Berührend, archaisch, feinsinnig und lange nachhallend
„Die Bagage“ – ein Gastspiel des Studio Theaters Stuttgart im Theater Kosmos
Dagmar Ullmann-Bautz · Jän 2024 · Theater

Schon das Buch von Monika Helfer, diese unprätentiöse, so wahrhaftige Aufarbeitung ihrer Herkunft, berührte und faszinierte mich. Der gestrige Theaterabend im Theater Kosmos, die Dramatisierung und Inszenierung von Lisa Wildmann, hat den Ton der Geschichte sehr genau getroffen.

 

„Die Bagage“ von Monika Helfer, erschienen am 1. Februar 2020, erzählt die Geschichte der Ursprungsfamilie von Monika Helfer – von ihrer wunderschönen Großmutter Maria und ihrem ebenso schönen wie gefürchteten Großvater Josef Moosbrugger, beginnend mit dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges im Jahr 1914. Gemeinsam mit ihren sieben Kindern – Heinrich, Katharina, Lorenz, Walter, Margarethe, Irma und Josef – lebten sie am Rande eines kleinen Bergdorfes, waren sehr arm und wurden im Dorf abschätzig als „die Bagage“ bezeichnet.

Grete wird vom Vater ignoriert

Als Josef die Einberufung erhält, beauftragt er den Bürgermeister, auf seine Frau und seine Kinder zu achten. Maria wird schwanger mit Margarethe, der späteren Mutter von Monika Helfer. Dieses Kind wird von ihrem Vater Josef ignoriert. Er schaut sie nicht an, spricht nicht mit ihr, berührt sie nie, weil er verunsichert ist. Er weiß nicht, ob sie wirklich sein Kind ist. Obwohl er zweimal auf Heimaturlaub war, gehen im Dorf Gerüchte um, dass ein Mann aus Deutschland seine Frau besucht habe.

Eine große Herausforderung

Am 1. Juni 2023 feierte die Bühnenfassung der Geschichte ihre Uraufführung im Studio Theater Stuttgart und ist seit gestern zu Gast im Theater Kosmos. Lisa Wildmann hat das Buch sehr gelungen auf zwei Stunden Spielzeit zusammengefasst. Die Herausforderung liegt darin, sich für Sätze zu entscheiden und andere zu streichen. Gerade bei diesem Buch, bei dem jeder Satz einfach wunderschön ist, war das eine große Aufgabe. Die Entscheidung, nur drei Schauspieler:innen zu besetzen, kann nur als absolut richtig bezeichnet werden. Denn so bleibt das Geheimnisvolle, das Märchenhafte und die Schlichtheit der Geschichte erhalten. „Sie gibt dem Zuschauer – wie einem Leser – die Möglichkeit, eigene Bilder zu erschaffen", darüber waren sich mein Sitznachbar und seine Begleiterin in der Pause einig.

Großartig in verschiedensten Rollen

Gundi-Anna Schick brilliert in jeder der von ihr gespielten Rollen. Als Monika Helfer erzählt sie, fragt sich, bohrt und forscht nach, sehr geradlinig, hartnäckig und grundehrlich. Ihre Darstellung des Postadjunkten, des einzigen anständigen Mannes des Dorfes, ist sehr berührend und auf liebenswürdige Weise komisch. Dem Mann aus Deutschland, Georg, verleiht sie eine klare, sehr aufrechte Ausstrahlung und dem Pfarrer  die für die damalige Zeit stimmige Bigotterie und Selbstgerechtigkeit. Die Schwierigkeit, den Bürgermeister Gottlieb Fink mit all seinen Facetten von Stolz, männlicher Lust, väterlicher Zuneigung, Wut und Verletztheit darzustellen, meistert Gundi-Anna Schick einfach großartig.

Stark und selbstbewußt

Auch Nathalie Imboden begeistert mit ihrer Bühnenpräsenz, ihrem zurückhaltenden, sehr genauen und überaus berührenden Spiel in der Darstellung der Maria, einer sehr starken, liebenden und selbstbewussten Frau. Und auch als Josef steht sie wie ein Fels in der Brandung auf der Bühne, strahlt diesen unbändigen Stolz aus, der diesen Mann so besonders und für Maria so anziehend macht. Die schmale, durch den Krieg beschädigte Figur des Josefs wird von Gundi-Anna Schick gespielt und es entsteht ein wunderschönes Bild, wenn die starke Maria ihn tröstend in den Armen hält. Als Tante Kathe, der letzten Überlebenden der sieben Geschwister, beantwortet Nathalie Imboden unaufgeregt, aber auch erleichtert die an sie gestellten Fragen.

Der kluge Lorenz

Der zwölfjährige Elias Wildmann spielt sehr beeindruckend Lorenz Moosbrugger, den besonderen Sohn von Maria, den Klugen, der seine Mutter mit dem Gewehr verteidigt und der mit List Lebensmittel besorgt.

Exakt und treffend

Klaus-Peter Platten hat eine wunderschöne Bühne und stimmige Kostüme entworfen und damit eine Bildersprache geschaffen, die der Geschichte den absolut perfekten Rahmen verleiht. Die Klänge von Julia Klomfaß halten sich gekonnt im Hintergrund. Die Töne sind sensationell schön, die unterstützenden Geräusche unaufdringlich, aber exakt und treffend.
Die Menschen im vollbesetzten Theater lauschten und schauten zwei Stunden lang hochkonzentriert zu und bedankten sich am Schluss mit jubelndem Applaus. Die vier anberaumten Termine waren in kurzer Zeit ausverkauft und auch für die eingeschobene Zusatzvorstellung gibt es leider keine Karten mehr.

https://theaterkosmos.at/

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