Die Sehnsucht nach der Mitte
Neuer Roman von Ingrid Kloser: „Aus Stille geformt“
Annette Raschner · Feb 2025 · Literatur

Die enge Freundschaft mit einem international erfolgreichen Vorarlberger Keramikkünstler hat die Schriftstellerin Ingrid Kloser vor rund zehn Jahren mit dem Töpferhandwerk in Berührung gebracht. Fasziniert von der Schönheit und Komplexität des Töpferns, beschloss die gebürtige Harderin, dem Geheimnis der alten Handwerkskunst nachzuspüren. Sie begann, Gespräche mit Töpferinnen und Töpfern unterschiedlichen Alters zu führen, Japanisch zu lernen und sich selbst an die Töpferscheibe zu setzen, um letztlich auch zu begreifen, worüber sie schreiben möchte. Das Ergebnis ist nun in Buchform bei Piper erschienen.

Asien ist bekanntlich die Wiege der Keramikkunst. Die Geschichte der japanischen Töpferkeramik beginnt um etwa 13.000 v. Christus, also noch zur Zeit der Jäger und Sammler. Im Land der aufgehenden Sonne entstanden somit die ersten Töpferkeramiken der Menschheitsgeschichte. Akiko ist eine junge Frau aus Nara, der Stadt der tausend Tempel und Buddhas, die nach Europa gereist ist, um verschiedene Herangehensweisen an das Töpferhandwerk zu lernen. In Landshut hat sie zunächst eine Keramikschule besucht und sich nun beim Töpfer Friedrich Schmuck, der in seinem alten Bauernhaus im Bregenzerwald eine Werkstatt betreibt, um eine Praktikumsstelle beworben. Es ist Frühling, die Spatzen lärmen und Friedrich ist gerade dabei, seine selbst geernteten „Grumpora mit Käs“ zu essen, als sich der Besuch ankündigt. „Ein zaghaftes Klopfen an der Tür holt ihn aus seinem stillen Staunen. So zaghaft würde niemand aus dem Dorf klopfen.“
Mit einem früheren Praktikanten hatte Friedrich so seine Mühe, aber Akiko ist anders. Sie besitzt die Fähigkeiten, die für eine gute Töpferin unerlässlich sind: Geduld, Willensstärke und Neugier. Da ist sie ihrem Meister sehr ähnlich – diesem wortkargen, etwas hölzern wirkenden Mann, der seine fantastischen Gefäße mit einem selbst gebauten Holzofen brennt und den Ton aus seinem eigenen Acker holt. Im Dorf ist Friedrich zwar nicht unbeliebt, aber er ist doch ein Außenseiter geblieben. „Friedrich ist kein Einheimischer, lediglich seine Mutter hatte verwandtschaftliche Verbindungen in den Bregenzerwald, und so verbrachte er mit seinen Eltern einige Sommer hier.“

