Auf dem Weg zur Weltkarriere?
Sechs Pianist:innen der Musikakademie in Liechtenstein spielten an zwei Abenden Kammermusik und Solowerke
Michael Löbl · Feb 2025 · Musik

Für Freunde der Kammermusik gibt es einen neuen Hotspot. Knapp hinter der liechtensteinischen Grenze steht – aufwendig und geschmackvoll restauriert durch die Bregenzer Architekten Cukrowicz Nachbaur – das historische Hagenhaus, seit einem halben Jahr neuer Sitz der Musikakademie in Liechtenstein. Im Zentrum dieses Gebäudekomplexes befindet sich der Peter Kaiser Konzertsaal – nein, er ist nicht benannt nach unserem Kärntner Landeshauptmann, vielmehr nach dem gleichnamigen Liechtensteiner Historiker und Politiker.

Dražen Domjanic, Gründer und Intendant der Musikakademie, hat sich mit den neuen Räumlichkeiten einen Traum erfüllt. Wohnen, unterrichten, essen, studieren und konzertieren, alles gebündelt in einem Gebäude mit perfekter Infrastruktur. Man soll ja bekanntlich aufhören, wenn es am schönsten ist, darum wird Dražen Domjanic die Leitung der Akademie im September an den Schweizer Kulturmanager Beat Fehlmann übergeben um anschließend nur noch als Berater im Hintergrund tätig zu sein.
Im Peter Kaiser Konzertsaal, dessen Klangeigenschaften durch die weltweit renommierten Münchner Akustikspezialisten BBM Müller optimiert wurden, finden nun regelmäßig Konzerte statt, und das im Rahmen eines wohlüberlegten Schemas. Möchte man junge, hochbegabte Musiker:innen der Akademie hören, sind Dienstag und Mittwoch die richtigen Termine. Bei freiem Eintritt können Musikfreunde Solo- und Kammermusikwerke in verschiedensten Besetzungen erleben. Die Reihe „Donnerstag im Hagenhaus“ bringt internationale Künstler:innen nicht nur aus dem Klassikbereich nach Nendeln. 2025 waren beispielsweise bereits die Pianisten Seong-Jin Cho und Robert Neumann, die Barockgeigerin Chouchane Siranossian oder das Frank Dupree Jazztrio zu Gast. Durch die Termine von Dienstag bis Donnerstag vermeidet man Kollisionen mit den zahlreichen Konkurrenzveranstaltungen am Wochenende und bietet niederschwelligen Musikgenuss in verschiedensten Stilrichtungen bis hin zu Tanzveranstaltungen mit weltbekannten Livebands.

Sechs hochbegabte Pianist:innen

Die aktuelle „Intensivwoche“ leitete Milana Chernyavska, Professorin sowohl an der Kunstuniversität Graz als auch an der Hochschule Reina Sofía in Madrid. Sie zählt zu den erfolgreichsten Klavierpädagoginnen Europas und unterrichtet bereits seit 15 Jahren in Liechtenstein. Eigene Student:innen hat sie keine mitgebracht, die Leitung der Akademie achtet darauf, dass nicht ganze Klavierklassen einer Ausbildungsstätte einfach nach Nendeln verlegt werden. Aus 50 bis 60 Pianist:innen, die sich online beworben haben, hat Milana Chernyavska sechs junge Musiker:innen ausgewählt und mit ihnen eine Woche lang gearbeitet. Die Woche in Liechtenstein ist für alle Kursteilnehmer:innen prall gefüllt. Im Sinne einer ganzheitlichen Ausbildung stehen neben Solorepertoire und Kammermusik zusätzliche Unterrichtsmodule wie Improvisation, Jazz oder gesundheitliche Aspekte des Musiker:innenberufes auf der Tagesordnung. Die Teilnehmemenden des aktuellen Kurses sind alle zwischen 19 und 22 Jahre alt, studieren an verschiedenen Hochschulen in ganz Europa und heißen Guillermo Castellano Pérez (Spanien), David Conte (Italien), Arsen Dalibaltayan (Kroatien), Hao Wei Lin (Taiwan), Clara Mandler (Deutschland) und Stipe Prskalo (Kroatien). Alle haben bereits Preise bei internationalen Wettbewerben gewonnen und sind teilweise schon mehrere Jahre lang Stipendiat:innen der Musikakademie Liechtenstein.
Es ist eine grandiose Idee, neben dem Klavier-Solorepertoire auch Kammermusikwerke in das Unterrichtsschema aufzunehmen. Allerdings: mit wem soll ein Pianist / eine Pianistin Kammermusik innerhalb eines Kurses spielen, in dem ausschließlich Pianist:innen anwesend sind? Auch hier hat man eine wunderbare Lösung gefunden: Alumnis, ehemalige Stipendiat:innen der Musikakademie, bilden verschieden besetzte Ensembles um gemeinsam mit den Student:innen zu musizieren. Diesmal war es ein ausschließlich weiblich besetztes Quartett mit den Geigerinnen Larissa Cidlinsky und Runa 't Hart, Ganna Lysenko, Viola und Zita Drausnik, Violoncello. Sie waren perfekte Partnerinnen für die sechs Pianist:innen, denen jeweils ein Satz zugeteilt war, und man hätte von diesem Streichquartett gerne noch mehr gehört. So kam das Publikum am Dienstagabend in den Genuss zweier Klavierquintette in exzellenten Interpretationen mit sechs verschiedenen Pianist:innen, die man dann am folgenden Abend mit Solostücken noch besser kennenlernen konnte.

