Bezau Beatz 2024 – die „Good Hope“-Edition – Tage 3 und 4
20 Bands an vier Tagen machen die Bregenzerwälder Metropole zum Jazz- und Impro-Mekka
Peter Füssl · Aug 2024 · Musik

12 Bands an zwei Konzerttagen, die jeweils gegen Mitternacht endeten, würden bei den meisten Menschen den Bedarf nach spannender und außergewöhnlicher Musik schon abdecken. Die „Bezau Beatz“-Familie hingegen ist dann gerade einmal schön warmgelaufen und freut sich auf die nächsten zwei Festivaltage.

Tag 3: Vom Ensemble Mutante über Daniel Erdmann’s Velvet Revolution zum Bezau Beatz Orchestra of Good Hope

Falls sich jemand wundern sollte, weshalb bei den „Bezau Beatz“ so viele Portugies:innen beteiligt sind, soll daran erinnert werden, dass es schon seit Jahren eine Kooperation mit dem alljährlich im Februar stattfindenden Porta Jazz-Festival in Porto gibt. Alfred Vogel erzählte, dass er dort jedes Jahr in der einen oder anderen Formation mitspielt, nur heuer fehlte er krankheitsbedingt, weshalb ihm gleich mehrere Festival-Konzerte zwecks mentaler und spiritueller Unterstützung gewidmet worden seien. Von dort stammen auch das Ensemble Mutante & Vera Morais. Die Sängerin hat auf höchst eigenwillige Weise ein Stück für ein Sextett komponiert, denn die Notation besteht aus Spielanweisungen und poetischen Kurztexten, die Gesten, Texturen oder Prozesse beschreiben und so den Akteur:innen ein Höchstmaß an Freiheit gewähren, die gemeinsam das Stück jedes Mal aufs Neue in Echtzeit komponieren. Das Sextett wurde fallweise auch in kleinere Duo- oder Trio-Formate aufgesplittert. Am Anfang wurden ineinander verschachtelte Texte rezitiert, anschließend mäanderten Pianistin Inês Lopes, Vibraphonist Aleksander Sever und Drummer Marco Luparia durch eine längere perkussive Passage. Vera Morais produzierte Trillerartiges, fauchte, zwitscherte, sang ein paar Töne – produzierte eine breite Palette  an verschiedenartigsten Geräuschen. Manches klang wie aus einem experimentellen Hörspiel aus den späten 1970-er/frühen 1980-er Jahren. Altsaxophonist/Flötist João Pedro Brandão, Tenorsaxophonist/Bassklarinettist Hristo Goleminov und die Sängerin steigerten die Intensiät auf ein exzessives Niveau. Inês Lopes, die die erste Viertelstunde nur in den Saiten gespielt hatte, ohne überhaupt eine Taste zu drücken, fegte nun mit wilden Clustern über die gesamte Tastatur. Aber es ist nur ein Katzensprung vom donnernden Klanggewitter zur lyrisch-romantischen Idylle – und wieder zurück. Ein höchst interessantes, kräftig beklatschtes Experiment.

Erholsam gestaltete sich dann wie immer die Seilbahnfahrt zum Panoramarestaurant Baumgarten, wo heuer die Sängerinnen Suzie Candell und Beth Wimmer, Gitarrist Roger Szedalik und Bassist Mike Bischof aka Four Trick Pony mit Folk- und Country-Sound den Genuss von Käspätzle, Schnitzel und Kaiserschmarren auf höchst angenehme Weise musikalisch umrahmten.  

Das Nachmittagskonzert ging dann wieder im Hotel Post mit Julius Windisch Immerweiter über die Bühne. Letzten Herbst hatte der Berliner Pianist und Komponist gemeinsam mit Kontrabassistin Sofia Eftychidou und Drummer Marius Wankel bei Boomslang Records das Album „In Its Own Pace“ veröffentlicht. In Bezau traten sie nun mit Trompeter Pascal Klewer und Geigerin Teresa Allgaier zum Quintett erweitert auf und vermochten mit ihrem sehr stimmigen Mix aus Komponiertem und frei Improvisiertem, Tonalem und Geräuschhaftem, Komplexem und etwas leichter Zugänglichem durchaus zu überzeugen. Der Trompeter brillierte mit flüssigen Läufen bis in höchste Höhen, dennoch ging es eher um den speziellen Gruppen-Sound, als um virtuose Höchstleistungen.