Begreifen, was man tut

Ingrid Kloser hat sich viele Jahre in Töpferkreisen bewegt, um eine Geschichte möglichst nah am Geschehen erzählen zu können. Sie vermittelt viel Wissen um das Jahrtausende alte Handwerk, das so unendlich viel Gelassenheit benötigt. Friedrichs eigener Meister hieß Grilli und war ein Italiener. Bei ihm drehte der ambitionierte, junge Mann hunderte, schließlich tausende Teller und Tassen und wurde mit der Zeit immer besser. Dann folgte die Zeit der Lehre. „Das Lernen passierte über die Augen, aber es verging viel Zeit, bis die Hände begriffen, was sie tun sollten.“ 
Ausdauer und Durchhaltevermögen sind nicht nur beim Töpfern, sondern auch beim Schreiben gefragt. Ingrid Kloser ist eine Autorin, die all ihre Bücher mit großer Sorgfalt vor- und aufbereitet. „Die Geschichte, die sich während der langen Recherche und dann während des Schreibens herauskristallisiert hat, und die ich letztlich erzählen wollte, war dann die einer jungen Künstlerin auf der Suche nach ihrem künstlerischen Ausdruck. Das Faszinierende bei dieser Suche ist ja, und das ist bei jeder Künstlerin und jedem Künstler so, dass persönliche und künstlerische Entfaltung parallel geschehen. Ohne die persönliche Entfaltung, die kompromisslos geschehen muss, kann sich der Künstler nicht entwickeln, er kann seine Technik, seinen Ausdruck, niemals finden. Ich bin also schreibend Akiko gefolgt, wie sie persönlich an ihre Grenzen stößt und sich weiterentwickelt, und wie sie dabei stetig ihr Handwerk und die Kunst des Töpferns vorantreibt.“
Akikos Liebe für das Handwerk blüht bereits in ihrer Kindheit im japanischen Atelier ihres Onkels, einem Töpfer, auf. Auf dem Holzboden sitzend, darf das kleine Mädchen selbst kneten und formen und dem Mann bei seiner Arbeit zusehen. 
„Er schob die Shojis beiseite, um die Sonne in den Bäumen zu sehen, setzte sich mit überkreuzten Beinen auf das blaue Kissen gegenüber der chinesischen Vase, die er vor vierzig Jahren von seinem Großvater geschenkt bekommen hatte. Er sprach mit Akikos Mutter über den Taifun, der vorbeigezogen war, ohne Schaden anzurichten, über das Wetter, das jetzt wieder schön war und sicherlich bald wärmer werden würde. Dann nahm er einen der vorgefertigten Batzen Ton in die Hände und begann zu arbeiten. Manchmal schloss er die Augen, die Hände aber arbeiteten weiter, als wüssten sie von ganz allein, was zu tun ist.“

Die Kunst als zerbrechliche Blume

Bevor Akiko nach Europa reist, verspricht sie ihrem Onkel, Botschafterin zwischen Ost und West zu werden. Der Vater ist gegen die Töpferlehre und besteht auf einem Informatikstudium, die Mutter hingegen unterstützt sie. Sie wollte einst selbst eine Künstlerin werden, doch ihre Familie drängte sie zu einer arrangierten Ehe. „Die Kunst war als Argument zu zerbrechlich, sie war eine Blume, die geknickt wurde und kein Wasser mehr aufnehmen konnte.“ Derart schöne Sätze kann Ingrid Kloser schreiben, über weite Teile besticht ihre Sprache aber durch ihre schlichte, schnörkellose Eleganz. Die in Wien lebende Autorin hat im Laufe der Jahre das Ringen um den individuellen Stil, von dem im Buch auch die Rede ist, hinter sich gelassen und ihren eigenen künstlerischen Ausdruck gefunden. Seitdem überzeugt Ingrid Kloser mit berührenden, subtilen, aus dem Leben gegriffenen Geschichten. Bei dieser Geschichte ist es nicht anders, aber man muss als Leserin etwas Geduld mitbringen, denn sie wurde von der Autorin – ähnlich einer Keramikschale – aus Stille geformt und zielt zunächst einmal nicht auf Spannung ab. Doch Achtung! Auch hier macht die Analogie zur Töpferkunst, die immer wieder Überraschungen bereithält, Sinn. Der Roman nimmt gemächlich, aber sukzessive an Fahrt auf, nimmt eine unerwartete Kurve und wird zu einer psychologisch hoch interessanten Erzählung mit Motiven aus Liebesroman und Vater-Tochter-Geschichte. Mehr soll an dieser Stelle nicht verraten werden. 

Dieser Artikel ist bereits in der Print-Ausgabe der KULTUR Februar 2025 erschienen.

Ingrid Kloser: Aus Stille geformt. Verlag Piper, München 2025, 224 Seiten, Hardcover mit Schutzumschlag, ISBN-978-3-492-07263-2, € 18,50

Lesung:
6.2., 19.30 Uhr
Vorarlberger Landesbibliothek, Bregenz
www.vlb.vorarlberg.at

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