Beirut: A Study of Losses Peter Füssl · Jun 2025 · CD-Tipp

Nach seinem um eine Orgel in einer alten norwegischen Kirche zentrierten Auferstehungs-Album „Hadsel“ (2023), mit dem Beirut-Mastermind Zach Condon einen schon über die Jahre hinweg schwelenden mentalen und auch körperlichen Zusammenbruch musikalisch im Alleingang verarbeitete, legt er nun ein weit üppiger orchestriertes Beirut-Album vor. „A Study of Losses“ schrieb er als Auftragswerk für die neue Produktion des schwedischen Zirkus Kompani Giraff, die von Judith Schalanskys erfolgreichem, 2018 erschienenen und preisgekrönten Buch „Verzeichnis einiger Verluste“ inspiriert wurde. Nun wirken literarisch spannend aufbereitete Geschichten zu Verlust und Vergänglichkeit natürlich wie maßgeschneiderte Inspirationsquellen auf den von einschlägigen Ängsten und Selbstzweifeln chronisch heimgesuchten Condon, der als Großmeister in bezaubernde musikalische Arrangements gesetzter Wehklagen und wundervoll arrangierter Melancholie gilt.

Der Opener, das seltsam im Raum schwebende und eine große Ruhe verströmende „Disappearances and Losses“, führt in die melancholische Grundstimmung ein, sieben weitere Instrumentalstücke sind alle nach Mondmeeren benannt. Denn wie auf dem Cover zu lesen ist: „It is said that everything that is lost on earth ends up on the moon.“ Condon lässt seinen ureigenen, sich aus unterschiedlichsten ethnischen Musikstilen speisenden Indie-Folk-Pop, der gelegentlich auch kleine Anleihen bei der Renaissance-, Barock- oder Choral-Musik nimmt, wundervolle Blüten treiben. Wie üblich spielt er selber Ukulele, Akkordeon, Glockenspiel, Mariachi-Trompete, Keyboards, Synthesizer und Drumcomputer, lässt zusätzlich aber auch ein Streichquintett das Soundspektrum durch die effektvollen Arrangements der Cellistin Clarice Jensen beträchtlich erweitern. So folgt man liebend gerne der Einladung zum musikalischen Spaziergang auf dem Trabanten und lässt sich von den Ruhe und Gelassenheit ausstrahlenden, majestätisch erhabenen („Mare Imbrium“), hoffnungsvollen (Mare Serenitatis“, „Mare Humorum“) oder geheimnisvoll pulsierenden („Mare Nectaris“) soundtrack-artigen (Mond-)Landschaftsbildern in den Bann ziehen.


 

 


In den elf Songs dieses siebten Studio-Albums orientiert sich Condon an interessanten Passagen aus Schalanskys Buch zu Vergänglichem, Verlorenem und Verschollenem, Zerstörtem und Legendenhaftem. So besingt er mit an Weltschmerz geschulter Stimme das „Tuanaki Atoll“, jene Insel, die 1844 auf rätselhafte Weise im Südpazifik verschwunden ist – falls sie überhaupt jemals existierte. Voller Wehmut wird das Verschwinden architektonischer Meisterwerke („Villa Sacchetti“), antiker Literatur („Sappho’s Poems“) oder ausgestorbener Großkatzen („Caspian Tiger“) thematisiert. Das vom Magdeburger Naturforscher Otto von Guericke Ende des 17. Jahrhunderts aus Knochenfunden vermeintlich rekonstruierte Einhorn („Guericke’s Unicorn“) zählt hingegen zu den Fabelwesen – vielleicht lässt es Condon deshalb zu einem flotten Synthie-Rhythmus etwas aus der Rolle tanzen. Auf einigen Stücken ergeben sich aus dem eklatanten Auseinanderdriften von forcierter Rhythmik und extrem verlangsamtem Gesang besonders reizvolle Effekte („Forest Encyclopedia“ „Garbo’s Face“, „Ghost Train“, „Mani’s 7 Books“). Die 18 Tracks dieses Konzeptalbums erreichen mit einer Ausnahme nicht die Vier-Minuten-Marke, was in Summe ein kurzweiliges Vergnügen ergibt. Es ist eine grüblerische, feinsinnige Gedanken-Reise, zu der uns Zach Condon einlädt, und sie führt weit weg von der lärmenden, oberflächenverhafteten und marktschreierischen Alltagswelt, die uns mit vielfach nutzlosen Eindrücken bombardiert. Und dass es so schön ist, jemandem beim Wehklagen, beim Schwelgen in Traurigkeit zuzuhören, ist ein altes Beirut-Phänomen.

(Pompeii Recording Co.)

Dieser Artikel ist bereits in der Print-Ausgabe der „KULTUR" Juni 2025 erschienen. Hier geht es zum E-Paper.

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