Im neuen Bezau Museum gab anschließend Manuela Schuster Einblicke in den von ihr geleiteten Tap Dance Workshop. Die Mutter des neuen Festival-Koorganisators hatte erst im Alter von 57 Jahren zu steppen begonnen und es laut Valentin „durch Disziplin und Hingabe“ rasch auf ein beachtliches Niveau geschafft. Das war für die von ihm komponierte vierteilige Suite für Tap Dance und Schlagzeug auch absolut notwendig, denn die entwickelte sich von gemütlichem Swing, über funkige Passagen zu frei improvisierten Einschüben, ehe sie in einem „schamlos bei Max Roach geklauten Motiv“ (O-Ton Valentin Schuster) endete. Ein tolles Mutter-Sohn-Duo!

Für die meisten Festival-Besucher:innen zählten die beiden Konzerte am Samstag-Abend in der Remise zu den absoluten Höhepunkten der diesjährigen Bezau Beatz.

Daniel Erdmann’s Velvet Revolution nennt der deutsche Tenorsaxophonist sein 2015 ins Leben gerufenes Projekt mit dem französischen Geiger Théo Ceccaldi und dem britischen Vibraphonisten Jim Hart. Man spricht ja schnell einmal von einem kongenialen Trio, aber hier trifft das wirklich zu, denn alle Beteiligten verfügen über ein ausgesprochen virtuoses Können und steuern auch höchst interessante Kompositionen bei, die größtenteils auf dem 2023 erschienenen Album „Message in a Bubble“ nachzuhören sind. Ihre melodisch zugänglichen Stücke, die sie einander auf den Leib zu schreiben scheinen, speisen sich souverän aus der gesamten Jazz-Historie und es ist ganz große Klasse, wie sich jeder zur höheren Ehre eines exzellenten Gruppen-Sounds und kreativen Miteinanders unvermittelt vom Begleiter zum absoluten Wahnsinn abliefernden Solisten und wieder retour entwickelt. Da blieb einem mitunter vor Staunen der Mund offenstehen - etwa bei „Maybe Tomorrow“ aus der Feder Ceccaldis mit seinen expressiven Geigen- und Sax-Soli, oder bei Jim Harts tatsächlich jede Menge Tango-Schmelz verströmendem „The Velvet Tango“. Ja, die Herren verfügen durchaus auch über musikalischen Humor, was beispielsweise auch auf Daniel Erdmanns lässig verschleppt swingender Komposition „Drunk With Happiness“ zum Tragen kommt, wo das Spiel durchaus auf angenehm Weise betrunken und wie der Soundtrack zu einem witzigen Trickfilm wirkt. „Danke, wirklich Danke!“ lautete nicht nur ein der Titel aus der Feder Erdmanns, der von einem fulminanten Vibraphon-Solos Jim Harts gekrönt war, man war auch geneigt, ihn ehrfurchtsvoll vor diesem genialen Trio auszusprechen.

Leo Genovese (Klavier), Luis Vicente (Trompete), João Pedro Brandão (Flöte), Sofia Salvo (Baritonsax), Camila Nebbia (Tenorsax), Lucien Dubuis (Bassklarinette), Demian Cabaud (Bass), Pedro Melo Alves und Alfred Vogel (Schlagzeug) – so lautete das beeindruckende Line-up des Bezau Beatz Orchestra of Good Hope, einer echten Festival-All-Star-Band. Aber der Sinn hinter diesem Projekt ging natürlich weit über den musikalischen Aspekt hinaus, wie Alfred Vogel im Vorfeld des Festivals verriet: „Mit Leo verbindet mich seit Jahren eine tiefe Freundschaft. Wir haben im Dezember, ca. vier Wochen vor Bekanntwerden meiner Erkrankung in Buenos Aires zusammen mit Camila Nebbia Aufnahmen gemacht. In den ersten Tagen nach meiner Diagnose musste ich bezüglich des Festivals rasch handeln, denn 90 Prozent des Programms standen fest. Irgendwie hat sich das dann richtig angefühlt für mich, mit Leo eine Band zusammenzustellen, als ein Ziel, aus dieser Dunkelheit wieder herauszufinden. Da es zu dem Zeitpunkt nicht klar war, ob ich das schaffen werde, habe ich sicherheitshalber Pedro Melo Alves als weiteren Drummer mit ins Boot geholt, für den Fall, dass mein Hocker leer bleiben würde …“ Gottseidank blieb der Hocker nicht leer. Den Anfang machten Genovese, Nebbia und Vogel in jenem Trio-Format, mit dem sie damals das nun aktuell fertiggestellte Album „Eyes to The Sun“ aufgenommen hatten. Genovese raste in einem unglaublichen Tempo über die gesamte Tastatur, Nebbia zelebrierte ein expressives Solo, und Vogel trommelte, als wäre nie etwas gewesen. Ein hochexplosiver Auftakt, denn selbst in den ruhigen Passagen hatte man stets das Gefühl, dass die Lunte schon wieder irgendwo lodert. Die restlichen Musiker:innen begannen im Off zu spielen und wanderten nach und nach auf die Bühne zu einer emotionsgeladenen Gruppen-Improvisation, die in ein infernales Gebläse überging. Sie verkörperten geballte Kraft und Energie, Sensibilität und Lebensfreude, Kreativität und Kommunikationsbereitschaft. Man erging sich in unkonventionellen Sound-Konstellationen, schuf aus Geräuschen und Melodiefragmenten ein unglaublich breites Sound-Spektrum, was irgendwie an die frühen, innovativen Free-Big-Bands erinnerte. Das Ganze kulminierte schließlich in einem von den beiden Drummern, den beiden Saxophonistinnen, Bass und Piano angezettelten rumpelnd-kreischenden Finale, in das schließlich auch der Rest des Orchestra einfiel. Das löste sich schließlich im Gesang „Olé, olé, olé, olé – Alfred! Alfred!“ auf, der auch vom Publikum mitgetragen wurde. Na, wenn das das Universum nicht in gute Vibes versetzt hat, weiß ich auch nicht mehr ...

