Der ernsthafte Clown
Startenor Rolando Villazón machte seinen Monteverdi-Abend in Dornbirn zum Ereignis
Fritz Jurmann ·
Mär 2025 · Musik
Einen Abend lang wurde Dornbirn am Donnerstag zum Dreh- und Angelpunkt der klassischen Musik im Bodenseeraum. Denn Ähnliches wie dieses Konzert mit dem mexikanischen Startenor Rolando Villazón und der Lautten Compagney Berlin hat man bei Dornbirn Klassik noch nie erlebt: das Kulturhaus Wochen zuvor restlos ausgebucht, das Publikum von weither angereist und in Hochspannung. Und dennoch wurde dieser Abend letztlich nur halb so lustig, wie ihn sich manche mit dem Spaßvogel unter den Tenören erwartet hatten, dafür aber musikalisch doppelt so ertragreich, spannend und tiefgründig. Letztlich war die Begeisterung am Schluss dann ungeteilt, mit doppelten „Standing Ovations“ und zwei Zugaben.
Was war geschehen? Villazón, der weltweit gefeierte Multikünstler, hatte an diesem Abend sein Clownsgesicht und die ansteckende Fröhlichkeit, mit denen er für gewöhnlich sein Publikum bei Laune hält, diesmal in der Garderobe gelassen und gab sich einen Abend lang hauptsächlich ernsthaft und seriös, ganz dem Programm mit Musik des großen Claudio Monteverdi als Zentralpunkt verpflichtet. Das wiederum war nun eine Stilrichtung, wie man sie in Vorarlberg bevorzugt in Götzis bei Concerto Stella Matutina hören kann, nicht aber bei Dornbirn Klassik. Doch das Publikum im Kulturhaus war so offen und aufnahmefähig, dass es sich rasch mit den ungewohnten Klängen des Solisten und seines speziellen Begleitensembles anfreundete und vor allem auch das Besondere daran bewunderte: die große Kunst der stilgerechten Interpretation Alter Musik, die dahintersteckt.
Ein toller Deal
Zustande gekommen war dieser tolle Deal über den heuer in die Pension scheidenden Dornbirner Kulturreferenten und Kurator Roland Jörg, den mit der Lautten Compagney Berlin eine jahrelange treue Zusammenarbeit verbindet. Als nun das Ensemble nach einer erfolgreichen Serie von acht Aufführungen von Monteverdis „L’Orfeo“ an der Semperoper Dresden gemeinsam mit Rolando Villazón gemeinsam eine Tournee mit Werken dieses Komponisten als Schwerpunkt bewusst durch kleinere Spielorte startete, gab es auch einen Zuschlag für Roland Jörg, der begeistert zugriff. Villazón in Dornbirn – das war der Hammer!
Und da wurden dann wirklich auch Jörgs kühnste Erwartungen wohl noch übertroffen. Villazón tritt schon gleich zusammen mit den 13 Musiker:innen auf, nicht gesondert als Star mit eigenem Applaus, stellt sich damit als Primus inter pares in eine Reihe mit ihnen. Das Programm verheißt nichts weniger als eine „Viaggio dell‘ Anima“, eine Seelenreise also, und umfasst jene Musikrichtung, wie sie um 1600 an der Nahtstelle zwischen Renaissance und Frühbarock als so genannte Monodie entstanden ist. Es sind vorwiegend Madrigale, also begleitete einstimmige Gesangsstücke als Vorläufer des späteren Kunstliedes, die schon damals von Liebe und Leid, von Freude und Schmerz in künstlerischer Überhöhung berichteten.
Klarheit und Schlichtheit
Das ausführliche Programmheft gibt mit deutschen Übersetzungen erfreulich detailreich Auskunft. Man kann es aber getrost auch beiseitelegen und allein der Musik lauschen, die in ihrer Vielfalt eigentlich schon den Inhalt verrät. Alles entsteht da in großer Klarheit und Schlichtheit und doch in ersten Ansätzen von Auszierungen und Koloraturen, die die Musik erst spannend und lebendig machen. Neben Monteverdi als Zentralpunkt sind dazu Werke vor allem italienischer Komponisten jener Zeit aufgeboten, aber auch Instrumentales der beiden Deutschen Heinrich Schütz und Samuel Scheidt, die in die Zeit passen.
