Das Jüngste Gericht Amrei Wittwer · Mär 2025 · Ausstellung

Zwischen romanischen Grundmauern und barocken Fresken positioniert Uwe Jäntsch „Das Jüngste Gericht“ als monumentales Tafelbild in einem Format von 8 x 8 Metern. Angelehnt an die Tradition der Kirchenmalerei ist sein Werk eine Auftragsarbeit und wurde vor Ort und speziell für den Kunstraum Johanniterkirche Feldkirch erschaffen. So transzendiert das Werk passgenau die Mystik des Ortes.

Rebellion auf heiligem Boden? 

Die Johanniterkirche Feldkirch ist seit 30 Jahren Kunstraum, dennoch wurde sie nicht profaniert, sie bleibt ein geweihter Ort. Bewusst hat sich Bischof Benno Elbs dafür entschieden, Kunst mit internationalem Niveau auf heiligem Boden zu zeigen, den Dialog und auch die Konfrontation zwischen Raum und Werk im stillen Halbdunkel zuzulassen.
Der zeitgenössische Künstler Uwe Jäntsch wählt für diesen klerikalen Kunstraum ein religiöses Motiv. Religiöse Kunst wirkt auf den ersten Blick etwas altmodisch, bestimmte sie doch den überwiegenden Teil der historischen Genres bis in die Mitte des 17. Jahrhunderts. Auf den zweiten Blick ist der Gestus von Uwe Jäntsch nicht nur stimmig, sondern auch rebellisch: In einer Zeit der Multi-Options-Gesellschaft, der All-Welt-Esoterik und eines beinahe obszönen Kunstmarktes des „Everything Goes“ besinnt sich Jäntsch mit seinem neuen Werk auf die lokale und traditionelle Mystik des katholischen Christentums. Der Maler erschafft sein Werk neu und vor Ort in einem Raum voller Geschichte. Er setzt sich selbst und seinen Werkprozess damit mutig nicht nur der Gefahr eines Versagens, sondern auch dem Genius Loci, der speziellen Atmosphäre des Ortes aus: Er arbeitet im kalten, feuchten Frühjahr wochenlang auf einem provisorischen Gerüst ohne Wasser und Heizung bei 0 °C direkt neben den 27 Gräbern von Mönchen und Priestern. Die Bedingungen seien „gut, aber auch sehr fordernd, gerade angemessen für die Arbeit am Jüngsten Gericht“, sagt Jäntsch.

„Real-Talk“ am Tag der Abrechnung

 Uwe Jäntsch positioniert sein Retabel, seine „rückwärtige Tafel“ nicht traditionsgemäß hinter dem neugotischen Hochaltar, sondern gegenüberliegend, direkt vor dem Ein- und Ausgang der Johanniterkirche. Um das Bild zu betrachten, muss man zwischen Tafel und Kirchenmauer passieren.
Die Christen beten in ihrem Glaubensbekenntnis, dass sie an Jesus Christus glauben, den eingeborenen Sohn, der „sitzet zu Rechten“ des allmächtigen Vaters. Sie glauben, dass er „von dannen kommen wird, zu richten die Lebenden und die Toten.“ Was sich leicht beten lässt, aber inhaltlich schwer wiegt, geht auf die alttestamentarische und antike Vorstellung zurück, dass ein Ende der Welt bevorsteht, auch Harmagedon, Apokalypse und Zeitenwende genannt. Die Urchristen und wohl auch Jesus Christus waren überzeugt, dass dieser Weltuntergang unmittelbar bevorstehe. Für Uwe Jäntsch leben wir auch heute in der bedrohlich schwelenden Ahnung des Weltunterganges: „Seit fünf Jahren prophezeien unsere Medien permanent die Apokalypse. Ich sehe das anders.“
Wie genau das Jüngste Gericht vonstatten geht, darüber sind sich die Quellen nicht einig. Konsens besteht darüber, dass es ein Gericht gibt über alle Lebenden und alle Toten, das vom Partikulargericht nach dem Tod eines jeden Einzelnen zu unterscheiden ist. Über Details des Katechismus, - etwa ob die Toten bis zum jüngsten Tag in den Gräbern liegen und in welchem Zustand der Verwesung sie „im Fleisch“ auferstehen, wie viele ewig leben und ob 1000 Jahre denn schon eine Ewigkeit sei – darüber herrscht Unstimmigkeit. Als gesichert gilt jedoch, dass dann Lamm und Löwe nebeneinander weiden.
Das Jüngste Gericht ist dominantes Thema der Malerei von Mittelalter bis in die frühe Renaissance, das Bildprogramm folgt dabei einem typischen Muster, oben in der Mitte thront Jesus Christus als „Salvator Mundi“, Erlöser der Welt, umgeben von Aposteln und Heiligen. Zu seiner Rechten sind die Seligen, links die Verdammten. Als berühmte Beispiele seien das Weltgerichtstyptichon von Hieronimus Bosch (1505) und Michelangelos „Jüngstes Gericht“ in der Sixtinischen Kapelle (1541) genannt.

