Alles schräg hier oder was ist los? Anita Grüneis · Jän 2024 · Theater
Eine schräge Ebene, dahinter vier Mikrofonständer und eine leere Wand für Projektionen. Das ist die Bühnen-Spielfläche für die neue TAK-Produktion „Effi Briest / Der junge Mann“. TAK-Intendant Thomas Spieckermann hat aus zwei literarischen Werken dramaturgisch einen neuen Theaterabend geschaffen. Dazu diente ihm der Roman „Effi Briest“ von Theodor Fontane aus dem Jahr 1895 und die Erzählung „Der junge Mann“ von Annie Ernaux aus dem Jahr 2023. Inszeniert wurde das neue Stück von Oberspielleiter Oliver Vorwerk.
Die schräge Ebene des Ausstatters Alexander Grüner hat durchaus ihre Berechtigung – denn teilweise ist die Geschichte ja wirklich schräg. Dass er als Kostümbildner das Mädchen Effi Briest in einen üppigen Herrenanzug steckt, wobei unter dem offenen Jackett eine hautfarbene Corsage sichtbar wird, über die breite Hosenträger die weite Hose halten – das ist schon eine eigenwillige Interpretation. Und auch die Fünfzigjährige, die über ihre Affäre mit dem 20-jährigen jungen Mann erzählt, ist in einem gewöhnungsbedürftigen Outfit unterwegs: Sie trägt ein mehrlagiges schwingendes Ballkleid mit Glitzertop. Die zwei Herren des Stücks hingegen tragen „normale“ Straßenanzüge. Soweit zum Äußeren der Figuren. Aber es geht ja um das Innere. Dazu heißt es seitens der TAK-Werbung: „Beide Texte erzählen von Liebe, die zwischen gesellschaftlichen Zwängen und den persönlichen Sehnsüchten und Zweifeln der Liebenden scheitert – und nicht zuletzt davon, wie sehr auch nach jahrhundertelangem gesellschaftlichem Wandel das Privateste immer noch vom Öffentlichen bestimmt wird.“
Das Träumerchen Effi und die coole Fünfzigerin
Das Publikum erlebt eine quirlige Effi Briest, die von Christiani Wetter mit viel Keckheit, ungestümen Erlebnisdrang und Neugierde auf das Leben gezeichnet wird. Siebzehn ist sie und voller Träume vom Leben. Und so stellt sie sich die Ehe zunächst auch wie ein fröhliches Spiel vor – doch dazu hat sie den falschen Mann geheiratet – oder doch den richtigen? Baron Geert von Innstetten ist Gefühlen gegenüber eher skeptisch und zudem so alt wie ihre Mutter. Aber er ist eine sogenannte „gute Partie“ – eine Eintrittskarte in die bessere Gesellschaft. Und da wollen die Eltern ihre Effi sehen. In seinem gediegenen Anzug verkörpert Georg Melich den Baron als durchaus glaubwürdigen strebsamen Beamten, korrekt und konservativ, den Gesellschaftsnormen ergeben und auch ein bisschen langweilig. Zugleich zeigt er auf, dass ihn die Frische und die Direktheit seiner jungen Frau berührt. Er möchte ihr viel bieten, sie soll es schön haben, dafür möchte er sorgen. Eine Vaterfigur.
Die reife Frau und ihre Rechte
Diesen beiden Personen stehen zwei andere konträr gegenüber. Da ist die Frau Mitte fünfzig, die ein Verhältnis mit einem Studenten beginnt, der dreißig Jahre jünger ist und aus einem völlig anderen Milieu stammt. Somit eine nahezu umgekehrte Situation als bei Effi und dem Baron. Nicole Spiekermann gibt dieser Frau Selbstbewusstsein und Würde, schildert ihre Freude am Wiederentdecken der eigenen Jugend, ist sich aber auch ihrer Macht durchaus bewusst – denn sie ist die große Verdienerin, bezahlt die gemeinsamen Reisen und andere Vergnügungen. Ein Spiegelbild zu den Verhältnissen bei Effi Briest? Nein, denn für das Umfeld gelten die Verhältnisse von Effi und ihrem Mann als normal, bei der reifen Frau wird die ungleiche Altersbeziehung eher belächelt. Ihr junger Mann wird von André Rohde mit Charme und Zurückhaltung, aber auch mit einer ungezügelten Lust am Spiel gezeigt. Das ungleiche Paar mimt auch die Eltern von Effi – Nicole Spiekermann ist eine fürsorgliche Mutter und weist in kleinen Andeutungen auf ihre eigene Gefangenschaft in den Konventionen hin. André Rohde macht als humorvoller und leicht verspielter Vater eine wichtige Dimension der Figur von Effi deutlich – den Einfluss des Vaterbildes auf das Mädchen.
Die Dramaturgie der Handlung
Im Laufe des Abends, der über zwei Stunden dauert, wird die Geschichte der Effi Briest immer dominanter – das liegt auch daran, dass sie eine Handlung hat, eine dramatische Entwicklung der Figuren aufzeigt, und das ist eher theatergerecht als die Erzählung von Annie Ernaux. Oder wurden die beiden Stränge zu wenig ineinander verflochten? Interessant an diesem Abend ist die Interpretation der männlichen Figuren – es scheint, als wären sie mit diesen starken Frauen überfordert. So finden sie Halt aneinander, was auch mit einem langen Kuss zwischen ihnen besiegelt wird. Zentral auch ihre Diskussion über die Ehre und damit die Gesellschaft. So meint der Baron: „Man ist nicht bloß ein einzelner Mensch, man gehört einem Ganzen an, und auf das Ganze haben wir beständig Rücksicht zu nehmen, wir sind durchaus abhängig von ihm“. So sprechen Politiker und haben damit auch nicht unrecht. Da gerät das verwöhnte Kind, das glücklich und frei von allem sein will, doch in leichte Schieflage. Und auch die reife Frau, die sich den jungen Liebhaber gönnt, um dann darüber zu schreiben ... sind diese Frauen vielleicht doch eher Egoistinnen? So wie sie sich auf der Bühne dem Stück hin und wieder verweigern und sagen: „Nein, diesen Text spreche ich nicht.“ Übrigens gibt es viel Schnee von oben. Es ist kalt in dieser Umgebung der beiden Paare und auch zwischen den Menschen? Die Schneeflocken rieseln sanft auf die Bühne hernieder. Sollen sie an die vielen Weihnachtsfeste erinnern, die Effi bei ihrer Familie verbracht hat? In dieser Inszenierung stellen Oliver Vorwerk und Thomas Spieckermann Fragen zur Position von Frauen und Männern in unserem Gesellschaftsgefüge. Das Publikum zeigte sich begeistert und applaudierte kräftig.
TAK Theater Liechtenstein: „Effi Briest / Der junge Mann“
von Thomas Spieckermann nach Theodor Fontane und Annie Ernaux
weitere Vorstellungen: 31.1./21.2./7.3. jeweils 19.30 Uhr
TAK, Schaan
https://www.tak.li/veranstaltungen/effi-briest/1010