Die malerische Vermessung sozialer Verhältnisse
Katja Berger in der Bregenzer Sylvia Janschek Art Gallery
Karlheinz Pichler · Nov 2023 · Ausstellung

Anhand von fast 50 Gemälden und Collagen gibt die Bregenzer Sylvia Janschek Art Gallery derzeit einen Einblick in das aktuelle Schaffen der 1973 im steirischen Judenburg geborenen und heute in Wien und teils in Lochau lebenden und arbeitenden Künstlerin Katja Berger. Inhaltlich im Mittelpunkt der Bergerschen Werke stehen alltägliche soziale Beziehungen in all ihren Facetten, in denen immer wieder auch das Tier seinen Platz erhält. Entsprechend auch der Titel der Schau: "Embrace" (Umarmung).

Die Art, wie Katja Berger ihre Protagonist:innen nach Annäherung streben lässt, zeugt von Sehnsüchten und Wunschträumen, respektive der Suche nach Halt, Zuneigung und Anerkennung. Die formalen Ausdrucksmittel, die die Künstlerin dabei einsetzt, wirken mal surreal, dann wieder plakativ, oder märchenhaft illusionistisch und naiv-kindlich wie die Illustrationen von Kinderbüchern. Ihr persönlicher Stil ist unverwechselbar, auch wenn mitunter Anklänge an das sogenannte „Bad Painting“ etwa eines Anton Henning, Albert Oehlen, David Lynch, Werner Büttner oder aus österreichischer Sicht Terese Schulmeister oder Robert Zeppel-Sperl evident werden.
Zu ihrer aktuellen Ausstellung und ihren formalen und inhaltlichen künstlerischen Anliegen führte KULTUR mit Katja Berger das nachfolgende Interview. Das Gespräch führte Karlheinz Pichler.

