen zwei Brüdern in Schnifis mit von der Partie war. Er hat Schnifis nochmals um das Jahr 2004 besucht. Im Dankesbrief für die freundliche Aufnahme bei Ernst Dünser in Schnifis erwähnt er, wie seine Familie samt Kinderschwester Ida Frey und Hund in großen Pferdeschlitten mit all ihrer beweglichen Habe im tief verschneiten Schnifis im Februar 1945 (sic!) angekommen war. Er bestätigte die Geburt seines jüngsten Bruders, Toni, in Schnifis am 1. Jänner 1946. Dieser sei 1967 bei einem Flugunfall umgekommen. Er erwähnt seine weiteren Brüder Adam und Ladislaus. „Sorglose frohe Tage der Kindheit“, „der wunderbare Pfarrer Eugen Ruß“, so  beschreibt Franz seine Erinnerungen. „Meine Eltern liebten diesen ruhigen, idyllischen Ort, wo wir herzlich aufgenommen waren.“
Um 2010 besuchte Anneliese Gantner aus Düns die Haushälterin „Resie“, Resie Krausler (1926 bis 2017), in Rechnitz. Diese hatte ihren Herrn Oldenburg auf der Flucht nach Düns begleitet. Sie erzählte noch viel von damals. Insbesondere betonte sie mehrmals: „Frau Margit war eine nette, liebe Dame.“ Bei diesem Besuch in Rechnitz zeigte sich, dass das Schloss ganz verfallen und vernachlässigt aussieht. Der Kreuzstadl ist heute als Gedenkstätte zum Mahnmal für alle Opfer des Südostwall-Baus renoviert und eingerichtet worden.

Ein Artikel dazu ist in der „KULTUR“ April 2025 erschienen. Hier geht es zum E-Paper.
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Bericht von Annelies Gantner, der Dorf-Chronistin von Düns, aufgeschrieben von Dr. Jutta Gnaiger-Rathmanner, Feldkirch  15. März 2025, geplant für das InfoBlatt Düns (Heft 2/2025). Wohlgemerkt: Viele Angaben beruhen auf „oral history“ und können demnach die dafür bekannte Unschärfe enthalten.

Ergänzungen aus den anderen Dörfern:
Aus Schnifis:
Andreas Amann, Altbürgermeister von Schnifis, recherchierte im Gemeindearchiv: Auf einem maschinengeschriebenen Blatt sind alle Flüchtlinge und Unterkunftsgeber in Schnifis vermerkt. Darunter ist eine Familie Batthyány genannt, deren Angehörige als Flüchtlinge nach dem Krieg im oberen Stock des damaligen Pfarrhofs untergebracht waren.  Als Haushälterinnen fungierten Christine Stachniß (1924–2020) und eine Schwester von ihr. (Ergänzung: Familie von Fürst Ladislaus von Batthyány-Strattmann von Nèmet-Ujvàr)

Aus Schlins:
Bundschuh Werner: Schlins 1850–1950. Vorarlberger Autorengesellschaft, Bregenz 1996, S 177/ 178. DownloadSchlins-ocr_verr.pdf
„Prominenteste Zuzügler in Schlins waren Graf und Gräfin Batthyány mit ihrem Tross." Dieser Teil der adeligen Familie, auch im April 1945 angekommen, kaufte 1948 ein Haus in Schlins. Ab 1950 übersiedelte sie in die „Pfeffermühle“ in Feldkirch und verließ Österreich erst nach dem Abschluss des Staatsvertrags 1955 in Richtung Burgenland.

Bundschuh Werner: Tanzabend mit Massenmord aus Schoß Rechnitz und die Flucht nach Vorarlberg. Ein Updating dieser Geschichte in Kultur – Zeitschrift für Kultur und Gesellschaft,  Heft April '25, Dornbirn.

Verwendete Quellen zu diesem Text:
Anneliese Gantner, die Chronistin von Düns, hat vielerlei mündliche Berichte von Augenzeug:innen im Dorf eingeholt und langjährig Dokumente zur obigen Geschichte gesammelt. Diese sind alle bei Frau Gantner bei Bedarf einsehbar (erreichbar über die Gemeinde Düns).

Batthyany Sacha: „Und was hat das mit mir zu tun?“. 2016 Erstveröffentlichung. Sacha Batthyany, geboren 1975 in Zürich, ist Journalist. Er ist ein Großneffe seiner Großtante Margit, mit ihr verwandt über seinen Großvater Franz Friedrich, einem Bruder von Ivan II. In diesem Roman bildet Tante Margit das Hauptthema. Sie ist ihm aus seiner Kindheit als dominant, exaltiert und unnahbar in Erinnerung geblieben.

Weitere Literatur:
Jelinek Elfriede: Rechnitz (Der Würgeengel), Uraufführung 2008 in München. Im Februar 2025 inszenierte das Landestheater Vorarlberg  dieses Theaterstück von Neuem.
Menasse Eva: Dunkelblum. btb Verlag München, 2023, Roman.
Litchfield D.L.: The Thyssen Art Macabre, 2006, Quartetbooks. UK.

Laut Anmerkung von Eva Menasse in ihrem genannten Buch, Seite 79, ist Litchfield ein Nachkomme einer belasteten Familie in Rechnitz, Historiker, in die USA ausgewandert, Namensänderung und Studium incl.

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