Besuch vom Vierwaldstättersee
Ein ungewöhnliches Konzert fand Samstagabend im Montforthaus Feldkirch statt. Das Luzerner Sinfonieorchester unter seinem Chefdirigenten Michael Sanderling spielte Werke von Beethoven, Rachmaninow und Dvořák. Solist war der tschechische Pianist Lukáš Vondráček.
Michael Löbl ·
Sep 2024 · Konzert
Ungewöhnlich daran ist, dass es sich um ein alleinstehendes Orchesterkonzert handelt, nicht als Teil eines Zyklus, einer Reihe oder eines Festivals und mit einem hier kaum bekannten Orchester und Dirigenten. Das ist eine Ausnahme, aus dem einfachen Grund, weil es finanziell nicht möglich ist, die Kosten eines einzelnen Konzertes durch den Ticketverkauf auch nur annähernd zu decken. Dazu die abschreckend hohen Kartenpreise von über 70 Euro – es wäre interessant zu wissen, wie viele Besucher:innen des ersten Konzertes wirklich im Besitz regulärer Kaufkarten gewesen sind, diese Statistik wird aber vermutlich ein gut gehütetes Geheimnis bleiben.
Begleitet wurden die Vorbereitungen durch eine unglaublich intensive Social-Media-Kampagne, alleine über Facebook erhielt man gefühlt alle zwei Stunden Meldungen wie diese: „Große Neuigkeiten für alle Musikliebhaber! Das weltberühmte Luzerner Sinfonieorchester gibt zweimal jährlich Konzerte im Montforthaus Feldkirch. Den Auftakt macht am 21. September ein unvergesslicher Abend mit dem tschechischen Starpianisten Lukáš Vondráček. Auf dem Programm stehen Meisterwerke von Beethoven, Rachmaninow und Dvořák.“ Manchen Empfänger:innen war das anscheinend zu viel, so dass sich die angesehene Musikjournalistin Anna Mika zu folgendem Kommentar hinreißen ließ: „Nicht zu verwechseln mit dem Festival Orchester Luzern, das tatsächlich Weltgeltung hat. Das Luzerner Sinfonieorchester ist sicher ein respektabler Klangkörper, aber wirklich ‚weltberühmt‘? Wohl eher nicht.“
Im Zuge dieser allgemeinen Euphorie verlieh Stadtrat und Montforthaus-Aufsichtsrat Benedikt König in seiner Begrüßungsansprache dem Luzerner Sinfonieorchester auch noch das Prädikat „Bestes Schweizer Orchester“. Abgesehen davon, dass solch sportliche Kategorisierung immer etwas unpassend daherkommt, in diesem Fall ist sie auch definitiv falsch. Man kann ja gerne darüber streiten, ob das beste Schweizer Orchester nun in Genf oder in Zürich beheimatet ist, wenn aber schon in Luzern, dann einzig und alleine durch das Lucerne Festival Orchestra – siehe oben – dessen glänzender Stern aber jedes Jahr nur für wenige Wochen erstrahlt und am Ende des Festivals schnell wieder verglüht.
Dvořáks Meisterwerk
Und wie war jetzt eigentlich das Konzert? Gut! Künstlerisch kann man den Start dieser Kooperation Luzern / Feldkirch als absolut gelungen bezeichnen. Was man dem Orchester hoch anrechnen muss: Sie setzen nicht auf die totgerittenen Schlachtrösser wie die Rachmaninoff-Klavierkonzerte 2 und 3 oder Dvořáks „Symphonie aus der Neuen Welt“, sondern haben Raritäten wie Rachmaninows Erstes Klavierkonzert und die Fünfte von Antonin Dvořák im Reisegepäck. Ludwig van Beethovens „Egmont-Ouvertüre“ als Eröffnungsstück hatte Kraft und entwickelte eine mitreißende Steigerung bis zum fulminanten Schluss. Warum sie in der Tonart G-Dur angekündigt wurde, bleibt rätselhaft, ein Blick in die Partitur beweist eindeutig, dass Beethoven dieses Stück in f-moll komponiert hat. Antonin Dvořáks viel zu selten gespielte Fünfte Symphonie ist ein absolutes Meisterwerk und enthält eine riesige Palette an Ideen, Melodien, Stimmungen und Klangfarben. Das Scherzo hat alle Zutaten für einen Ohrwurm und im Finale fliegen so richtig die orchestralen Fetzen. Das Publikum reagierte enthusiastisch und bekam zur Belohnung Dvořáks „Slawischen Tanz“ op. 48/8 als Zugabe. Dieses positive Feedback, das Orchester und Chefdirigent Michael Sanderling entgegennehmen durften, ist schon mal ein wichtiger Puzzlestein für die weiteren Pläne einer Zusammenarbeit. Leider ist Sanderling beim nächsten Konzert im März nicht dabei. Dafür aber ein Solist mit starkem Vorarlbergbezug: der Cellist Kian Soltani. Vier Wochen nachdem er das für ihn geschriebene Cellokonzert von Marcus Nigsch mit den Wiener Symphonikern in Bregenz aufführen wird, präsentiert er in Feldkirch ein bei Cellisten wegen seiner technischen Schwierigkeiten gefürchtetes Werk: Sergei Prokofjews Sinfonia concertante.