KULTUR: Die Anfänge deiner kreativ-künstlerischen Tätigkeit liegen in der Fotografie und der Collage. In deinen neuen Arbeiten dominiert aber die pure Malerei, wie die aktuelle Ausstellung „Embrace“ in der Bregenzer Sylvia Janschek Art Gallery belegt. Wie ist es zu dieser Schwerpunktverlagerung in der Werkmethodik gekommen – zumindest im künstlerischen Bereich?
Katja Berger: Nach einer längeren intensiven Arbeitsphase an einer Serie von Collagen, die ich in Zusammenarbeit mit Amnesty International produziert hatte, beschloss ich, mich auf die Malerei zu konzentrieren. Die Schwerpunktverlagerung wurde durch eine besondere Gelegenheit angestoßen: Penesta Dika, Kuratorin und Gründerin der SciTechArt Association (Scientific Technological Art – Verein für wissenschaftliche und technologische Kunst) in Wien, bat mich, die Illustrationen für ihr Kinderbuch über verwahrloste Straßenhunde in Albanien zu übernehmen. Obwohl ich zuvor bereits figurativ gemalt hatte, lag mein Fokus eher auf der Verwendung von Malerei in Verbindung mit Collagen. Penesta erkannte jedoch das Potenzial meines kindlichen Malstils und wie er sich harmonisch in ihr Buch einfügen würde. Ihre Überzeugungskraft und ihr Vertrauen in meine künstlerischen Fähigkeiten haben mich letztendlich dazu gebracht, die Illustration des Buches zu übernehmen.
So begann die Vertiefung und Ausarbeitung meiner Figuren, die mich dazu inspirierte, mich mehr auf die Malerei zu konzentrieren, wie es in vorherigen, sowie der aktuellen Ausstellung „Embrace“ zu sehen ist.
KULTUR: Der Titel deiner aktuellen Ausstellung lautet „Embrace“ (Umarmung) und verweist somit auf soziale Verbindungen. Geht es dir in deiner Arbeit vor allem um den Inhalt, etwa um den Transport sozio-gesellschaftlicher Phänomene? Oder steht die Maltechnik, das künstlerische Experiment im Vordergrund? In welchem Verhältnis stehen Inhalt und Form in deinem Schaffen grundsätzlich zueinander?
Berger: In meiner künstlerischen Arbeit steht der Inhalt im Vordergrund, insbesondere die Erforschung der emotionalen und inneren Dimensionen von Menschen und Tieren. Ich arbeite rein intuitiv und lasse mich von den Gefühlswelten inspirieren. Dabei geht es mir um das Einfühlen, das Zuhören, das Zeigen von Mitgefühl und Liebe sowie um die Auseinandersetzung mit Vergangenem, Zukünftigem und den Ängsten, die uns begleiten.
Die Wahl der künstlerischen Technik, sei es Mixed Media Collage oder Öl auf Leinwand, spielt dabei eine wichtige Rolle, um den Inhalt und die gewünschte emotionale Wirkung zu transportieren. Ich wähle die Technik bewusst, um den Ausdruck und die Botschaft des Inhalts bestmöglich zu unterstützen. Die Technik ist dabei aber niemals Selbstzweck, sondern Mittel, den Inhalt zu übertragen.
KULTUR: Die Ausstellung „Embrace“ leitet sich aus dem gleichnamigen Öl-auf-Leinwand-Gemälde ab, in dem ein Tier, das etwa ein Bär sein könnte, von hinten von einer menschlichen Figur umarmt wird. Was willst du damit ausdrücken? Welche Funktion oder welche Eigenschaft mißt du diesem Tier zu, das ja in einer ganzen Serie vorkommt?
Berger: Die Serie „Embrace“ hat ihren Ursprung in einer Zeit, die nicht nur bei mir, sondern auch bei den meisten meiner Künstlerkolleg:innen von Existenzängsten, Verunsicherungen und steigenden Belastungen in allen Lebensbereichen geprägt ist; von der Ohnmacht und Fassungslosigkeit gegenüber globaler Krisen, humanitärer Katastrophen und nicht enden wollender Kriege und des dadurch entstehenden Elends.
Das umarmte Wesen ist für mich eine Art von Eisbär-Weltallfigur, die, in Ermangelung friedvoller, terrestrischer Rückzugsorte, die Flucht in die unbegrenzten Weiten des Weltalls angetreten hat.
KULTUR: Also ist es eine Eisbär-Serie, die grundsätzlich in Schwarz-Weiß-Tönen gehalten ist. Damit weicht die Serie stark von den ansonsten sehr farbigen und teils mit plakativen Farben gemalten Leinwand-Bildern ab. Was ist der Grund dafür?
Berger: Die Entscheidung, die besagte Serie in Schwarz-Weiß-Tönen zu halten, ergab sich organisch. Es war keine bewusste Entscheidung im herkömmlichen Sinne, sondern eher eine natürliche Entwicklung während des kreativen Prozesses. Die Wahl der Schwarz-Weiß-Darstellung ermöglicht es, die Essenz der Botschaft hervorzuheben und eine gewisse Abstraktion zu erreichen.
