Corin Curschellas: „Collecziuns 1990-2010+2022 Her Songs“ Peter Füssl · Jul 2023 · CD-Tipp

Neugierde war stets die Triebfeder ihres musikalischen Schaffens, das Kennenlernen Gleichgesinnter zwecks Eroberung bislang unbekannten Terrains – von Chur über Zürich nach Berlin und Paris, von Wien über London nach New York und letztlich, 2009, nach 33 Jahren wieder zurück nach Rueun in Graubünden führte die jahrzehntelange Entdeckungsreise, mit der sie sich selbstredend den gängigen Marktmechanismen der Musikindustrie verweigerte. Die Sängerin, Liedermacherin, Komponistin, Multiinstrumentalistin, Schauspielerin und Erforscherin der rätoromanischen Musiktradition Corin Curschellas, 1956 in Chur geboren, war nie eine Angepasste, sondern eine experimentierfreudige, nonkonformistische und mutig Suchende.

Dementsprechend hält das vom aus Vorarlberg stammenden, in Wien lebenden Graphiker Clemens Theobert Schedler adäquat zum Inhalt formschön und edel designte, anlässlich des 50-jährigen Bühnenjubiläums der Künstlerin herausgegebene Schatzkästchen Unmengen an musikalischen Überraschungen bereit. Denn kein Geringerer als Vienna Art Orchestra-Mastermind Matthias Rüegg hat auf vier CDs 60 Songs Curschellas aus den Jahren 1990 bis 2010 und 2022 zusammengestellt, die viele ihrer wichtigsten, Genre-Grenzen sprengenden Schaffensphasen eindrücklich zu Gehör führen. Aus dem VAO-Oeuvre mit Corin Curschellas als Sängerin hat er vier Stücke von vier verschiedenen Alben ausgesucht, unter anderem das 24-minütige „M – Concerto For Voices And Silence“ vom 1997-er Album „Unexpected Ways“. Churschellas musikalischen Anfänge lagen im Folk und Rock der 1970-er/80-er Jahre, später kamen Chanson, Pop, Jazz und Ethno-Einflüsse aus aller Welt dazu. Ihre Lieder interpretierte sie auf Deutsch, Englisch, Französisch, im Schweizer Dialekt und in Rumantsch, dessen musikalische Traditionen sie ab 2012 zehn Jahre lang erforscht und auf sechs CDs und in drei Büchern („La Grischa“) dokumentiert hat. Die frühesten hier versammelten Aufnahmen stammen von ihrem ersten Solo-Album „Music Loves Me“ (1992), auf dem Drummer Steve Argüelles, Keyboarder Django Bates, Bassist Mike Mondesir oder Gitarrist Christy Doran neben Schweizer Urgesteinen wie Hans Kennel oder Max Lässer vertreten waren. Es wäre bestimmt auch interessant zu wissen, wie viel die Gitarristen Marc Ribot und Noël Akchoté, Pianist Benoit Delbecq, der Kontrabassist Peter Herbert oder der brasilianische Percussionist Cyro Baptista von den Texten auf „Voices of Rumantsch“ (1997) oder von „Grischunit“ (2008) verstanden haben. Die Liste prominenter Musiker:innen ließe sich noch beliebig lange fortsetzen – von Nguyên Lê bis David Byrne. Die jüngsten, bislang unveröffentlichten Aufnahmen sind Gedichtvertonungen aus dem Jahr 2022. Zur imposanten Schatulle gehören auch zwei reich bebilderte Bücher. In einem findet man interessante Infos zum Werdegang Corin Curschellas, alle Lyrics und erhellende Details zu jedem einzelnen Stück. Im zweiten Band sind Texte zu den wichtigsten Alben, aber auch kurze Erinnerungen der Geehrten und zahlreicher Wegbegleiter:innen zu finden. Stellvertretend sei der Schweizer Schlagzeuger/Komponist Fritz Hauser zitiert: „Vor vielen Jahren – es gab damals vor allem laute Rockmusik mit dröhnenden Männerstimmen – hörte ich die Stimme zum ersten Mal. Da schwang ein Klang, der sich im Körper ausbreitete und nebst Gänsehaut vehemente Glücksgefühle auslöste. Ein Timbre wie ein Glockenvogel, eine Stimme wie ein großes Bilderbuch: Corin!“ (TOURBOmusic)   

Konzert-Tipp: Corin Curschellas & The Reyclyers Reloaded spielen am 20.7. beim JazzChur Sommerfestival im Schlossgarten Haldensstein.

Dieser Artikel ist in der Print-Ausgabe der KULTUR Juli/August 2023 erschienen.

Teilen: Facebook · E-Mail