Aktuell in den Filmclubs (7.4. - 13.4. 2023) Walter Gasperi · Apr 2023 · Film

Am Spielboden Dornbirn läuft diese Woche „Holy Spider“, in dem Ali Abassi im Gewand eines harten Serienkillerfilms die Misogynie im Iran aufdeckt. Beim Filmforum Bregenz brilliert dagegen Cate Blanchett in „Tár“ als Dirigentin, deren Leben aus den Fugen gerät.

Holy Spider: Vier Jahre nach seinem international gefeierten Genre-Mix „Border“ meldet sich der in Dänemark lebende Iraner Ali Abassi mit einem Serienkillerfilm zurück. Inspirieren ließ sich der 41-Jährige dabei von einer realen Mordserie in der Pilgerstadt Maschhad. 16 Prostituierte fielen um die Jahrtausendwende in dieser mit drei Millionen Einwohnern zweitgrößten Stadt des Iran, die mit dem Schrein des Imams Reza eine wichtige heilige Stätte der Schiiten ist und jährlich von rund 20 Millionen Touristen und Pilgern besucht wird, einem Serienkiller zum Opfer.
In Parallelmontage folgt Abassi einerseits einer Journalistin, die zu dem Fall recherchiert, andererseits aber auch dem Killer, der nach außen das Leben eines biederen Familienvaters führt, nachts aber immer wieder durch die Straßen zieht und Prostituierte in seine Wohnung lockt.
Einiges wird den Zuschauer:innen mit der detailreichen und drastischen Schilderung der Morde zugemutet. Distanz ist dabei unmöglich, denn eine hautnah geführte Kamera und ein starkes Sounddesign ziehen unmittelbar ins Geschehen hinein. Zwischentöne sind nicht Abassis Sache. Klar sind die Positionen verteilt. Plakativ und wütend rechnet er im Gewand eines zwar konventionellen, aber packenden Thrillers mit der Misogynie der iranischen Gesellschaft ab, die auf beiden Handlungsebenen herausgearbeitet wird. Denn da will man auf der einen Seite der allein reisenden Journalistin nicht nur das Hotelzimmer verweigern, sondern auch die Polizei verhält sich ablehnend ihr gegenüber. Auf der anderen Seite sieht sich der Killer in vollem Recht, glaubt er doch mit seinen Morden einen „Dschihad gegen die Sittenlosigkeit“ zu führen. Dass er dafür vom Volk als Held gefeiert wird, macht diesen von düsteren Nachtszenen und schäbigen Locations bestimmten Film, der angesichts der aktuellen Proteste im Iran brandaktuell ist, noch bedrückender.
Spielboden Dornbirn: Di 11.4. + Fr 21.4. – jeweils 19.30 Uhr
TaSKino Feldkirch im Kino GUK: Do 27.4. bis Sa 29.4.

Tar: Souverän gibt sich Lydia Tár (Cate Blanchett), die als erste Frau den Aufstieg zur Dirigentin eines großen deutschen Orchesters – als Vorbild dienten wohl die Berliner Philharmoniker – geschafft hat. Eloquent spricht sie im Interview über ihre Ablehnung des Genderns, die Bedeutung der Zeit für die Musik, über die Unterordnung der Dirigentin unter die Komposition, aber auch über die anstehende Einstudierung von Mahlers 5. Sinfonie als Abschluss des Mahler-Zyklus‘.
Zunehmend beginnt das Bild der überlegenen Frau aber zu zerbrechen, als die Medien den Selbstmord einer jungen Musikerin mit ihr in Zusammenhang bringen. Dazu kommen bald auch Gerüchte, dass sie sich gegenüber anderen Musikerinnen für – sexuelle? – Gefälligkeiten immer wieder erkenntlich erwiesen habe.
Messerscharf durchleuchtet Todd Field die Machtstrukturen und Intrigen im klassischen Musikbetrieb, aber auch die Macht der Öffentlichkeit und der Social Media, durch die Gerüchte in Windeseile verbreitet werden, werden präzise aufgedeckt. Bis zum Schluss verdichtet der ebenso schnörkellose wie elegante Film dabei konsequent das ambivalente Porträt der Dirigentin, bei dem Field Cate Blanchett in teilweise sehr langen Einstellungen immer wieder viel Raum lässt, um weitere Nuancen dieser Figur zu vermitteln.
Das ist aber nicht nur hochintelligentes und inhaltlich spannendes Kino am Puls der Zeit, sondern besticht auch durch seine formale Meisterschaft. Kühl wie die Filme Michael Hanekes ist „Tár“, entwickelt aber auch durch den Schnitt von Hanekes Stammeditorin Monika Willi und Kameramann Florian Hoffmeister eine Dichte, durch die die Spannung trotz der Fokussierung auf eine Person mühelos über mehr als zweieinhalb Stunden aufrechterhalten wird.
Filmforum Bregenz im Metrokino Bregenz: Do 13.4., 20 Uhr

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