Und da tritt nun Rolando Villazón bald in Erscheinung, nachdem er im Gespräch mit Ensembleleiter Wolfgang Katschner an der Theorbe ein Bekenntnis zu dieser speziellen Art von Musik abgelegt hat, die ihm neben seinem Standard-Repertoire mit Mozart und Verdi ein Herzensanliegen geworden ist. Und wirklich zeigt sich schon bei seinen ersten einfacheren Stücken eine enorme Affinität, er ist wie verwachsen mit dieser besonderen Gesangstechnik, verfügt mit seiner schön gerundeten Stimme auch über ein unglaubliches Volumen und ein Repertoire emotionaler Ausdrucksmöglichkeiten. Bei Monteverdis Madrigal „Quel Sguardo Sdegnosetto“ wird er erstmals mit Koloraturen gefordert, schwingt sich auch stellenweise zum vorweggenommenen Heldentenor à la Richard Wagner auf.
Klangteppich wie altes Gold
Das Ensemble bereitet ihm dazu auf historischen Originalinstrumenten und in alter Stimmung einen wunderbar verhangenen Klangteppich, alles stilistisch in höchster Authentizität und matt glänzend wie der Schimmer alten Goldes. Die Übereinstimmung mit dem Solisten ist schlichtweg perfekt, kein Wunder nach so vielen gemeinsamen Auftritten. Zwischen den Gesangsstücken ergreifen die Musiker die Gelegenheit, dem sichtlich beanspruchten Villazón, der sich dabei voll ins Zeug legt, eine Verschnaufpause zu gönnen und spielen rhythmisch fetzige Tanzsätze, zu denen man damals an den Höfen auch getanzt hat – in aller gebotenen Zurückhaltung natürlich, versteht sich. Dabei entpuppt sich der Perkussionist der Lautten Compagney mit seinen Kastagnetten, Tambourins und Trommeln zum viel bewunderten Showman der Truppe.
Zum absoluten Höhepunkt des Programms wird im zweiten Teil die große Arie des Orpheus aus Monteverdis Oper „L’Orfeo“, die 1607 am Hof von Mantua entstanden ist und heute historisch als die erste und auch nach 400 Jahren noch unverbrauchte Oper der Musikgeschichte gilt. Diese Arie „Possente Spirito“ schildert in gefühlvollen Abschnitten die Verzweiflung der Titelfigur, ans andere Ufer des Flusses zu kommen, um seine Geliebte Eurydike aus dem Hades zu retten. Es ist unglaublich, mit welchen Verzierungen, halsbrecherischen Koloraturen und Melismen Villazón da in voller Schönheit des Ausdrucks zurechtkommt und berührend rüberbringt – ganz große Sangeskunst vom Allerfeinsten! Solisten aus dem Orchester wie die Posaune, der Zink als Vorläufer der Trompete, das Fagott, die Blockflöte, die beiden Violinen, die Violone und die Harfe stellen sich zu kurzen Duett-Einschüben ein, ergeben so ein farbenreiches, kontrastreiches Gesamtbild.
Damit ist alles gesungen und gesagt, das Weitere sind stimmungsvolle Ergänzungen, die auch nach über zwei Stunden auf zunehmende Begeisterung beim Publikum stoßen, das sich so wie die Protagonisten in einen richtigen Flow hineinmanövriert haben. So sehr, dass darob am Schluss eigentlich das ganze Kulturhaus schier aus dem Häuschen gerät. Eine Genugtuung jedenfalls für Roland Jörg, der damit die Früchte seiner jahrzehntelangen Aufbau- und Ausbildungsarbeit ernten kann – auch dank Rolando, dem ernsthaften Clown.