Doris Byer: „Weiße Haut Schwarze Seele“
Erfahrungen von Ausgrenzung und Rassismus
Christoph Thöny · Nov 2023 · Literatur

Mit dem Buch „Weiße Haut Schwarze Seele“ hat die Wiener Historikern Doris Byer eine umfassende Auseinandersetzung mit dem Thema des Rassismus vorgelegt. Den Rahmen bilden dabei ihre eigenen Erfahrungen im Laufe ihres mehr als 80 Jahre dauernden und bunten Lebens. Ein eigenes Kapitel ist dem Aufwachsen als Flüchtlingskind im Montafon gewidmet. Nicht zuletzt deshalb sind die Erinnerungen auch aus Vorarlberger Sicht von besonderem Interesse.

Ein von der Wissenschaft geprägtes Leben

Das Buch Doris Byers‘ ist eine Autobiographie mit tiefgründigen Betrachtungen. Die Autorin beschreibt den Rassismus als integrativen Bestandteil der europäischen Kulturgeschichte. Kritisch reflektiert sie in dieser Hinsicht auch die eigene Familiengeschichte, die sich vor allem um ihr Elternhaus in Heiligenstadt, einem Stadtteil von Wien-Döbling, dreht. „Das Haus“ nennt Byer die von ihrem Großvater errichtete Villa. Deren Geschichte verwebt sie mit einer kritischen Auseinandersetzung mit ihrem Vater, dem Ethnologen Hugo Bernatzik (1897–1953), der seinen Lebensunterhalt vor allem als Reiseschriftsteller finanzierte. Unterstützt wurde er von seiner Ehefrau Emmy Winkler. Die Frage nach dem ideologischen Hintergrund der Arbeit ihres Vaters, der schon früh Mitglied der NSDAP war, begleitete Byer Zeit ihres Lebens. Nach einer intensiven Auseinandersetzung mit seinem Nachlass publizierte sie ihre Erkenntnisse dazu 1999 im Buch „Der Fall Hugo A. Bernatzik“.
Ihre eigene wissenschaftliche Tätigkeit startete Doris Byer relativ spät, nachdem sie zunächst an der Universität für angewandte Kunst eine Ausbildung zur Druckgrafikerin absolviert und als solche gearbeitet hatte. Mit 40 Jahren begann sie an der Universität Wien ein Studium der Geschichte, Philosophie und Ethnologie, das sie 1986 mit einer Dissertation zum Verhältnis sozialistischer Denker zu Rassentheorien abschloss. Ihre wissenschaftliche Arbeit kreiste sich in der Folge vor allem um die Verbindung von ethnologischen und historischen Fragestellungen. Außereuropäische Kulturen machte sie zum Thema von geschichtswissenschaftlichen Analysen. Neben ihrer Lehrtätigkeit am Institut für Geschichte der Universität Wien führten sie Forschungsprojekte in viele Länder der Welt, wo sie die Lebenswelten postkolonialer Gesellschaften untersuchte. Immer wieder galt ihre Aufmerksamkeit dabei dem Thema des latenten Rassismus.
Diesen erlebte Doris Bernatzik auch im persönlichen Umfeld, nachdem sie Ende der 1960er Jahre den aus Jamaika stammenden Trevor Byer kennengelernt hatte. Der Physiker hatte in Cambridge studiert und eine Stelle bei der Internationalen Atomenergieagentur angetreten. Von manchen ihrer Verwandten wurde Byer auf seine Hautfarbe reduziert. Nach der Hochzeit begleitete Doris ihren Ehemann nach Jamaika. Ihre dortigen Erfahrungen schärften den Blick für außereuropäische Gesellschaften und das Erbe des Kolonialismus. Nach der Rückkehr aus Jamaika machte ihre Tochter wiederum die Erfahrung, als Mädchen mit einer anderen Hautfarbe ein Gymnasium in Wien zu besuchen. Die Erfahrung der Andersartigkeit als Kind hatte Doris Byer schon sehr viel früher selbst erlebt, was sie im zweiten Kapitel des Buches beschreibt, das ihre Zeit als Flüchtlingskind im Montafon beinhaltet.

