Brötzmann – Bekkas – Drake: Catching Ghosts Peter Füssl · Jun 2023 · CD-Tipp

„Machine Gun“ hieß passenderweise das 1968 erschienene Album, mit dem sich der deutsche Saxophonist Peter Brötzmann in die absolute Top-Liga der Free-Jazz-Avantgardisten schoss, in der er sich nunmehr sechs Jahrzehnte lang in verschiedenartigsten und stets möglichst viele Erwartungshaltungen sprengenden Konstellationen bewegt. „Er bläst sich die Seele aus dem Leib“ - was bei vielen anderen Musikern zur blumig-wertschätzenden Redewendung verkommt, wird bei Brötzmann angesichts seiner radikal-kraftvollen, hochenergetischen und im wahrsten Sinne des Wortes atemberaubenden Ausbrüche – die mitunter den idealen Soundtrack zur musikalischen Teufelsaustreibung liefern würden – zur adäquaten Beschreibung.

Dies gab es in weit feineren Nuancen auch am 4. November 2022 im Großen Haus der Berliner Festspiele zu hören, wo Peter Brötzmann den Ehrenpreis der Deutschen Schallplattenkritik erhielt und sich anschließend mit dem marokkanischen Guembri-Spieler und Sänger Majid Bekkas und dem Chicagoer Drummer Hamid Drake zum spannenden Triolog über traditionelle Themen aus der Gnawa-Musik traf. Der durch Kooperationen mit Klaus Doldinger oder Joachim Kühn auch hierzulande bekannte Bekkas ist ein absoluter Spezialist darin, den spirituellen Ansätzen der uralten, ritualisierten Musik eine ausdrucksstarke, unter die Haut gehende Stimme zu verleihen und sie auf der dreisaitigen Langhalslaute in tranceartige Sphären voranzutreiben. Auch für Brötzmann und Drake, die seit Jahrzehnten in unterschiedlichsten Konstellationen zusammengespielt haben, ist die oftmals in ekstatische Gefilde führende Musik der aus befreiten schwarzen Sklaven entstandenen ethnischen Minderheit im islamischen Marokko alles andere als Neuland. Denn die beiden haben sich bereits 1997 beim Music Unlimited Festival im Schlachthof Wels mit dem Guembri-Meister Maleem Mahmoud Ghania und 2019 in Bologna mit dessen Bruder Maâlem Moukhtar Ghania zum in alle Richtungen offenen musikalischen Austausch im Spannungsfeld von Free-Jazz und Weltmusik getroffen, was jeweils auf exzellenten Alben festgehalten wurde. In Berlin hatte der mittlerweile gesundheitlich etwas angeschlagene Brötzmann nun zwar schon 81 Jahre auf dem Buckel, das musikalischen Vergnügen war aber nicht weniger intensiv. Hamid Drake entfachte – sich auf die archaisch wirkenden, der Guembri entlockten Basstönen einlassend – ein Feuerwerk aus vielschichtigen, an Soundfarben reichen, treibenden Grooves. Das ideale musikalische Biotop für Brötzmann, der seine expressiven Ausbrüche auf dem Tenorsaxophon dynamisch wohldosiert zur Wirkung bringt, sich reizvoll an Bekkas Stimme reibt und auch auf der klarinettenartigen Tárogato hypnotische Energien freisetzt. Gerne lässt man sich gemeinsam mit dem fabelhaft interagierenden Trio in die vier zwischen fünf und sechzehn Minuten langen Stücke heilender und gute Schwingungen verbreitender Gnawa-Musik fallen. „Catching Ghosts“ nimmt nicht nur Geister gefangen.

(ACT)

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