Ausgerechnet Bananen Ingrid Bertel · Jän 2023 · Theater

„Kafka in Farbe“ – so nennt sich eine Koproduktion zwischen dem Theater Biel Solothurn und dem Vorarlberger Landestheater. Die Textcollage aus Kafkas Romanen, Erzählungen und Briefen erweist sich als wunderbar leicht, witzig und poetisch und enthüllt ein am Kafka-Biografen Reiner Stach geschultes Bild des großen Prager Autors.

Ein Zimmer mit so vielen Schrägen wie „Das Cabinet des Dr. Caligari“, mitten drin ein Bett und darüber ein Fenster – dieses vom expressionistischen Stummfilm inspirierte Bühnenbild hat Martin Dolnik für „Kafka in Farbe“ gebaut. Und zwischen schiefen Türen und dem Fenster, das wie ein Fallbeil herabsausen kann, spielt sich rasanter Slapstick ab. Kafka turnt, Kafka schwimmt, Kafka verwandelt sich. In einen Käfer natürlich. Aber eben auch in eine Banane.
Einer der Spieler hat sich in die überdimensionierte Bananenschale gequetscht und versucht, die Türe zu öffnen. Eine Spielerin frisst mit grober Gebärde dem Landvermesser Josef K. das Frühstück weg – naturgemäß eine Banane. Eine obergescheite Literaturwissenschaftlerin behauptet: „Das Wort Banane taucht dreimal in seinen Texten auf, das Wort Gott hingegen nicht.“ Wie ein roter Faden zieht sich das Spiel mit Bananen durch den Abend. Hätte ja auch sein können, dass sich Gregor Samsa eben nicht in einen Käfer verwandelt, sagt Aaron Hitz, der „Kafka in Farbe“ zusammen mit Max Merker entwickelt hat und darin einen von vier Kafkas spielt. So ließen sich die vielen Facetten des Autors besser darstellen. Das Ergebnis gibt ihm recht!
Dass Kafka nicht nur der verletzliche junge Mann mit Melone ist, den wir aus Schwarz-Weiß-Fotos kennen, sondern ein Autor, der sich bei Lesungen über seine eigenen Geschichten kaputtlachen konnte, diesen Hinweis verdanke er dem Kafka-Biografen Reiner Stach, fügt Merker hinzu. Und so wird dieser Abend wunderbar vielschichtig. Da gibt es zum einen die „Tür auf, Tür zu“-Komödie, dazu Slapstick wie in jenen Kinofilmen, die Kafka so liebte und in Erzählungen wie „Die Verwandlung“ in Literatur übersetzte. Da gibt es das Bett, in dem sich sehr genussvoll eine blondgelockte junge Frau räkelt, aus dem die korrekten Beamten mit Melone (Kostüme Martin Dolnik) nur so herauskugeln und um das bisweilen auch ein Maulwurf schleicht – denn neben Beamten gehören Tiere zum festen Personal im Kafka-Universum.

Geh nicht fort!

Doch dieses Bett, über dem es Morgen wird und Abend, kann eben auch Kafkas Sterbebett sein. „Geh nicht fort“, bittet er die Geliebte Dora Diamant. Schriftlich, denn sprechen kann er nicht mehr. „Ich geh nicht fort“, sagt sie - und weht in ihrem geblümten Sommerkleid zur Türe hinaus. „Aber ich gehe fort“, weiß Kafka. 
Immer wieder tauchen solche poetischen Momente auf in einem Spiel, das die vier Kafkas – Aaron Hitz, Max Merker, Janna Mohr und Milva Stark – in betörend vollkommenem Zusammenspiel präsentieren. Die Musik dazu (Aaron Hitz) klammert das Naheliegendste aus, den süffig erotischen Schlager „Ausgerechnet Bananen“. Hitz schafft ein filigranes Nebeneinander von Jazz Age Klängen und einem elektronischen Flirren, das ankündigt, was Franz Kafka immer schon wusste: „Leuchtender als ich steht neben mir ein Stern!“
Und wenn die vier Kafkas ans Ende einer Performance, die ihnen körperlich alles abverlangt, dieses stille, bescheidene Bild setzen, dann ist bis in die letzte Reihe hinein klar: Schöner kann man Franz Kafka nicht gerecht werden.

Vorarlberger Landestheater und Theater Biel Solothurn: „Kafka in Farbe" von Max Merker und Aaron Hitz
weitere Vorstellungen: 21,/24./27.1. und 2.2. jeweils um 19.30 Uhr, 29.1. um 17 Uhr
Theater am Kornmarkt, Bregenz
www.landestheater.org

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