Die disruptiven Rollen der Fotografie
„Bilder ohne Eigenschaften“ im Flatz Museum Dornbirn
Karlheinz Pichler · Sep 2025 · Ausstellung

Unter dem Titel „Bilder ohne Eigenschaften“ setzt sich das Flatz Museum in Dornbirn im Rahmen seiner neuen Ausstellung mit der Geschichte der Fotografie im Verhältnis zur Kunst und zu Printmedien auseinander. Konkret werden 128 Arbeiten aus der über 2.000 Exponate umfassenden „Press-Art“-Sammlung gezeigt, die der aus der Ostschweiz stammende und in Laax und Zürich lebende Medien- und Wirtschaftsanwalt Peter Nobel zusammen mit seiner Ehefrau Annette in über drei Jahrzehnten zusammengetragen haben. Selektiert und ausgewählt hat die Werke, die im weitesten Sinn sämtlich mit dem gedruckten Wort und dem gedruckten Bild in Zusammenhang stehen, der Schweizer Publizist und Hochschuldozent Christoph Doswald, der die Ausstellung auch kuratiert. Doswald hat beispielsweise unter dem Titel „Landscapes of Desire“ zusammen mit Paolo Bianchi 2023 die 4. Industrial Art Biennale (IAB) in Labin, Raša, Pula and Rijeka (Kroatien) verantwortet. Der Dornbirner Kulturamtsleiter Roland Jörg meinte bei der Eröffnung am 4. September, so eine überwältigende Ausstellung hätte er im Flatz Museum noch nie gesehen.

Anhand von Werken etwa von Man Ray, Alexander Rodtschenko, Henri Cartier-Bresson, Andreas Gursky, Gilbert & George, Olaf Breuning, Daniele Buetti, Barbara Kruger, Robert Capa, Vik Muniz, Jules Spinatsch oder Thomas Ruff, will Doswald im Flatz Museum den Blick auf ein allgegenwärtiges Bild-Medium im Wandel der Zeit richten, „dessen disruptive Rolle vor dem Hintergrund der KI-Debatte zusätzliche Relevanz erhält“, wie er betont. Generell werde ja das Wirklichkeitsempfinden durch vorgefertigte Bilder und deren massenhafte Verbreitung durch Print-Medien stark beeinflusst, hält Doswald fest. Dieser Wirkungszusammenhang soll durch die Schau in Dornbirn besonders herausgearbeitet werden. Und zwar nicht nur anhand von bereits kunstgeschichtlich verankerten Positionen, sondern auch durch ganz neue Statements.
Die Befürchtung, dass eine sich neu ausbreitenden Technologie wie etwa die künstliche Intelligenz eine ganze Berufsgruppe zum Verschwinden bringen wird, ist nicht neu. Als die Fotografie Mitte des 18. Jahrhunderts begann, sich durchzusetzen, kamen viele Maler und Zeichner unter Druck und verloren ihre Lebensgrundlagen. Doswald verwies in seiner Vernissagerede in diesem Zusammenhang auf ein berühmtes Zitat des französischen Lyrikers Charles Baudelaire (1821–1867), der damals meinte: „Die Fotografie ist der Todfeind der Malerei, sie ist die Zuflucht aller gescheiterten Maler, der Unbegabten und Faulen.“ Baudelaire, ein zentraler Wegbereiter der literarischen Moderne, hat sich in dieser Hinsicht gewaltig geirrt. Die Fotografie wurde zu einem wichtigen Werkzeug von Kreativen, um die Welt in allen möglichen Facetten zu erfassen. Erst die Fotografie ermöglichte es, entscheidende Augenblicke wie etwa Szenen des Ersten Weltkrieges oder die Ermordung von J. F. Kennedy im Bild festzuhalten. Und im 20. Jahrhundert begannen zahlreiche Kunstschaffende, mithilfe der Fotografie ihren visuellen Kosmos auszuweiten. 

Die Vermessung der Welt

Christoph Doswald unterteilte die Fotoschau im Flatz Museum denn auch in zwei große Kapitel: „Die Vermessung der Welt“ sowie „Die Rückeroberung durch die Kunst“. Der erste Teil setzt bei frühen Beispielen der Fotografie an. In zwei Vitrinenkästen werden eine ganze Reihe von Fotografien aus dem Jahre 1855 und der Jahre danach präsentiert. Entlang der Wände dann Werkbeispiele berühmter Fotografen, die dem Medium im 20. Jahrhundert wichtige Impulse lieferten, wie etwa von Man Ray, Henry Cartier-Bresson, Walker Evens, Robert Capa oder auch von Reinhard Öhner. 
Dass die Fotografie nach den langen Jahren der Skepsis und Kritik von der Kunst adaptiert und erobert wurde, davon zeugt der zweite Teil der Schau. Ein zentraler Blickfang hier eine monumentale Fotoarbeit des großen deutschen Fotografen Andreas Gursky, dass nur einen Text im Bild festhält. Nämlich die Seite 687 aus Robert Musils Jahrhundertroman „Der Mann ohne Eigenschaften“. Musil setzt sich hier mit nuancierten Unterschieden zwischen Begriffen wie „Zustand“ und „Vorgang“ oder „Gefühl“ und „Sinnesimpfindung“ auseinander. Ein Textfragment wird zum Bild erhöht und sichtbar gemacht. Ein Bild, das zwischen Blick und Denken changiert, das zwischen Blick und Denken vermittelt.
Auffallend in dieser Abteilung neben vielen anderen auch die Arbeit „Jorge“ aus der Serie „Pictures of Magazines“ des brasilianischen Künstlers Vik Muniz. Muniz schafft detailgenaue Porträts, die er aus kleinsten Zeitschriftenschnipseln zusammenfügt. Der eigentliche Inhalt der Zeitschrift geht hierbei komplett verloren. Die Illustrierte wird hier zum rein farbigen Gestaltungsmittel.
Oder die großformatige Arbeit „Fake News“ von Lorraine Hellwig. Hellwig fotografiert Menschen und geht dabei überaus spontan vor. Sie wolle, dass die Menschen vergessen, dass sie fotografiert werden, sagt Hellwig. Wobei sie mit „Fake News“ neben der zweischneidigen Ästhetik auch zentrale gesellschaftliche Reflexionen im Trump- und im KI-Zeitalter in Bewegung bringt.

„Bilder ohne Eigenschaften“ 
Fotografien aus der Sammlung Annette und Peter Nobel
bis 25.10.
Do 17–20, Fr 15–17, Sa 11–17 Uhr (u.n.V.)
Flatz Museum, Dornbirn
www.flatzmuseum.at

 

 

Teilen: Facebook · E-Mail