Die Lust am Fern-Sehen
Bert Brechts „Leben des Galilei“ im TAK
Anita Grüneis · Jän 2025 · Theater

Als erste Premiere dieses Jahres zeigte das TAK Theater Liechtenstein eine Koproduktion mit dem Théâtre National du Luxembourg. Die beiden Theater haben sich Bertolt Brechts Stück „Leben des Galilei“ ausgesucht. Inszeniert wurde es von Oliver Vorwerk, Bühne und Kostüme hat Alexander Grüner konzipiert, die Schauspieler:innen stammen vorwiegend aus Deutschland und für die Musik zeichnet die Liechtensteinerin Karin Ospelt verantwortlich. Die Aufführung dauerte fast drei Stunden mit einer kurzen Pause.

Die Bühne zeigt im offenen Halbrund eine angedeutete Himmelscheibe – oder einen Halbmond? „Das ist ein Astrolab“, wird erklärt, es zeige, wie sich die Gestirne um die Erde bewegen. Egal, wie es genannt wird, das Bühnenbild ist wirkungsvoll und unterstützt die Thematik. In der Mitte der Bühne ein langer Tisch, der mal zum Esstisch, mal zum Altar wird, aber auch als Tanz- und als Sitzfläche dient. Er ist das Zentrum dieser Welt und symbolisiert zugleich das banale Alltagsleben. Über diesem Tisch wirkt der leuchtende Himmelbogen doppelt so groß und trifft damit die ersten Worte von Bert Brechts Stück: „Nicht die Sonne scheint hell ins Studierzimmer zu Padua, sondern ,das Licht des Wissens‘ scheint hinaus“. Ist dies als Losung für die Aufführung zu sehen oder interessierte sich Regisseur Oliver Vorwerk mehr für die Wissenschaft und den Satz: „Da ist schon viel gefunden, aber da ist mehr, das noch gefunden werden kann?“

Ein sinnenfroher Forschergeist

Er will finden, dieser Forschergeist von Galileo Galilei, den Stefan Gebelhoff als wissbegierigen und sinnesfrohen Mann darstellt, der gerne isst, trinkt und überhaupt sehr gesellig ist. „Bei gutem Essen fällt mir am meisten ein“, sagt er selbst – ein bisweilen skrupelloser Forscher aus Leidenschaft und kein Stubenhocker. Sein Leben wird bereichert von seiner Haushälterin Sarti, immer mit schwarzer Lackschürze, deren Sohn Andrea, seiner Tochter Virginia und dem reichen Schüler Ludovico. Gespielt werden sie von Antonia Jungwirth, Rosalie Maes, Alisa Kunina und Georg Melich, die aber auch weitere Rollen im Stück übernehmen, wie zum Beispiel die des Kardinals Barberini.

Der Reiz des Fern-Sehens

Bert Brecht folgte seinem Protagonist:innen in fünfzehn „Bildern“ von Padua über Florenz nach Rom. Im TAK sind es einige Bilder weniger. Aber auch das reicht aus, um das Leben des Galileo bildhaft zu machen. Es ist bei Oliver Vorwerk ein rauschhaftes Leben, da wird getrunken, getanzt, gebrüllt und zwischendurch bekennt Galilei: „Ich bin 46 Jahre alt und hab noch nichts geleistet“. Dann entdeckt er das in Holland konstruierte Fernrohr, gibt es als seine eigene Erfindung aus und jeder, der durchschaut, scheint sofort von einem Orgasmus geschüttelt zu werden. Das Fernrohr wird auf den Mond gerichtet und alle singen: „That‘s amore“. Während sich die Galilei-Familie am Schauen ergötzt, zieht sich in einer Ecke ein Mann in Rot das Hemd vom Oberkörper und klebt sich mit breiten schwarzen Paketklebern ein großes Kreuz auf die nackte Brust. Merke: Big Brother Kirche ist überall! 

Viele laute Töne und Emotionen

Zeigte sich die Inszenierung von Oliver Vorwerk im ersten Teil recht lautstark und voller Emotionen, gibt es nach der Pause auch leisere Töne. Nun hat die Kirche das Sagen, beschimpft Galilei als Nestbeschmutzer und weist darauf hin, dass das Auge des Schöpfers auf jedem ruht. Die Frauen tragen rote Hoodies mit der Aufschrift LA 94 (ein Hinweis auf das Northridge-Erdbeben in Los Angeles vor 30 Jahren? Oder was?). Es wird weiter heftig getrunken und jemand schreibt mit Kreide auf den Astrolab „Das Ganze ist das Falsche“ dazu wird „sun, sun, sun“ skandiert. Galilei bleibt der Sklave seiner Gewohnheit, widerruft seine Erkenntnisse, forscht aber weiter und gibt seine Erkenntnisse seinem früheren Schüler mit nach Holland. „Besser die Hände befleckt als leer“, heißt es dazu.
Die eigentliche Botschaft dieser Inszenierung kommt am Schluss. Da sitzt Galilei an der Rampe und sinniert über das Forschersein. „Wenn Wissenschaftler, eingeschüchtert durch selbstsüchtige Machthaber, sich damit begnügen, Wissen um des Wissens willen anzuhäufen, kann die Wissenschaft zum Krüppel werden.“ Nur leider erzählt er dies sehr leise und die meisten im Publikum sind bereits vom wilden Geschehen auf der Bühne so ermattet, dass die nötige Aufmerksamkeit schwerfällt.

Kirche im Kardinalrot

Regisseur Oliver Vorwerk ist kein Geschichtenerzähler, er interpretiert Geschichten aus seiner ureigenen Lesart heraus. So vergnügt sich der Monsignore mit Galileis Tochter Virginia auf dem Tisch, und der Forscher selbst lässt bei seinem Widerruf nicht nur sinnbildlich die Hosen runter, sondern zieht sie tatsächlich aus und spielt fortan in einer langen weißen Unterhose weiter. Und das Kirchliche ist meist in tiefes Rot getaucht, so sitzt auch Eure Heiligkeit Papst Urban in Gestalt von Antonia Jungwirth im roten Hosenanzug in einem Sessel und gesteht, da die Seeleute nach den Sternenkarten verlangen: „Man kann nicht die Lehre verdammen und die Sternenkarte nehmen“. Wer das Stück von Bert Brecht nicht kannte, tat sich bisweilen schwer mit dieser Inszenierung, eine gute Klammer bildete die Musik von Karin Ospelt, die zwar auf der Originalmusik Hanns Eislers basierte, jedoch völlig eigenständig klang, das Geschehen auf der Bühne perfekt unterstützte oder auch musikalisch bebilderte. Und zuweilen spielte Karin Ospelt auch selbst auf der Bühne mit. 

weitere Aufführungen im TAK Theater Liechtenstein, Schaan: 24.1./5.2./6.2./20.2. jeweils 19.30 Uhr
Danach ist die Aufführung im April im Théâtre National du Luxembourg zu sehen und am 22. Oktober im Teatro Sociale Bellinzona.
www.tak.li

 

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