Arno Geiger: „Das glückliche Geheimnis“ Annette Raschner · Feb 2023 · Literatur

Ein Buch über sich zu schreiben, ist viel schwieriger als einen Roman, sagt Arno Geiger. Doch wer ihn ein wenig kennt, weiß, dass er Herausforderungen gerne annimmt. „Das glückliche Geheimnis“ heißt sein neues, vom Hanser Verlag publiziertes, literarisches Werk, in dem er mit entwaffnender Offenheit von Anläufen, Irrwegen und Krisen, aber auch vom Glück des Gelingens erzählt.

„Ich war jetzt achtunddreißig Jahre alt, eine kleine Berühmtheit, hatte viel Arbeit, viele Ängste, zwei Frauen und unabhängig davon zwei Leben. Ich hatte einen dementen Vater, eine rastlose Mutter, lebte mittlerweile in einer 80-Quadratmeter-Wohnung. Und manchmal weinte ich bittere Tränen, weil mir alles zu viel war.“ Zu diesem Zeitpunkt landet Arno Geiger mit dem Familienroman „Es geht uns gut“ endlich den langersehnten literarischen Coup. Doch mit dem Gewinn des Deutschen Buchpreises 2005 und dessen Folgeerscheinungen kommen Ängste und ein Beinahe-Zusammenbruch. „Am Rand kannte ich mich aus, aber nicht in der Mitte.“ In „Das glückliche Geheimnis“ zieht der 54-Jährige eine Zwischenbilanz seines bisherigen Lebens als freier Schriftsteller und offenbart zugleich, wie es der Titel schon verrät, sein glückliches Geheimnis, das für ihn lange schambehaftet war. 25 Jahre lang unternahm er ausgedehnte Fahrradstreifzüge durch Wien, um Altpapiercontainer nach für ihn Interessantem zu durchsuchen: nach Briefen, Büchern, Postkarten, Plakaten und Druckgrafiken. Was ihm wertvoll erschien, trugen er und seine damalige Freundin M. zum Auktionshaus, anderes zum Flohmarkt. Aber das Wichtigste war die Lektüre der Texte. „Die vielen Stunden auf der Straße verschafften mir einen unkonventionellen Schliff. Und die vielen gefundenen Briefkonvolute, die ich las, schärften meinen Wirklichkeitssinn. Die Vielfalt der Stimmen, die Vielfalt der Perspektiven, die vielen unterschiedlichen Vergleichsmaßstäbe: sie bildeten ein ständig wachsendes Nervengeflecht.“

Das Leben sichtbar und verständlicher machen

„Im Müll wohnt die Wahrheit", konstatiert Arno Geiger. Beim Lesen der so heterogenen Texte stößt er auf jene beiläufige Offenheit und unverkrampfte Direktheit, die fortan sein Schreiben prägen sollten. Er entwickelt ein „Gefühl für Schmerz“ und hält fest: „Das ist es, worum es mir in der Literatur geht: Das Leben sichtbar und dadurch verständlicher zu machen.“ Erfolg wird manchmal als logische Konsequenz von Talent betrachtet. In seinem neuen Buch macht Arno Geiger deutlich, dass es im Schriftstellerdasein weit mehr als das braucht. Seine ersten Jahre als Autor bezeichnet er als die schlechtesten seines Lebens. Gefangen „im Zwischenreich der Erfolglosigkeit“. In seiner Wiener Miniwohnung mit Klo am Gang brütet er über Form und Sprache, „bis ich blutig war“. Er sammelt seltene Wörter, liest, was er in die Hände bekommt, und fühlt sich dabei „merkwürdig leer“. „Vor mir türmten sich die Bücherstapel und dabei das Gefühl: So verbaue ich mir meine Zukunft.“ Auch die Beziehung mit M., einer angehenden Journalistin, bekommt Risse, dabei ist seine Sehnsucht nach „der Farbigkeit des Lebens“ unendlich. „Ich verschob meine Sehnsüchte ins Schreiben, näherte mich dem echten Leben literarisch an. Der Roman ,Irrlichterloh‘ ist Ausdruck davon.“ „Irrlichterloh“ ist der Nachfolger seines Debüts „Kleine Schule des Karussellfahrens“, mit dem sich Arno Geiger erstmals als „ausgewiesener Schriftsteller“ fühlt. Er bewirbt sich für ein Stipendium in Berlin, auch, um M. aus dem Weg zu gehen. „Es waren prägende Jahre gewesen. Doch zuletzt hatte die Beziehung nur noch dazu getaugt, etwas zu lernen, aber nicht mehr, um glücklich zu sein.“

