Aktuell in den Filmclubs (6.9. – 12.9.2024) Walter Gasperi · Sep 2024 · Film
Die LeinwandLounge Bludenz startet diese Woche und die neue Programmkinoschiene in der Kinothek Lustenau nächste Woche mit dem mitreißenden Lehrer:innenfilm „Ein richtiger guter Job – Un métier sérieux“ in die Herbstsaison. Beim Filmforum Bregenz bietet dagegen das Drama „Ivo“ Einblick in den belastenden Alltag einer ambulanten Palliativpflegerin.
Ein richtig guter Job – Un métier sérieux: Dem vielfach schlechten Image des Lehrberufs in der Öffentlichkeit, den Vorwürfen von Halbtagsjob und endlos langen Ferien stellt Thomas Lilti in seinem Spielfilm das Engagement eines Kollegiums an einem französischen Gymnasium gegenüber und zeigt die vielfältigen Herausforderungen dieses Berufs. Lilti fokussiert ganz auf den Lehrer:innen, die Schüler:innen gewinnen mit Ausnahme eines besonders schwierigen Teenagers kein Profil, sondern bleiben ein Kollektiv. Auch bei den Lehrer:innen steht kein einzelner, sondern das vielfältige Kollegium im Zentrum.
Mit Leidenschaft feiert Lilti die Bedeutung des Zusammenhalts, der Empathie und der gegenseitigen Unterstützung der Lehrer:innen. Eindrücklich vermittelt er, welchen Stress die Arbeit mit vielfach desinteressierten Jugendlichen darstellt, spart aber auch private Probleme der Lehrer:innen nicht aus. Breit ausformuliert wird kein Aspekt, aber in dem kaleidoskopartigen Blick auf das Lehrer:innenleben ergibt sich ein ebenso dichtes wie vielfältiges Bild. Für Realismus sorgt dabei auch die visuelle Gestaltung mit leicht verwaschenen Farben, der Dominanz von Blautönen und kaltem Licht. Nichts wirkt hier geschönt, sondern direkt aus dem Leben gegriffen und echt fühlt sich dieser Film, der auch auf große Plotpoints und dramatische Szenen verzichtet, an. Dennoch bleibt „Un métier sérieux“ dank des empathischen Blicks von Lilti und des Witzes, der nicht zu kurz kommt, immer leichtfüßig und wird nie zum schweren Drama.
LeinwandLounge in der Remise Bludenz: Mi 11.9., 19 Uhr
Kinothek extra in der Kinothek Lustenau: Mo 16.9., 18 Uhr + Mi 25.9., 20 Uhr
Ivo: Eva Trobisch folgt in ihrem dichten Drama der von Minna Wündrich famos gespielten 40-jährigen ambulanten Palliativpflegerin Ivo durch ihren Alltag. Freizeit und soziale Beziehungen außerhalb ihres Berufs scheint diese Frau nicht zu kennen. Ständig sieht man sie in ihrem alten Skoda durchs Ruhrgebiet von einer Patient:in zur nächsten fahren. In jeder Szene ist sie präsent. Ganz aus ihrer Perspektive erzählt Trobisch.
Nichts Spektakuläres passiert, keine Hektik kommt auf – und doch spürt man den Stress, unter dem diese Frau steht, wenn sie während ihren Fahrten, die sie in ganz unterschiedliche Milieus führen, per Freisprechanlage Termine koordinieren muss oder einen Snack zu sich nimmt. Mit lauter Musik scheint sie dabei die Belastung zu verdrängen. Kurz sind die Ruhepausen, in denen sie auf dem Balkon einer Patientin steht und eine Zigarette rauchend die Menschen auf der Straße beobachtet oder auf Bäume und ihre vom Wind bewegten Blätter schaut.
Mit dem Fokus auf die Palliativpflegerin fragt der Film auch nach dem Spannungsfeld von Empathie und beruflicher Distanz. Wie weit kann und darf sich eine Pflegerin engagieren, ohne selbst an ihrer Aufgabe zu zerbrechen. Ganz zentral wird aber auch die Frage nach Sterbehilfe aufgeworfen, wenn Ivo von ihrer Freundin gebeten wird, sie von ihrem Leiden zu erlösen. Die große Qualität von „Ivo“ besteht auch darin, dass Trobisch sich aufs wertfreie Beobachten beschränkt. Die großen Fragen werden nicht aufgepfropft, sondern ergeben sich ganz selbstverständlich aus der Geschichte und der Verzicht auf Antworten zwingt die Zuschauer:innen, selbst Antworten auf die aufgeworfenen Problemfelder zu suchen.
Filmforum Bregenz im Metrokino Bregenz: Mi 11.9., 20 Uhr
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