Quand vient l'automne - Wenn der Herbst naht (Foto: Filmcoopi Zürich)
Sieglinde Wöhrer · 19. Sep 2025 · Theater

„Das wird super im Frühling, wenn ...“

„Content“ auf der Bühne im Theater Kosmos

Aus einem Roman über das Internet hat Aslı Kışlal ein Stück im Stil des Internets gemacht, in dem der Inhalt abgespielt wird wie TikTok-Videos, mit Gesichtern, die den Bildschirm ausfüllen und Geschichten, die mittendrin anfangen und abrupt abgelöst werden von neuem Material. Die Regisseurin zeigt, dass Elias Hirschls Buch auf der Bühne auch in Fragmenten funktioniert, die irgendwo anfangen und irgendwo aufhören und vor allem schnell und beliebig aufeinanderfolgen, bis sie irgendwann später weitererzählt werden.

Im Mai wurde die Theateradaption von „Content“ erstmals in Wien aufgeführt, am Donnerstag konnte die Koproduktion mit dem Schauspielhaus Wien auch im Theater Kosmos überzeugen. Das Stück präsentiert eine dystopische Welt voller Umweltkatastrophen und künstlicher Intelligenz, in der Figuren nach dem Motto „fail better“ versuchen zu funktionieren. Umgeben von Wänden aus Plastikplanen, die dem Publikum das Schlimmste ersparen, drehen sie Filmclips und schreiben Listen-Artikel mit starren Blicken zum Bildschirm – dem Publikum gerichtet. Sie machen Selfies und abgehackte Bewegungen, Handzeichen und seltsame Gebärden, die sich in regelmäßigen Abständen wiederholen. Die Herstellung der Clips und Artikel erfolgt in der Smile Smile Inc,, deren Mitarbeiterinnen sich nur ein gequältes Lächeln abringen können, wenn es unbedingt sein muss. Ansonsten fallen sie auf der Bühne und fallen rollend auf den Drehstühlen weiter in einer Choreographie der Überforderung. 
Fünf Schauspieler:innen, Tala Al-Deen, Tina Keserović, Sophia Löffler, Ursula Reiter und Maximilian Thienen, wechseln nahtlos zwischen den Charakteren hin und her, erzählen, was zwischen den Szenen passiert und erklären diese Welt, die in Phasen und Trends verläuft und in der „jeder Schritt, ein Schritt in den Gugelhupf sein könnte“. Karin verliert eine Hand und muss die Leere in ihrem Kopf füllen, Marta hat Angst ersetzt zu werden, denn ein „Algorithmus kriegt kein Burnout“, Start-Up-Jonas träumt vom Frühling, wenn er endlich Türen und Fenster hat. Eine private Feuerwehr bietet „leistbare Löschungen für alle“. Und so schnell, wie der Inhalt auf der Bühne abgespielt wird, verliert man auch den Überblick. Es gibt Erdbeben, ein Hochwasser, das laufend steigt und seltene Momente der Euphorie, in den sich die Figuren an positiven Dingen freuen können – wie dem Nokia 3310, dessen Antennen in einer verfallenen Welt immer noch senden. Auch das Publikum wird überflutet vom Irrsinn dieser Szenen und vom Text über Geheimagenten, russische Brutkastenfirmen und der künstlichen Intelligenz im Keller des ehemaligen Kohleabbaugebiets.

Doppelte und dreifache Version des Ich

Die Hauptfigur hat keinen Namen, aber eine Doppelgängerin, die eine verbesserte Version von ihr auf Instagram postet. „Ich hab das nicht geschrieben“, sagt dieses Ich, das anfangs noch im Hintergrund bleibt und dann verdoppelt, verdreifacht und ersetzt wird, bis auch alle anderen zu Ichs werden und der echten Ich-Erzählerin in Hashtags aus ihrem Leben berichten. Content zeigt auf absurde Weise, wie die digitale und die analoge Welt ineinander verschmelzen und gemeinsam im Chaos und im Wahnsinn versinken und wie in der Sinnlosigkeit der Kapitalismus aufblüht und treffend die Realität beschreibt: „Wir müssen den Kunden die Pakete liefern, bevor sie wissen, dass sie sie bestellen wollen.“
Passend dazu sind auch die detailreich durchdachten Kostüme (Nadine Abena Cobbina) aus Kleidungsresten, mit Taucherbrillen, Lidl-Socken und Karins Handy im Putzflaschencover gehüllt. Das Bühnenbild (Shahrzad Rahmani) bewegt sich und darin eingequetscht und an die Wand gedrückt ist die Ich-Figur ohne Identität. Musik (Uwe Felchle), Geräusch- und Lichteffekte (Chris Pichler) reichen aus, um einen Eindruck der Zerstörung zu vermitteln und die jeweils passenden Stimmungen zu erzeugen.

Weitere Vorstellungen: 19./20./24./25./26.9., jeweils 20 Uhr
Theater Kosmos, Bregenz
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