Die Moral als falscher Richter

Knapp drei Stunden vor Beginn der Vernissage, nach einer Freinacht, beendet der Maler sein Werk: „Michaelangelo hat vier Jahre gebraucht, ich dreieinhalb Wochen - wir leben eben in einer anderen, schnelllebigen Zeit.“ Die Leser:innen mögen die Kirche betreten, um sich selbst ein Bild zu machen, wie Uwe Jäntsch sein Jüngstes Gericht programmiert: die Waagschaale, „der massgeregelte Baum“, „die Drehscheibe des Lebens“, das „heiße Herz Jesu“. Kunst ist mehrdeutig und deswegen widersteht sie der Entzauberung.
Betrachten wir das Bild, befinden wir uns im „ewigen Jetzt“, im „Nunc stans“: Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, Tote, Lebende und noch nicht Geborene existieren gleichzeitig. Wer ist es, der über sie alle richtet, mit acht Händen, die mit dem Zeigefinger auf andere deuten? „Die Moral hat Gott verdrängt und richtet selbstgefällig als das neue Sakrale.“ Judith Reichart spricht in ihrer Vernissage-Rede über ein Weltbild und über eine Interpretation des Werkes, in dem die Moral mit „Zepter und Reichsapfel alle Instrumente der Macht beherrscht“.
Soll die Moral unser Handeln steuern? Uwe Jäntsch sieht die Moral als „rotzfrechen Bengel“, als gefährlichen Ratgeber. Damit tritt er in die Fußstapfen von Psychologen wie Jonathan Haidt[1] und Steven Pinker[2], die uns vor unserem Moralsinn warnen. Der moralsiche Kompass scheint eingeboren in die Menschen, um das Überleben der Art Homo zu sichern. Er kann jedoch leicht manipuliert werden oder liegt überhaupt falsch. Ausgelöst wird der Moralsinn durch fünf Arten des als unmoralisch empfundenen Verhaltens: Unabhängig von unserer kulturellen Zugehörigkeit tendieren wir dazu, andere moralisch zu verurteilen, wenn sie Autoritäten oder der Gruppe widersprechen, egal ob der Widerspruch gerechtfertigt ist oder nicht – oder, wenn sie von unseren moralischen Vorstellung von körperlicher oder psychologischer „Reinheit“ abweichen. Hier gilt es, inne zu halten und den Moralsinn zu hinterfragen. Dieser Sinn warnt uns jedoch auch davor, andere zu verletzen oder unfair zu sein. Die Fairness und das Vermeiden von Verletzungen sind aus ethischer Perspektive wohl immer ein guter Ratgeber und sollten institutionell gestärkt werden. Die Erziehung unseres Sinns für Moral war traditionell eine Aufgabe der Religionen.

