Aktuell in den Filmclubs (29.12. 2023 - 4.1. 2024) Walter Gasperi · Dez 2023 · Film

Am Spielboden Dornbirn steht diese Woche Jessica Hausners kühle Satire „Club Zero“ auf dem Programm. Das Skino Schaan zeigt dagegen Lila Avilés‘ berührendes Familienporträt „Tótem“.

Club Zero: An einer Eliteschule bringt eine neue Lehrerin mit suggestiven Methoden eine Schüler:innengruppe dazu, sukzessive weniger zu essen.
In gewohnt kühlen Bildern, deren Ausstrahlung durch die zwischen Trommelschlägen und Meditationsgesang pendelnde Musik verstärkt wird, erzählt Jessica Hausner diese an das Märchen vom „Rattenfänger von Hameln“ erinnernde Geschichte einer Manipulation und bedingungsloser Gefolgschaft. Plastisch zeigt die Österreicherin dabei auf, wie gerade in Krisenzeiten solche Gurus, die den Glauben über jede wissenschaftliche Erkenntnis und Fakten stellen, ihre Anhängerschaft finden.
Die sorgfältig gewählte Farbpalette mit den leuchtend gelben Schuluniformen, die vielfach symmetrisch aufgebauten und sorgfältig kadrierten Bilder und die sterile Ausstattung nicht nur der Schulräume, sondern auch der Designerhäuser der Eltern steigern die Kälte ebenso wie die leicht surreale Atmosphäre. Die konkrete gesellschaftliche Realität bleibt wie bei Märchen außen vor, eine nicht geographisch oder zeitlich verankerte, sondern eine universelle und zeitlose Fabel soll hier erzählt werden.
Wirklichen Zugang zu den Figuren gewinnt man aufgrund dieser kühlen Ästhetik, des distanzierten Blicks und dem weitgehenden Verzicht auf Psychologisierung und Backstories aber nicht. Gerade in ihrer Zurückhaltung sehr überzeugend spielt zwar Mia Wasikowska die Lehrerin, lässt das Publikum aber ebenso kalt wie die Schüler:innen, die mehr unterschiedliche Typen als echte Charaktere sind und im Verlauf des Films – wohl zum Schutz der Schauspieler:innen – trotz des Nahrungsentzug nicht erkennbar dünner, sondern nur bleicher werden. Mehr kühle Versuchsanordnung als bewegende Erzählung ist folglich dieser Film, der mit leichter Überzeichnung der Realität, besonders der aus diesem Milieu herausfallenden Unterschichtmutter, satirische Akzente setzt. Doch echten Biss will „Club Zero“ nicht entwickeln: Zu dünn und gleichförmig plätschert die Handlung dahin, und auch der Blick auf die Oberschichteltern bewegt sich sehr im bekannten und auch klischeehaften Rahmen.
Spielboden Dornbirn: Di 2.1. + Sa 13.1. – jeweils 19.30 Uhr

Tótem: Wenn Lila Avilés ihren zweiten Spielfilm in einer öffentlichen Toilette beginnen lässt, stimmt das schon auf die Nähe und Enge ein, die den ganzen Film kennzeichnet. Keine Totalen wird es in diesem Film geben, sondern nahe Einstellungen dominieren und das enge 4:3 Format verstärkt diese Fokussierung noch. Scherzen die siebenjährige Sol und ihre Mutter in der Toilette noch, so kommt mit der Fahrt zum Haus des Großvaters und dem Gedanken an den nahen Tod des erst etwa 35-jährigen Vaters schon ein ernster Ton ins Spiel. Noch soll aber sein Geburtstag gefeiert werden, von dem alle gleichzeitig wissen, dass es wohl sein letzter sein wird.
Räumlich ganz auf das Haus und den Garten und zeitlich auf den Nachmittag der Vorbereitungen und den Abend der Feier beschränkt sich Avilés. Große Dichte entwickelt „Tótem“ durch diese Einheit von Ort und Zeit. Verfolgt man zuerst aus der Perspektive Sols die Arbeiten von zwei Tanten, der Haushälterin und Pflegerin des Vaters, aber auch eine jüngere Cousine Sols sowie den Großvater, der nach einer Kehlkopfoperation nur mittels eines Stimmgenerators kommunizieren kann, so wird beim Fest diese Kinderperspektive aufgegeben. Bruch entsteht dadurch aber keiner, sondern wunderbar fließend erkundet Avilés diesen Mikrokosmus. Bald blickt sie auf weitere Verwandte und Freunde, dann auch auf einen Lehrer des Vaters, lässt gratulieren, Geschenke überreichen, singen und tanzen, bis am Ende doch wieder der Blick von Sol steht.
Große Fülle und Dichte gewinnt dieses Kammerspiel durch die Vielzahl der Figuren und intensiv wird so gerade angesichts des unvermeidlichen Todes die Schönheit und der Wert des Lebens gefeiert.
SKino Schaan: Mo 1.1., 18.15 Uhr


Weitere Filmkritiken, Streamingtipps, DVD-Besprechungen und Regisseur-Porträts finden Sie auf meiner Website https://www.film-netz.com.  

Teilen: Facebook · E-Mail