Charles Lloyd Trios: Sacred Thread Peter Füssl · Feb 2023 · CD-Tipp

Der 84-jährige Saxophonist und Flötist Charles Lloyd nutzte die Pandemie-Zwangspause zur Realisierung seines „Trio of Trios“-Projektes, das seine ungebrochene Schaffenskraft, seine bewundernswerte Kreativität und sein feines Gespür für musikalische Konstellationen im Kontext dreier hochkarätig besetzter Trio-Formationen eindrucksvoll unter Beweis stellte.

Nach „Chapel“ mit Gitarrist Bill Frisell und Kontrabassist Thomas Morgan und „Ocean“ mit Pianist Gerald Clayton und Gitarrist Anthony Wilson verließ Lloyd das in seinem Fall ohnehin weit gespannte Jazz-Territorium, um gemeinsam mit dem indischen Perkussionisten und Sänger Zakir Hussain und dem Gitarristen Julian Lage am 20. September 2020 im Rahmen eines Streaming-Konzertes seinem Faible für indische Musik und Spiritualität zu frönen. Für Lloyd, der schon in den 1950-er Jahren während seines Studiums an der University of Southern California mit dem Sitar-Virtuosen Ravi Shankar und dem Tablaspieler Alla Rakha zwei indische Großmeister kennenlernte, sich fortan intensiv mit indischer Literatur und Mystik beschäftigte und bereits 1973 mit seinem Album „Geeta“ einen wirkungsvollen Mix aus Jazzimprovisationen und indischer Musik kreierte, ist das ohnehin alles andere als Neuland. Vielmehr empfindet Lloyd diesen Aspekt seines Schaffens als „sacred thread“, eine Art Schicksalsfaden, der sich durch sein Leben zieht – dass Zakir Hussain, den er einstmals über John McLaughlin kennenlernte, ein Sohn Alla Rakhas ist, sieht er als Bestätigung dafür. Mit diesem phantastischen Tabla-Virtuosen spielt Lloyd schon seit dem großartigen Album „Sangam“ (2006) zusammen, auf dem sich auch schon die Titel „Tales of Rumi“ und „Guman“ fanden, die nun gemeinsam mit dem zwei Generationen jüngeren Julian Lage neu interpretiert wurden. Den wiederum kannte Charles Lloyd schon als zwölfjähriges Gitarrenwunderkind, das praktisch in seiner Nachbarschaft wohnte.

Während Lloyd die ersten beiden „Trio of Trios“-Alben ausschließlich mit Eigenkompositionen bestückte, steuert hier auch Zakir Hussain drei Titel bei, und Lloyd überlässt ihm mit seinen rasanten, ungemein farbenreichen rhythmischen Feuerwerken und seinem traditionell anmutenden Gesang öfters das Rampenlicht. Das gehört ohnehin wieder ihm, sobald er seine beseelten Soli bläst: Gleich zum Auftakt bestreitet er die kraftvolle Ballade „Desolation Sound“ auf dem Tenorsax, mit dem er später dem von einem exzellenten Taba-Solo eingeleiteten „Tales of Rumi“ eine tänzerische Note verleiht. Auf dem mit neuneinhalb Minuten längsten Stück „Nachekita’s Lament“, das lange Zeit von Hussains klagendem, von Julian Lage mit spannenden Saitentönen untermalten Gesang dominiert wird, beweist Lloyd seine Klasse auf der Flöte, ebenso wie auf dem balladenhaften „Kuti“. Und „Saraswati“ ist eine kraftvolle Improvisation auf dem „hölzernen Saxophon“ Tárogató. Julian Lage erweist sich als ausgesprochen wendiger und einfallsreicher Kommunikationspartner und vermag, auch wenn er sich in gewohnten Jazz- und Americana-Gefilden bewegt, durchwegs Verblüffendes beizusteuern. Bestes Beispiel dafür ist vielleicht der Closer „The Blessing“, eine stimmungsvolle und farbenreiche Duo-Improvisation mit Lloyd am Tenorsax. Eine völlige neue Variante dieses oft gespielten Lloyd-Klassikers, den dieser vor 40 Jahren gemeinsam mit dem genialen, an der Glasknochenkrankheit leidenden Pianisten Michel Petrucciani erstmals veröffentlicht hatte – der „sacred thread“ funktioniert also noch. Mittlerweile werden die „Trio of Trios“-Alben übrigens auch im Dreierpack als formschönes LP-Set angeboten.

(Blue Note)

 

Teilen: Facebook · E-Mail