Christus, der uns selig macht
Die Johannespassion von Johann Sebastian Bach mit dem Chorseminar Liechtenstein in Götzis
Michael Löbl ·
Apr 2025 · Musik
Gemeinsam mit dem Sinfonieorchester Liechtenstein und den Solisten Anna Gschwend (Sopran), Martina Gmeinder (Alt), Michael Nowak (Tenor), Günter Haumer (Bariton) und Huub Claessens (Bass) gelang dem Chorseminar Liechtenstein unter der Leitung von William Maxfield am Samstagabend eine berührende Wiedergabe von Bachs Johannespassion in der Kulturbühne AMBACH.
In der Kulturbühne AMBACH in Götzis, dem Sitz des Barockorchesters Concerto Stella Matutina und somit dem Zentrum für Historische Aufführungspraxis in Vorarlberg, wurde am Samstagabend Johann Sebastian Bachs Johannespassion aufgeführt – diesmal jedoch mit modernem Instrumentarium. Das bedeutet Streicher mit Stahl- statt Darmsaiten, mit modernen Bögen, Metallflöten sowie moderne Doppelrohrblattinstrumente wie Oboen und Fagott. Das Ganze in „normaler“ Orchesterstimmung auf 443 Hertz im Gegensatz zur einen um einen Halbton tieferen Barockstimmung.
Wer heute Bachs Werke aufführt, kommt allerdings an der historischen Aufführungspraxis nicht vorbei – und das ist gut so. Die Entwicklungen der letzten Jahrzehnte in Sachen Phrasierung, Agogik, Tempo und Klangbalance haben unser Hören revolutioniert. Niemand käme auf die Idee, Bach heute noch im Stil der 60er Jahre zu interpretieren, wie es etwa ein großer Dirigent wie Otto Klemperer tat. Dennoch bedeutet das nicht, dass nur Ensembles mit historischen Instrumenten Zugang zu dieser Musik haben sollten. Auch moderne Klangkörper müssen sich der historischen Praxis annähern – ohne Dogmatismus, aber mit Stilbewusstsein. Wäre das nicht so, bliebe vielen Musiker:innen der Zugang zu über hundert Jahren Musikgeschichte verwehrt. Das betrifft natürlich auch das Musikstudium. Es darf nicht sein, dass junge Musiker:innen, die Barockmusik etwa auf einer modernen Flöte oder einer Ventiltrompete spielen, von ihren Kolleg:innen aus der Alte-Musik-Abteilung schief angesehen werden.
Vier verschiedene Fassungen
Johann Sebastian Bach hat drei Passionen nach den Evangelisten Johannes, Matthäus und Markus geschrieben, wobei die letzte verschollen ist. Von der Johannespassion hat Bach selbst insgesamt vier Fassungen erstellt, weniger aus Unzufriedenheit sondern weil er für Folgeaufführungen in derselben Stadt sein Werk in neuer Form präsentieren wollte. Die verschiedenen Versionen hatten also in erster Linie praktische Gründe; auch hatte Bach Teile der Erstfassung inzwischen auch schon anderweitig verwendet und musste sich deshalb eine neue musikalische Abfolge überlegen. Heute kommt meistens eine Mischfassung zur Aufführung, die sich an der Uraufführung am Karfreitag 1724 in der Nikolaikirche Leipzig orientiert. So auch Samstagabend in der Kulturbühne AMBACH.
Gerade in Götzis ist man den Klang moderner Streichinstrumente bei Musik von Bach gar nicht mehr gewohnt und so dauert es einige Minuten, bis sich das Ohr an die Klangcharakteristik angepasst hat. Die Unterschiede sind schnell für jede:n Zuhörer:in erkennbar: Historische Instrumente und die damit verbundene Ästhetik begünstigen die Durchhörbarkeit, dynamische Kontraste und die Abstimmung der Klangbalance zwischen Chor, Orchester und Solisten. Auch alle Sänger:innen freuen sich über die tiefere Stimmung. Das moderne Instrumentarium punktet mit größerer Klangfülle, einer deutlich präsenteren Bassgruppe, makelloser Intonation vor allem bei den Bläser:innen und insgesamt mit einem einheitlicheren Klangbild. Akzente erscheinen weniger schroff, die Dynamik ist etwas eingeebnet, dafür ist aber der Gesamtklang runder und ausgeglichener.
Ein Chor mit Kraft und Charakter
Das Herzstück dieser Aufführung war jedoch der Chor. Das Chorseminar Liechtenstein bewältigte seine komplexen Aufgaben mit Bravour. Ob im aufgewühlten Eingangschor „Herr, unser Herrscher“, in den zahlreichen Chorälen oder im ergreifenden Schlusschor „Ruhet wohl“ – der Klang war durchwegs dynamisch differenziert und stimmlich ausgewogen. Besonders in den rhythmisch anspruchsvollen Passagen, etwa im Streitgespräch zwischen Pilatus und dem Volk, überzeugte der Chor durch Präzision und Ausdruck.
William Maxfield führte seine Musiker:innen mit klarer Linie und viel Feingefühl durch das Werk. Seine Interpretation war durchdacht, aber nie verkopft, emotional, aber stets kontrolliert. Dabei hielt er geschickt die Balance zwischen dramatischer Zuspitzung und meditativer Ruhe.
Eindrucksvolle Solist:innen
Unter den Solist:innen ragte vor allem Michael Nowak heraus. Der österreichische Tenor meisterte die Doppelrolle des Evangelisten und der Arien mit bewundernswerter Leichtigkeit und Ausdruckskraft. Seine fokussierte, italienisch gefärbte Stimme verband Textverständlichkeit mit Klangschönheit – eine seltene Kombination, die seine Darstellung zum Erlebnis machte.
Nicht weniger beeindruckend: Huub Claessens als Jesus. Der niederländische Bass verlieh der Figur mit seiner deklamatorischen Stärke und stimmlichen Autorität ein würdiges, beinahe greifbares Profil. Auch Günter Haumer als Pilatus überzeugte mit Charakter und Stimmfarbe. Die beiden Sängerinnen, Anna Gschwend (Sopran) und Martina Gmeinder (Alt), gaben ihren Arien emotionale Tiefe und zeigten feines Gespür für phrasiertes Singen und Innigkeit.
Das Orchester spielte auf modernen Instrumenten durchaus „historisch informiert“. Hervorzuheben sind die beiden Geiger:innen Judith Hirzberger und Mislav Pavlin, Franz Ortner am Cello, die Flötistinnen Gabriele Ellensohn-Gruber und Johanna Hollenstein, Adrian Buzac und Victor Marin (Oboe und Englischorn), Lena Marxer (Fagott), das harmonische Fundament war bei Axel Wolf an der Laute und Carlos Goikoetxea an der Truhenorgel in besten Händen.
Nächstes Jahr kann sich das Publikum auf eine Rarität aus der Romantik freuen. Aus Anlass des 125. Todesjahres des Vaduzer Komponisten Gabriel Rheinberger wird das Chorseminar Liechtenstein dessen Oratorium „Christoforus“ aufführen. Wer sich den Termin in Götzis bereits vormerken möchte: es ist Samstag, der 21. März 2026.
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