Clemens Morgenthaler: „Jean Langlais“
Eine Biographie über das Leben und Werk des Komponisten, Organisten und Pädagogen (1907–1991)
Fritz Jurmann · Apr 2023 · Literatur

Der seit 2010 am Landeskonservatorium Feldkirch bzw. neuerdings der Stella Privathochschule tätige Pädagoge und Gesangssolist Clemens Morgenthaler macht sich über seinen eigentlichen Kernbereich hinaus zusehends auch als Autor musikwissenschaftlicher Veröffentlichungen in Print- und Audioformaten einen Namen.

Dabei geht es ihm um ein grenzüberschreitendes künstlerisches Umfeld, dessen Ansatzpunkte in der Musik des 20. Jahrhunderts liegen. So erschienen 2020 eine CD mit 38 „Frühen Liedern“ des Deutschschweizer Komponisten Othmar Schoeck (1886–1957) und die erste Buchbiografie über den belgischen Kirchenmusiker Flor Peeters (1903–1986). Als Neuerscheinung legt Morgenthaler nun die erste Monografie in deutscher Sprache über den französischen Organisten und Komponisten Jean Langlais (1907–1991) vor.
Clemens Morgenthaler wurde 1973 in Wertheim am Main geboren und an den Musikhochschulen Freiburg und Basel in Kirchenmusik und Konzertgesang ausgebildet. Neben seiner Lehrtätigkeit pflegt er mit seinem wohltimbrierten Bassbariton ein Repertoire vom Frühbarock bis zur Moderne in den Bereichen Oratorium, Lied und Oper. Konzerttourneen, Fernseh- und Rundfunkproduktionen führten ihn durch viele Länder und brachten ihn mit renommierten Regisseuren, Dirigenten und Orchestern zusammen.

Nischenprodukte

Seine sorgfältig dokumentierten Arbeiten sind als Ergebnis einer Forschertätigkeit von hohem musikwissenschaftlichen Wert und erschließen als Nischenprodukte viele teils unbekannte Bereiche im Schaffen dieser Komponisten des vorigen Jahrhunderts. Es sind vor allem Themen abseits des großen Mainstreams, mit denen Morgenthaler zuletzt nachdrücklich auf sich und seine Spurensuche aufmerksam gemacht hat. Worauf gründet sich diese Schwäche für Komponisten, welche heute etwas am Rande stehen? „Ich bin als Sänger und Gesangspädagoge den großen Werken der Gesangsliteratur verpflichtet. Es gibt aber auch, gute Musik von kaum bekannten Komponisten zu entdecken. Die Bekanntheit von Kunstwerken muss nicht immer zwingend mit deren tatsächlicher Qualität übereinstimmen. Wenn mich Werke berühren, begebe ich mich gerne auch an die Ränder der ‚klassischen‘ Musikwelt.“ Dass es sich bei seinen beiden Büchern jeweils um die Beschreibung von Organisten handelt, liegt in Morgenthalers Kirchenmusikstudium mit einer intensiven Orgel-Ausbildung begründet, die er zunächst genoss, bevor sich ihm die große Welt der Gesangskunst als Zentrum seiner musikalischen Betätigung erschließen sollte.

Gefangen im Orgel-Ghetto

Das jüngste Buch Morgenthalers enthält in musikwissenschaftlicher Präzision, mit ebenso viel Fachkenntnis wie Liebe zur Sache, die Monografie des Komponisten, Organisten und Pädagogen Jean Langlais, der am 15. Februar 1907 in La Fontenelle in der Bretagne zur Welt kam. Sein Leitspruch lautete darum auch lebenslang: „Ich bin ein bretonischer Musiker katholischen Glaubens“, und das nicht ohne jene leise Selbstironie, die ihn unter anderem zu einem der originellsten und eigenwilligsten Musiker unserer Zeit werden ließ.
Der Autor geht dabei mit einem „feinen und detaillierten Verständnis für Leben und Werk dieses Komponisten“ vor, wie das Marie-Louise Langlais, die Witwe des 1991 verstorbenen Musikers, in einem Vorwort zum Buch ausdrücklich würdigt. Er schildert sehr lebendig, wie aus dem im Alter von zwei Jahren erblindeten Jungen aus dem kleinen bretonischen Dorf, der in ärmlichen Verhältnissen aufgewachsen war, ein umjubelter Weltstar der Orgelmusik wurde. Diese schicksalshafte Biografie erschließt sich nicht nur Fachleuten der Kirchenmusik, sie ergibt für eine breite Leserschaft ein beeindruckendes Bild davon, mit welchem Mut, welcher Ausdauer und Schaffenskraft Langlais mit seiner Behinderung umging und sich als geachtete Künstlerpersönlichkeit in der weltweit bewunderten französischen Orgelschule und im internationalen Kulturleben einen Namen machte.