Unendlich großes Repertoire

Es gibt unglaublich viele junge Pianist:innen auf der Welt, jedes Land hat meist mehrere Musikakademien, -hochschulen oder -universitäten und jedes Jahr schließen dort zahlreiche Pianist:innen ihr Studium erfolgreich ab. Die besten dieser Auszubildenden bewegen sich bereits während ihrer Studienzeit auf einem unglaublich hohen Niveau. Wer von diesen jungen Talenten dann allerdings die erhoffte Weltkarriere machen wird, ist nur sehr schwer vorherzusagen. Um das riesige Klavierrepertoire von Bach bis zur Gegenwart zumindest in Teilen zu bewältigen, braucht es Sitzfleisch ebenso wie eine effektive Arbeitsmethode. Auch Gewinner großer internationaler Wettbewerbe haben ihre Erfolge nicht ins richtige Leben überführen können und sind bald wieder in der Versenkung verschwunden. Nicht nur eine makellose Technik, musikalisches Gestaltungsvermögen und ein ausgefeilter Klangsinn sind Voraussetzungen für eine Karriere, auch Bühnenpräsenz, Ausstrahlung und der Kontakt zum Publikum sind ebenso von entscheidender Bedeutung. Und natürlich auch das Glück, zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort zu sein, die richtigen Lehrer:innen zu finden und Leute zu treffen, die gute Kontakte haben und einem dabei helfen, ein Netzwerk aufzubauen.
Dass alle sechs Stipendiat:innen auf sehr hohem Niveau Klavierspielen können, steht außer Frage und wurde in den beiden aufeinanderfolgenden „Residenzkonzerten“ eindrücklich unter Beweis gestellt. Die Kammermusikwerke werden nicht im Rahmen des Einzelunterrichtes erarbeitet, sondern die Alumnis proben die Werke selbstständig mit den Studierenden. Die einzelnen Sätze der beiden Klavierquintette von Robert Schumann und César Franck meisterten das Quartett und alle Pianist:innen brillant. Das ist vor allem bei César Francks Quintett mit seinen fast symphonischen Dimensionen bemerkenswert, da die zur Verfügung stehende Probenzeit eher knapp bemessen war.

Prüfstein Klassik

Am Mittwochabend dann Klavier solo. Werke von Mozart, Beethoven, Chopin, Ravel und Skrjabin standen auf dem Programm. Auch hier bewunderte man die reifen Leistungen und die Professionalität der sechs jungen Pianist:innen. Die Mozart- und Beethoven-Interpret:innen hatten es am schwersten. Es könnte am Flügel, an der voluminösen Akustik des Saales liegen oder einfach daran, dass Klassik doch am schwersten zu spielen ist, weil man alles hört und jede rhythmische oder technische Ungenauigkeit gnadenlos offengelegt wird.
Großes Potential kann man dem Kroaten Stipe Prskalo attestieren. Er überzeugt durch sympathisches Auftreten, er zeigt Emotionen, dabei ist seine Körpersprache organisch und nie übertrieben. Das Ergebnis war eine eine wirklich reife und anschlagstechnisch ausgefeilte Version der f-moll Ballade von Fréderic Chopin. Aber auch der Spanier Guillermo Castellano Pérez mit Alexander Skrjabins Klaviersonate Nr. 4 und die Deutsche Clara Mandler mit Chopins Polonaise-Fantasie op. 61 hinterließen einen starken Eindruck. Ein spezieller Fall ist Hao Wei Lin aus Taiwan. Seine Interpretation von Maurice Ravels irrwitzig schwieriger Klaviermalerei „Une barque sur l’océan“ verdient absolute Bewunderung. Hao Wei Leo Lin spielt allerdings in seiner eigenen Welt, nicht der leiseste Anflug eines Lächelns kommt über seine Lippen und ob er vor Publikum oder für sich allein spielt, wird vermutlich keinen großen Unterschied machen.
Es ist sicher interessant, den weiteren Weg dieser sechs jungen Pianist:innen weiter zu verfolgen. Sie werden alle Preise bei mehreren Wettbewerben gewinnen und sich künstlerisch weiterentwickeln. Wohin und vor allem wie weit die Reise gehen wird, kann heute noch niemand prophezeien.

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