Durchbrennende Sicherungen

Berlin wird Arno Geigers „von durchbrennenden Sicherungen“ geprägte Zeit. „Meine Freude kippte in den Überschwang, meine Zuversicht in die Überheblichkeit. Das kam zu Recht und zum Glück nicht überall gut an“, bilanziert er selbstkritisch. „Als ich im Herbst eingeklemmt war zwischen mehreren Frauen, bekam ich vom Nervenstress Hautausschlag.“Es ist diese ausbalancierte Mischung aus Selbstironie, Übermut, Klugheit und Ehrlichkeit, die das Lesen des Buches zu einem großen Vergnügen macht. Darüber hinaus erweist sich Arno Geiger neuerlich als feiner Stilist, der so wunderbare Sätze wie diese schreibt „Zehn Jahre zuvor waren M. und ich aus unserer Liebe zueinander herausgewachsen. Jetzt wuchsen K. und ich in unsere Liebe zueinander hinein.“ Mit K., seiner heutigen Frau, erlebt Arno Geiger ein spätes Glück, nach einigen Krisen und emotionalen Achterbahnfahrten. So gesehen ist „Das glückliche Geheimnis“ auch ein sehr berührendes Buch über die Liebe.

Nicht dazu geschaffen, den Mut zu verlieren

So beharrlich sich die beiden in ihrer Beziehung zeigen, so beharrlich, ja nahezu trotzig, arbeitet Arno Geiger trotz vieler Rückschläge weiter. Denn auch mit „Schöne Freunde“ gelingt ihm nicht der Durchbruch, ganz im Gegenteil. Der Verlag zeigt sich immer zurückhaltender. Arno Geiger, der zu jener Zeit in Vorarlberg lebt, kehrt mit K. nach Wien zurück und nimmt seine Runden wieder auf. Sie bringen den erhofften Schub nach vorne. „Mich erfasste ein Faible für den Alltag, der gar nicht so grau ist, wie ich gedacht hatte, nur dezenter koloriert als bei David Lynch.“ Arno Geiger möchte „ein Künstler des Ungekünstelten“ werden. Für „Es geht uns gut“ – ein „Familienroman mit integriertem Anti-Familienroman“ – wirft Arno Geiger alles in die Mitte. „Mein eigenes Leben, Aspekte der eigenen Familiengeschichte, Aspekte aus Funden, die ich im Altpapier gemacht hatte. Dann konzipierte ich.“ Er sei nicht dazu geschaffen, je den Mut zu verlieren. Seine Beharrlichkeit sei wie eine Krankheit, eine Art produktiver Wahnsinn. Zu seinem Vierziger erscheint „Alles über Sally“, bald darauf „Der alte König in seinem Exil“. Ein Buch voller Schönheit und eines, mit dem – so Geiger – das weitere Fortkommen einfacher war. In „Das glückliche Geheimnis“ präsentiert sich Arno Geiger selbstkritisch, aber auch selbstbewusst. Er weiß genau, dass das genaue Hinsehen und Nachdenken seinem Wesen entsprechen. Er weiß auch um seinen Fleiß, seine Empathie und um seine Menschenkenntnis. 2015 erscheint „Selbstporträt mit Flusspferd“, 2018 sein bislang letzter Roman „Unter der Drachenwand“, für den er etwa zwanzigtausend Briefe aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs gelesen hat. „Ein Drittel im Abfall gefunden, ein Drittel vom Flohmarkt, ein Drittel im Internet gekauft.“ Eine weitere Erkenntnis folgt gegen Ende des Buches: „Mit der Hand an der Gurgel schreiben – das geht nicht alle zwei Jahre, ob man nun Geld hat oder kein Geld hat.“ Aber: Er weiß, wie es geht!

Arno Geiger: Das glückliche Geheimnis. Hanser Verlag, München 2023, Hardcover, 240 Seiten, ISBN 978-3-446-27617-8, € 25

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