Ganz andere Töne boten dann bei den „Late Beatz“ im Hotel Post noch die drei Norweger, die unter dem Namen I Like To Sleep alles andere als einschläfernden „Powerjazz to the people!“ liefern. Amund Storløkken Åse an Vibraphon und Mellotron, Nicolas Leirtrø an Bass und Baritongitarre, sowie Øyvind Leite am Schlagzeug fuhren mit schweren Grooves und harten Riffs auf, die auch Prog-Rock-Fans zum Tänzeln brachten.

Tag 4: Finale mit Iseul Kim’s Two Voices Orchestra

Am Sonntagvormittag gehört die Aufmerksamkeit traditionellerweise dem köstlichen, vom Remise-Team fabrizierten Riebel, stets wird aber auch auf ein ganz besonderes Musikerlebnis wert gelegt. Heuer sorgte Iseul Kim’s Two Voices Orchestra dafür mit seiner ganz speziellen Fusion aus koreanischer und westlicher Musik. Die aus Seoul stammende Pianistin, Komponistin und Arrangeurin Iseul Kim tingelt schon seit einigen Jahren studierenderweise durch die Welt und hat vor Kurzem das Master-Studium an der Manhattan School of Music abgeschlossen. Der besondere Reiz ihres Genre-Grenzen sprengenden Musik-Mixes ergibt sich auch aus den ungewöhnlichen Instrumentenkombinationen, wenn etwa unsere Querflöte auf die koreanische Bambus-Querflöte Daegeum trifft, oder die zweisaitige Röhrenspießgeige Haegeum auf Cello und Violine. Iseul kreierte für ihr achtköpfiges Orchester ungemein farbenreiche, oftmals etwas melancholisch gestimmte Cinemascope-Soundlandschaften. Im Stück „Yeon (Lotus)“ überraschte sie zusätzlich mit ihrem Gesang, der klang, als wäre sie einem 50-er Jahre Broadway-Musical entsprungen – nachzuhören auf dem Boomslang Records-Album „Evolving“. Iseul Kim präsentierte aber auch ihr im März geschriebenes Stück namens „Alfred“, das unter dem Eindruck von Alfred Vogels schwerer Erkrankung entstanden ist – melancholisch gestimmt, aber auch verspielt und sich kraftvoll aufbäumend. Ganz zum Schluss gab es dann noch ein locker beschwingtes, koreanisches Seemanns-Lied zum Mitsingen – der Abschied fiel tatsächlich schwer.

Aber wie heißt es so schön: Nach dem Festival ist vor dem Festival. Nächstes Jahr werden die Bezau Beatz vom 7. bis 10.8.2025 über die diversen Bühnen gehen. Wem die Zeit zu lang wird, der/die kann sich das Warten ja mit dem brandneuen Festival-Buch "Have You Met Mr. Lanz?" verkürzen.

www.bezaubeatz.at

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