Dota und die Wiederentdeckung Mascha Kalékos
Eine Hommage in Tönen
Sophie G. Gruber · Jän 2025 · Musik

Im gut besuchten Stadttheater Lindau präsentierte am Mittwochabend Dota Kehr im Rahmen ihrer aktuellen Tournee „In der fernsten der Fernen“ ihre Vertonungen der Gedichte der jüdischen Dichterin Mascha Kaléko (1907–1975).

Dota Kehr, bekannt für ihre feinsinnigen Liedermachertexte, widmet sich seit einigen Jahren mit großer Hingabe dem Werk der Dichterin Mascha Kaléko. Ihre Vertonungen, mittlerweile auf zwei Alben und einer aktuellen Konzerttournee zu erleben, sind weit mehr als bloße musikalische Begleitungen – sie sind eine sensible Auseinandersetzung mit einem außergewöhnlichen lyrischen Schaffen, das gerade in unserer Zeit wieder an Bedeutung gewinnt.
Im Gespräch betont Dota die Intention ihrer Arbeit: Es gehe ihr darum, „Trost zu geben oder Fantasie anzuregen und Bilder zu wecken“. Dabei schreckt sie nicht vor der Ernsthaftigkeit vieler Kaléko-Texte zurück. Im Gegenteil: Gerade die klare, oft trostreiche Formulierung von existenziellen Erfahrungen berühre sie tief. Ein Beispiel sei der pointierte Zweizeiler „Wie schön ist es allein zu sein, vorausgesetzt man hat einen, dem man sagen kann, wie schön es ist, allein zu sein.“ Dieser bringe „so vieles auf den Punkt“ und werde musikalisch so umgesetzt, dass das Publikum auch lachen könne.

Erschreckende Parallelen zur heutigen Zeit

Die Aktualität von Kalékos Werk drängt sich für Dota geradezu auf: Die „Gleichzeitigkeit des freien, urbanen Lebens, der liberalen, progressiven Lebensweise, der Experimentierfreudigkeit“ der 1920er Jahre und der sie umgebende „erstarkende Autoritarismus“ böten erschreckende Parallelen zur heutigen Zeit. Dota sieht darin zwar keine explizite Verantwortung, Kalékos Gedichte gerade jetzt aufzuführen, betont aber, dass die Texte sie möglicherweise auch deshalb so berührt hätten, weil sie darin etwas Zeitgemäßes gelesen habe. Sie reflektiert auch kritisch den „linken Diskurs“ im Kulturbereich und die manipulative Wirkung von Falschinformationen in den sozialen Medien.
Die Tatsache, dass Mascha Kaléko Jüdin war, betrachtet Dota als zusätzlichen Aspekt der Verantwortung, die sie bei der Vertonung fremder Texte ohnehin empfindet. Es gehe ihr darum, die Fakten korrekt wiederzugeben und keine eigenen Interpretationen zu unterschieben. Die Genehmigung ihrer Vertonungen durch eine Freundin Kalékos, die mittlerweile verstorben ist, habe ihr in dieser Hinsicht eine gewisse Sicherheit gegeben. Dennoch frage sie sich oft, ob ihre musikalische Umsetzung auch Mascha Kaléko selbst gefallen hätte. Da der Text stets im Fokus stehe und dies ein wichtiges Kriterium für Kalékos Erben gewesen sei, hege sie die Hoffnung, dass dem so wäre.
Diesen Textfokus unterstreicht Dota auch musikalisch. Die Gesangsmelodie sei zentral, während das Arrangement und die Komposition mehr Freiheit böten. Bei manchen Gedichten, wie „Der Fremde“, habe sie bewusst auf eine sehr schlichte und reduzierte Begleitung gesetzt, um die Wirkung des Textes nicht zu schmälern. Die formale Strenge und die präzisen Betonungen in Kalékos Versen erleichtern die Vertonung dabei erheblich. 
Für ihre Konzerte trifft Dota eine sorgfältige Auswahl der Gedichte, die sich nicht nur an Kalékos Biografie orientiert, sondern auch thematische Schwerpunkte setzt, etwa das Thema Beziehungen. Sie rezitiert auch Gedichte und betont, dass diese unabhängig von biografischem Wissen wirkten. Informationen über Kalékos Leben, wie ihre Emigration und das Gefühl der Heimatlosigkeit, verliehen den Texten jedoch eine zusätzliche Tiefe.
Besonders hervorzuheben ist Dotas Umgang mit Kalékos satirischen und ironischen Texten. Sie erkenne in ihnen einen „trockenen Humor“, etwas „Analytisches“ und „selbstspöttischen Humor“, mit dem sie sich selbst identifizieren könne. Die Auswahl der Stücke für das Live-Programm sei ihr nicht leicht gefallen, da sie bereits 45 Gedichte vertont habe.
Im Vergleich zu ihrem ersten Kaléko-Album vor acht Jahren habe sich ihre musikalische Herangehensweise weiterentwickelt. Während das erste Album eher aus dem „Rumprobieren“ entstanden sei, flossen in die späteren Arbeiten auch die Erfahrungen der letzten Jahre mit ihren weltweiten Krisen ein. So fand ihre Vertonung von „Ein herbstliches Lied“ kurz nach Beginn des Ukraine-Krieges eine traurige Aktualität. Musikalisch ergänzte sie ihre Arrangements um Blechbläser, Streicher und Duettpartner. Gerade die Duette ermöglichten eine neue Interpretation der Texte, indem sie einen Dialog erzeugten, wo im Gedicht ein Monolog stand.

Konzert mit der Band „Karl die Große“

Das Konzert selbst, begleitet von Musiker:innen der Band „Karl die Große“, beeindruckte durch die Präzision der Texte und die sensible musikalische Umsetzung. Besonders berührend wirkten die Gedichte „Blatt im Wind“ und „Das letzte Mal“, in denen die Verantwortung für die Texte, insbesondere im Kontext von Kalékos Emigration, musikalisch spürbar wurde. Die Duettstimmen harmonierten wunderbar, Klarinette und Posaune ergänzten den Gesang auf berührende Weise, während das Keyboard und der klar strukturierte Beat stets im Hintergrund blieben und nie aufdringlich wirkten.
Dota gelingt es auf beeindruckende Weise, Mascha Kalékos Werk in die Gegenwart zu transportieren und dessen zeitlose Relevanz aufzuzeigen. Ihr Konzert war eine Hommage an eine große Dichterin und gleichzeitig eine eindringliche Reflexion über die Herausforderungen unserer Zeit.
Dota Kehr und „Karl die Große“ haben mit ihrem Konzert im Stadttheater Lindau einen unvergesslichen Abend geschaffen und das Werk von Mascha Kaléko auf eindringliche Weise neu interpretiert. Wer sich von einer solchen besonderen Verbindung selbst überzeugen möchte, hat am 13. Juli 2025 als Open-Air am unteren Schrannenplatz in Lindau die Gelegenheit, Dotas Duettpartner Max Prosa, live zu erleben.

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