Das größere Ganze

„Kann es sein, dass man durch Kunst, Musik oder einen schönen Kirchenraum den Sinn des Lebens und auch den Glauben neu und anders verstehen kann?“ reflektiert Benno Elbs beim Betrachten der Johanniterkirche als Kunstraum. Bischof Elbs betont, dass geweihte Räume „in ihrer spirituell-religiösen und in ihrer ästhetischen Dimension (…) einen Bedeutungsüberschuss“ [3]aufweisen. – Einen Bedeutungsüberschuss, den laut dem deutschen Philosophen Bjung Chul Han auch das Kunstwerk als Ding für sich in Anspruch nimmt[4]. Kein Wunder, dass der Kunstraum Johanniterkirche keine Besucher:in kalt lässt.
In der Regel wird kaum zeitgenössische Kunst in den Kirchen Vorarlbergs ausgestellt. Es ist verblüffend, dass der Kunstraum Johanniterkirche so einzigartig ist, denn Kunst und Religion gehören zusammen: Die bildende Kunst stand wohl seit Menschengedenken in den Diensten der Magie und der Religion. Das Ziel der Magie war die Beherrschung - um Jagderfolg sicher zu stellen, um das Unheimliche zu bannen. Ziel der Religion ist Transzendenz. Es geht darum, zu einem größeren Ganzen zu gehören, im Fluss zu Leben und am Ende auch darum, den Tod erträglicher zu machen: Dr Rowan Willimans, Bischof von Canterbury spricht über den Zweck eines steinzeitliches Artefaktes aus Mammutelfenbein, zwei schwimmende Renntiere (11.000 v. Chr, Frankreich): „In der Kunst dieser Zeit (… ) geht es um die Sehnsucht, in die Welt einzutauchen und dort zu Hause zu sein, und zwar auf einer tieferen Ebene, und das ist tatsächlich ein sehr religiöser Impuls, in der Welt zu Hause sein zu wollen. Mitunter glauben wir, bei Religion gehe es gehe darum, nicht mehr in der Welt zu Hause zu sein, der Kern des Ganzen spiele sich anderswo im Himmel ab; doch wenn man sich die Ursprünge der Religion anschaut (…) dann ist es genau umgekehrt – es geht darum wie man im hier und jetzt lebt und wie man ein Teil dieses Lebensstroms wird.“ [5] Uwe Jäntsch malt was er sieht, und trägt dann seine Heimat in die Welt hinaus. „Ich male die Berge, die ich jeden Tag sehe, wenn ich von Bregenz nach Feldkirch fahre: die Kurfirsten der Appenzeller Alpen, den Alpstein, die drei Schwestern. Das Glänzen von Schnee in der Frühlingssonne, das gibt mir ein schönes Gefühl.“
Die Aufgabe der Kunstschaffenden ist es nicht, die großen gesellschaftlichen Probleme der Menschheit zu lösen, auf dass das Jüngste Gericht noch lange auf sich warten lasse. Das wäre die Aufgabe der Reichen und Superreichen und die Aufgabe der gesellschaftlichen Organisationsformen des Staates und der Religionen. Dennoch kann Malerei wie das Tafelbild von Uwe Jäntsch im klerikalen Raum der Johanniterkirche Feldkirch jeden und jede Einzelne zum Innehalten bewegen, ihren moralischen Instinkt zu hinterfragen. Dabei möge ihr und ihm die wechselseitige Bedingtheit und Verantwortlichkeit in und für die Gemeinschaft bewusstwerden. Auf dass unser Herz leichter wiege als eine Feder.

Costanza Lanza di Scalea begleitet die Installation während der kommenden Monate als lebendiges Stillleben.

Uwe Jäntsch: „Das Jüngste Gericht“
29.3. – 14.6.2025     
Di – Fr 10 – 18, Sa 10 – 16 Uhr
Johanniterkirche, Feldkirch
https://www.johanniterkirche.at     
http://uwejaentsch.blogspot.com


[1] Haidt, Jonathan, et al. "Moral foundations theory." Social Theorists of Morality (2017): 261.
[2] Pinker, Steven. "The moral instinct." Understanding Moral Sentiments. Routledge, 2017. 59-80.
[3] „Dem Ort auf der Spur“, Arno Egger und Karin Guldenschuh, S.14
[4] „Undinge“, Bjung Chul Han, 2021
[5] „Eine Geschichte der Welt in 100 Objekten“, Neil MavGregor, 2010, S. 56

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