Kindheit im Montafon

Aus der lokalen Sicht der Vorarlberger Leserschaft ist dieses Kapitel von besonderem Interesse. Detailliert beschreibt Doris Byer die letzten Monate des Zweiten Weltkriegs und die Jahre der Nachkriegszeit, die sie im ländlichen Montafon verbracht hatte. Nachdem Wien seit Oktober 1944 verstärkt zum Ziel von Bombenangriffen geworden war, wurden vermehrt Frauen und Kinder aus der Stadt evakuiert. Der Vater der Autorin suchte für seine Familie den Weg nach Vorarlberg, da er die französische Sprache beherrschte und sich mit der zu erwartenden Besatzung verständigen konnte. Nach einer längeren Phase des hoffnungsvollen Wartens in einem überfüllten Gasthof in Tschagguns erhielt die Familie in einem Bauernhaus oberhalb von Latschau eine Bleibe.
Ihren Vater bekam sie im Montafon kaum zu sehen, denn er befand sich meist auf Reisen oder war mit der Arbeit beschäftigt. Obwohl noch nicht schulpflichtig, begleitete Doris ihre ältere Schwester in die einklassige Volkschule. In der ersten Reihe verfolgte sie den Unterricht des „Herrn Lehrer“ und wunderte sich über dessen Prügelstrafen. Einmal in der Woche unterrichtete ein Priester Religion, der „wegen seiner immer speckigen, schwarzen Soutane und seines formlosen, einen säuerlichen Geruch verströmenden Leibes“ von den Kindern nur als „Kohlensack“ bezeichnet wurde. Seinen Erzählungen aus der Bibel und den Heiligenlegenden folgte Doris mit besonderer Aufmerksamkeit, denn sie waren wesentlich spannender als die beiden einzigen Kinderbücher, die es in der Einsamkeit des Hauses am Berg zu lesen gab. Die „sieben Todsünden“ – eines der Lieblingsthemen des „Kohlensackes“ – blieben dem Kind allerdings schwer verständlich. Noch schwerer tat sie sich mit der Behauptung, dass alle nicht katholischen Menschen als Folge der Erbsünde dazu bestimmt wären, in der ewigen Hölle zu landen.
Das Problem aus Sicht des katholischen Priesters stellte die Tatsache dar, dass die Familie Bernatzik evangelisch war. Das Gefühl des Ausgeschlossen-Seins erfuhr Doris nicht zuletzt in jener Situation, als alle Kinder vor der ersten Kommunion zur Beichte gingen, sie jedoch für diese nicht zugelassen wurde, obwohl sie vom Priester für das Aufsagen des Katechismus ausdrücklich gelobt worden war. Am Integrationswillen des Kindes hatte es jedenfalls nicht gelegen, denn es beherrschte den Montafoner Dialekt so perfekt, dass die Eltern sich Sorgen machten, ob es jemals des „Hochdeutschen“ mächtig sein würde. Nichtsdestotrotz musste sie Demütigungen über sich ergehen lassen, etwa als sie als „Brüllahschlange“ verspottet und von den einheimischen Kindern verprügelt wurde. So ist es nicht verwunderlich, dass die Übersiedelung nach Wien im Herbst 1951 und die Reise „quer durch das graue, zerrissene Nachkriegsösterreich“ zu den „glücklichsten Erinnerungen“ der Kindheit Doris Byers gehört.  
„Weiße Haut Schwarze Seele“ ist jedenfalls ein sehr lesenswertes Buch – und das bei weitem nicht nur wegen des differenzierten Blicks auf die Welt in einer Vorarlberger Talschaft in der Nachkriegszeit. Darüber hinaus ist Doris Byer eine Autorin, die vor allem in der Fachwelt bekannt ist und sich weit mehr Beachtung verdient hätte, wie Matthias Dusini in einer Buchbesprechung in der Wochenzeit FALTER festgestellt hat.

Dieser Artikel ist bereits in der Print-Ausgabe der KULTUR November 2023 erschienen.

Doris Byer: Weiße Haut Schwarze Seele. Matthes & Seitz, Berlin 2022, 622 Seiten, Hardcover, ISBN 978-3-7518-0363-2, € 38

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