Eine Dirigentenfamilie
Michael Sanderlings sehr plastische und deutliche Dirigiertechnik scheint nicht nur das Publikum, sondern auch das Orchester zu überzeugen, die Beifallskundgebungen der Musiker:innen wirkten jedenfalls spontan und ehrlich. Die Sanderlings sind eine Dirigentenfamilie, bei der es leicht zu Verwechslungen kommen kann. Ähnlich wie bei Familie Järvi gibt es sowohl einen dirigierenden Vater als auch dirigierende Söhne, die Järvis sind zu dritt, die Sanderlings sogar zu viert. Vater Kurt Sanderling war ein prominenter Dirigent in der Sowjetunion und der DDR, seine Söhne Thomas und Stefan zog es ebenfalls in Richtung Dirigentenpodest. Stefan Sanderling war auch zwei Jahre lang Chefdirigent beim Sinfonieorchester Liechtenstein. Der dritte Sohn Michael machte zunächst Karriere als Cellist, bevor er sich dem Dirigieren zuwandte. Er spielte solistisch u. a. mit dem Boston Symphony Orchestra oder dem Orchestre de Paris, war Solocellist im Gewandhausorchester Leipzig und Professor für Cello in Berlin, Bern und Frankfurt. Diese Professur führt er neben seiner derzeitigen Chefdirigentenstelle in Luzern weiter.
Das Luzerner Sinfonieorchester ist ein sehr gutes regionales Orchester, es steht wahrscheinlich etwas über vergleichbaren Klangkörpern in St. Gallen, Winterthur oder Lugano, auch weil es öfter reist und mehr Aufnahmen macht. Sein echtes Alleinstellungsmerkmal ist aber der Aufführungsort. Das Luzerner Sinfonieorchester ist Residenzorchester im KKL Luzern, einem der schönsten und akustisch besten Konzertsäle der Welt. Was mögen die Musiker:innen wohl über die Akustik des Montforthauses gedacht haben? Bis zu einer gewissen Lautstärke klingt das Orchester hier richtig gut, in den Anfängen der langsamen Sätze von Rachmaninow oder Dvořák zum Beispiel. Bis zum Mezzoforte strömt ein warmer, runder Klangteppich vor allem der Streicher durch das Parkett. Aber bereits knapp über einem Mezzoforte, wenn Holz- und Blechbläser und vor allem Pauken dazukommen, bricht der Klang, er wird hart und man spürt, dass die enge Orchestermuschel mit ihrer viel zu tiefen Decke den Klängen eines großen Orchesters einfach nicht standhalten kann. Wobei die Luzerner ohnehin in einer für dieses Programm erstaunlich kleinen Besetzung mit nur zwölf Ersten Violinen angereist sind. Schade, da hat man beim Bau dieses sonst so großzügigen und wirklich wunderschönen Hauses an der falschen Stelle gespart.
Magisches Nocturne
Ein ungetrübtes Vergnügen war die Interpretation des Klavierkonzertes Nr. 1 von Sergei Rachmaninow durch Lukáš Vondráček. Sein Klang ist silbrig, prägnant, kraftvoll im Forte, weich aber deutlich im Piano. Seine Agogik wirkt absolut natürlich und technisch bereiten ihm selbst die komplexesten Rachmaninow-Passagen keinerlei Probleme. Und welch magische Klänge er aus dem Steinway-Flügel herauskitzeln kann, bewies er mit Frédéric Chopins cis-moll Nocturne als Zugabe.
Fazit: Ein regelmäßiger Besuch des Luzerner Sinfonieorchesters wäre ohne Zweifel eine Bereicherung für das Feldkircher Kulturleben. Wenn man das wirklich will, muss man aber auch dranbleiben und mehrere Jahre lang die finanziellen Abgänge in Kauf nehmen. Ein Abo macht für lediglich zwei Veranstaltungen pro Saison keinen Sinn, aber mit langem Atem, interessanten Programmen, prominenten Solist:innen und einer Art Treuebonus könnte man die Leute vermutlich zum Ticketkauf animieren und als Stammkunden gewinnen.
nächstes Konzert: Luzerner Sinfonieorchester, Stanislav Kochanovsky, Dirigent; Kian Soltani, Violoncello (Werke von S. Prokofiew und P.I. Tschaikowsky)
Fr 28.2.2025, 19.30 Uhr
www.montforthausfeldkirch.com