Der produktivste Orgelkomponist Frankreichs

Sein Wirkungsort wurde die traditionsreiche Basilika Sainte-Clotilde in Paris, wo er von 1945 bis 1987 als Titularorganist den sonntäglichen Orgeldienst versah und mit Kompositionen aufhorchen ließ, die vor allem in ihrer tiefen Glaubenskraft Eindruck hinterließen. Morgenthaler resümiert: „Quantitativ hat Langlais bei einem Gesamtwerk von 254 Opus-Nummern das größte Orgel-Œuvre im Frankreich des 20. Jahrhunderts geschaffen. Er schien in einer Art Orgel-Ghetto gefangen zu sein, aus dem es kaum ein Entrinnen gibt. Da er jedoch keine bekannten Solokonzerte, Opern und Symphonien komponierte, blieb er im außerkirchlichen Konzertleben kaum präsent.“ Morgenthaler verhalf dem von ihm so verehrten Komponisten wenigstens posthum etwas aus dieser Situation, indem er 2017 mit Studenten seiner Klasse vom damaligen Landeskonservatorium Feldkirch beim Langlais-Festival in der Bretagne ein Konzert mit Vokalmusik des Meisters gestalten durfte.
Der Autor liefert im zweiten Teil seiner Monografie auch ehrlich wertschätzende Werkbeschreibungen über das Schaffen von Jean Langlais. Er spart freilich auch nicht mit Kritik, wenn es um Stücke aus dessen letzten Lebensjahren mit langsam schwindender Schaffenskraft und zunehmenden Einschränkungen durch seine Blindheit geht. Dennoch sieht Morgenthaler in Langlais stets einen „Prediger in Tönen, einen Komponisten wahrer und authentischer Kirchenmusik, in der er seinen persönlichen Glauben im Sinne einer klingenden Theologie ausdrückt“, und stellt ihn ohne Bedenken auch gleichrangig neben die kompositorische Lichtgestalt der neueren Musik im Frankreich des 20. Jahrhunderts: „Komponisten wie Jean Langlais und Olivier Messiaen stehen für ein ehrfürchtiges, demütiges Selbstbewusstsein in ihrer Musik, das der Liturgie dient und von ihr durchformt und beseelt ist.“
Über 30 Jahre nach seinem Tod ist es um den einst gefeierten Giganten der Orgelmusik doch recht still geworden. Vielleicht wird dieses Buch ein Beitrag zu einer (Wieder-)Entdeckung des fast vergessenen Meisters von Sainte-Clotilde in Paris?

Clemens Morgenthaler: Jean Langlais, Leben und Werk des Komponisten, Organisten und Pädagogen (1907–1991), Verlag Wißner, Augsburg 2023, Gebundene Ausgabe, 226 Seiten, ISBN: 978-3-95786-304-1, € 31,50

Weitere Veröffentlichungen von Clemens Morgenthaler:
CD: Othmar Schoeck – Frühe Lieder (Clemens Morgenthaler, Bassbariton, Bernhard Renzikowski, Klavier), Label Querstand 2021, € 19,99
Buch: Flor Peeters (1903-1986): Leben und Werk, Verlag Schott, Mainz 2020, Taschenbuch, 160 Seiten, ISBN: 978-3-95983-615-9, € 17,90

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