Die Fragmentierung der (Bilder)Welt – Veronika Dirnhofer im Lustenauer BE 2226 Karlheinz Pichler · Jän 2023 · Ausstellung

In den ehemaligen Ausstellungsräumen der Galerie Häusler Contemporary im Lustenauer Baumschlager-Eberle-Gebäude 2226 im Millenniumpark sind derzeit ganz neue, großformatige Collagen auf Leinwand sowie kleinformatige Gemälde und Keramiken der 1967 in Horn geborenen und in Vorarlberg aufgewachsenen Künstlerin Veronika Dirnhofer zu sehen. Im gesamten Schaffen der Künstlerin spielen Bezüge zu aktuellen politischen und gesellschaftlichen Themen sowie Texte eine zentrale Rolle.

Konkret präsentiert die Künstlerin, die seit einem Vierteljahrhundert in einem alten Bauernhaus im niederösterreichischen Phyrn wohnt, das sich im Laufe der Zeit zu einem „orchestrierten Chaos in dem es viel zu schauen gibt“ („Der Standard“, 21.6.2021), gewandelt hat, in Lustenau 25 Werke: Drei Keramik-Skulpturen, dreizehn kleine Mischtechniken auf Leinwand im Format 30 mal 24 Zentimeter sowie neun großformatige Mischtechniken (Collagen) auf Leinwand, die fast durchwegs die Maße 200 mal 150 Zentimeter aufweisen. Wie Veronika Dirnhofer wissen lässt, liebt sie das Großformat speziell deshalb, weil es in etwa ihrer Körpergröße entspreche und für sie das künstlerische Vorgehen einen „Dialog mit der Leinwand“ darstelle.      
Dirnhofers Denken ist durch und durch politisch und von gesellschaftlicher Verantwortung geprägt. Die Kunst als reflexiver Handlungsraum bietet ihr die Möglichkeiten und Freiheiten, sich zentraler Themen anzunehmen und diese assoziativ und nicht streng wissenschaftlich aufzuarbeiten und sichtbar zu machen. Zu diesem Zweck baut sie Abbildungen, Textauszüge aus Büchern und Zeitschriften oder auch Fotografien genauso ein, wie auch Zitate aus Literatur, Poesie oder Geschichte und eigene Notizen. Elsy Lahner, Kuratorin für zeitgenössische Kunst bei der Wiener Albertina, bezeichnet die Großformate Dirnhofers in einem Essay als intime Denkräume. Die Künstlerin kreiere „Landschaften, die zwischen Abstraktion und Figuration changieren und als fiktive Orte den Schauplatz und das Grundgerüst für ihre Reflexionen darstellen. In Malerei oder Zeichnung werden unterschiedliche Elemente als Gefühle, Gedanken und Überlegungen in den Bildträger eingeschrieben. Einzelne Komponenten aus Tafellack, Ölfarbe oder Tusche verbinden sich zu einem Konglomerat. Die Arbeiten setzen sich oftmals aus unterschiedlichen Schichten zusammen. Verschiedenartige Papierqualitäten – Zeichenpapier, Transparentpapier, Millimeterpapier – überlappen und überlagern sich collageartig und generieren neue Bild- und Bedeutungsebenen.“      

Connected      

Entsprechend scheinen die Bilder der Künstlerin vielfach aus vielen Einzelbildern zusammengesetzt zu sein. Waren es frühere unzählige Farbschichten, die Dirnhofer zu komplexen Bildräumen aufbaute, so sind es heute die Bildträger selbst, die sie zerstückelt und zerschneidet und zu unterschiedlichsten neuen Formationen zusammenkomponiert. Wie sich die Schollen überlappen, wenn sich ein Pflug durch die Ackerfurchen frisst, verschränken sich auch bei Dirnhofer einzelne Bildteile zu einer vielstimmigen Gesamtheit. Nicht von ungefähr übertitelte sie ihre Einzelausstellung im Haus BE 2226 mit „Connected“.       
Ein Bild Dirnhofers steht daraus folgernd gleichsam für viele Bilder. Der Kunsthistoriker Andreas Spiegel, der am Institut für Kunst- und Kulturwissenschaften an der Akademie der bildenden Künste in Wien unterrichtet, in dem nach einem Zitat von Ingeborg Bachmann übertitelten Dirnhofer-Katalog „Wir alle hoffen auf dieses Land und dieses Meer“: „Offensichtlich aus Einzelstücken zusammengesetzt, setzt sich das Werk von Veronika Dirnhofer ab vom Einzelwerk, versetzt das singuläre Werk in ein plurales – und das zeigt sich in den Malereien genauso wie in den Keramiken: Der Begriff von einem Werk findet sich übersetzt in Ensembles, in Gemeinsames, das jedes Einzelstück mit den anderen teilt, eine Mit-Teilung, die sie mit-einander teilen.“       

Eine Skulptur ist viele Skulpturen zugleich      

In offenkundiger Verwandtschaft zu den Leinwandarbeiten sind auch die Keramik-Skulpturen zu sehen, die seit Jahren ebenfalls zu einem wichtigen Ausdrucksmittel der Dirnhoferschen Kunstsprache geworden sind. Die Materialklumpen wirken mitunter skurril und formlos, scheinen aus einem Ganzen herausgefallen zu sein. Sie wirken einerseits bruchstückhaft, andererseits wie Zusammensetzungen. Dirnhofer benannte sie selbst einmal als „hierarchielose Körper“. Für Andreas Spiegel ist eine Skulptur der Künstlerin ident mit vielen Skulpturen. Die Keramikobjekte evozieren analog zu großformatigen Leinwandarbeiten Eindrücke der Fragmentation, Teilung und freien Zusammensetzung.
Über all diese Formalitäten hinweg sind Dirnhofers abstrakte malerische und keramische Arbeiten aber auch durch einen hohen Grad an expressiver Farbigkeit geprägt.

Veronika Dirnhofer: „Connected"
bis Ende März 2023
Haus BE 2226, Lustenau

www.baumschlager-eberle.com
www.veronikadirnhofer.com

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