KULTUR: Auf vielen neueren Arbeiten sind Paare in unterschiedlichen Konstellationen dargestellt. Oft ergänzt durch Tiere oder Bäume oder auch Textfragmente. Die Figuren erscheinen dabei in der Darstellungsweise ziemlich reduziert. Sie erinnern an märchen- oder comicartige Visualisierungen. Was bezweckst du mit diesen Vereinfachungen? Soll dadurch die Komplexität sozialer Konstellationen für den Betrachter leichter lesbar werden?
Berger: Die Werke sollen das Leben in seinem Facettenreichtum widerspiegeln und den Betrachter dazu bewegen, über seine eigene Existenz und Erfahrungen nachzudenken. Letztendlich erzeugen die reduzierte Darstellungsweise und die unkonventionellen Szenerien eine emotionale Resonanz. Sie wecken Nostalgie und Vertrautheit, während sie gleichzeitig eine gewisse Distanz schaffen.
KULTUR: In manchen Bildserien dominiert eine hautähnliche pink-rosane Farbe. Beim Dargestellten handelt es sich vielfach um mischförmige Wesen, einem Mix aus Fantasie, Traum und Realität. Sind dies Metaphern für das Leben, deren Auslegung der Betrachterschaft überlassen werden soll? Oder was bezweckst du mit diesen teils doch schrägen Szenerien?
Berger: Es handelt sich um die Synthese von Bewusstem und Vor-Bewusstem, Traumfragmenten, die in die Realität sickern, sie zerstückeln, mitgestalten. Deren physische Repräsentanten können sich in jederlei Wesen, in jeder Art von Szenario manifestieren, wie etwa in den Werken von Leonora Carrington. Zutiefst Innerliches, Persönliches, Diffuses findet so seine Verstofflichung, die für jeden Einzelnen eine individuelle Metamorphose auslösen und durchlaufen kann.
KULTUR: Auf vielen Gemälden fehlt die Tiefenperspektive. Die Figuren scheinen im Farbraum fast zu schweben. Die Gesichter, auch bei Tieren, erscheinen als schattenlose, durchgängige Farbflächen, in die riesengroße Augen und markante Münder respektive Lippenpaare gesetzt sind. Welche Funktion kommt dieser plakativen Vereinfachung zu? Ist es ein Vermittlungsversuch zwischen der (bösen) realen Welt und der (versöhnlichen) Welt der Fantasie?
Berger: Die Reduzierung dient als Hervorhebung wesentlicher nonverbaler Kommunikationszuschreibungen und als Leitfaden für die Lesart der Werke. In der Versinnbildlichung der Schwarz-Weiß-Serie wird die Realität nicht als von Natur aus gut und harmonisch dargestellt, sondern als vom Menschen – dem „Erdzerstörer“ – verursachtes Unheil, insbesondere in Bezug auf Umweltzerstörung und soziale Probleme. Durch diese Form der Ausführung möchte ich die Betrachter auffordern, über die Auswirkungen ihres Handelns in der realen Welt nachzudenken.
KULTUR: Im Begleittext zur Ausstellung wird darauf verwiesen, dass es dir letztlich um existentielle, zwischenmenschliche Fragen geht, um Identität, um die Suche nach Stärke und Verbundenheit. Woher nimmst du deine Motive – aus Medien wie Internet, Fotografie oder Zeitschriften? Und was für eine Rolle spielt das „eyeballing“ (ein Begriff, den David Hockney geprägt hat) deiner unmittelbaren Umgebung?
Berger: Eine wichtige Rolle spielt tatsächlich meine nähere Umgebung, sie bildet oft den Ausgangspunkt für Szenarien und Themen, die mich gefangen nehmen und die ich dann bearbeite.
Ich beobachte Menschen in meiner unmittelbaren Umgebung, erfasse ihre Geschichten und halte sie in fotografischen Porträts fest. Diese realen Begegnungen und Erlebnisse prägen oft meine Motive. Zudem lasse ich mich von anderen Künstlern wie z. B. Martin Maloney inspirieren, dessen Bilder meine künstlerische Entwicklung maßgeblich beeinflusst haben. Auch in Filmen von Regisseuren wie David Lynch, Greta Gerwig oder Sidney Lumet u. a. finde ich viele bemerkenswerte Referenzen, die mich bereichern und den Prozess vorantreiben.
Es ist eine Kombination vieler verschiedener Einflüsse und meiner eigenen kreativen Interpretation, die meine Motive formen und meine künstlerische Ausdrucksweise prägen.

Katja Berger: Embrace
bis 25.11.
Finissage: 25.11., ab 11.00 Uhr
Di – Sa 14 – 18 Uhr
Sylvia Janschek Art Gallery, Bregenz
https://www.janschek.art

 

 

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