Aktuell in den Filmclubs (28.4. – 4.5. 2023) Walter Gasperi · Apr 2023 · Film

Im Kinotheater Madlen in Heerbrugg wird diese Woche (und nächste Woche im Gasthof Jöslar in Andelsbuch) Lukas Dhonts bewegendes Jugenddrama „Close" gezeigt. Auf den Sommer stimmt dagegen beim Open Air im Garten des Bregenzer Honolulu Hotels der französische Spielfilm „Der Sommer mit Anaïs" ein.

Close: Schon Lukas Dhonts Debüt „Gir“ bestach durch das große Feingefühl und die vielschichtige Auslotung der Psyche eines 15-Jährigen, der sich als Mädchen fühlt und vor einer geschlechtsangleichenden Operation steht. Im Zentrum des zweiten Spielfilms des Belgiers stehen nun die beiden Zwölfjährigen Léo (Eden Dambrine) und Rémi (Gustav De Waele).
Vom ersten Bild an sind die beiden Buben fast immer gemeinsam im Bild, wenn sie über die Felder rennen, sich mit ihren Fahrrädern ein Wettrennen liefern oder nebeneinander im Bett liegen. Ganz selbstverständlich schläft der eine immer wieder mal beim anderen. Auch die leuchtenden Sommerfarben und das warme gelbliche Licht vermitteln die Unbeschwertheit und das Glück dieser Freundschaft.
Sie freuen sich auch, als sie auf der Mittelschule in die gleiche Klasse kommen. Ganz unbefangen fragt dann aber bald ein Mädchen, ob sie nicht nur beste Freunde, sondern ein Paar seien. Entschieden weist dies vor allem Léo zurück, doch die anderen Buben greifen bald zu einem feindseligeren Ton und beschimpfen sie als Schwuchteln. Um jeden Verdacht der Homosexualität von sich zu weisen, beginnt Léo deshalb einerseits Eishockey zu spielen, andererseits sich zunehmend von Rémy zu distanzieren.
Dhont erkundet nicht nur intensiv den fließenden Grenzbereich von Freundschaft und Liebe, sondern erzählt auch, unterstützt von den beiden wunderbar natürlich und intensiv agierenden Kinderdarstellern, bewegend von den tragischen Folgen dieser Zurückweisung. 
Eine abrupte Wende nimmt „Close“ nämlich nach etwa 45 Minuten. An die Stelle der Freundschaft, die zuvor Lebensfreude und Glück verbreitete, treten nun Einsamkeit, Verstummen und Schuldgefühle. Nah dran ist die Kamera nun nur noch an Léo, fokussiert ganz auf ihn, der mit den vergangenen Ereignissen nicht umgehen, aber auch nicht darüber sprechen kann.
Kinotheater Madlen, Heerbrugg: Mo 1.5., 20.15 Uhr
Gasthof Jöslar, Andelsbuch: So 7.5., 20 Uhr (Essen: 3-Gänge-Menü: 18 Uhr – Reservierungen fürs Menü bis Freitag, 5. Mai unter T 05512 2312, kontakt@joeslar.at)

Der Sommer mit Anaïs: Studentin Anaïs (Anaïs Demoustier) will keinen Augenblick ungenützt verstreichen lassen. Immer wieder ist sie atemlos unterwegs und auch die dynamische Kamera von Noé Bach und schnelle Klaviermusik vermitteln intensiv ihren Elan und Schwung. Wohl auch angesichts der neu ausbrechenden Krebserkrankung der Mutter will sie intensiv leben. Ihre Beziehung mit einem Studenten beendet sie abrupt und beginnt eine Affäre mit einem deutlich älteren Verleger (Denis Podalydès). Bald interessiert sie sich aber für dessen abwesende Partnerin Emilie (Valeria Bruni Tedeschi). Um diese kennenzulernen, reist Anaïs in die Bretagne, wo Emilie ein Literatur-Seminar hält.
Charline Bourgeois-Tacquet hat ihr Debüt ganz auf Anaïs Demoustier zugeschnitten und weckt durch den gleichen Vornamen zugleich Gedanken an Parallelen zwischen Rolle und Schauspielerin. Die 35-jährige Französin trägt mit ihrem mitreißenden Schwung diesen Film. Aber auch die flirrende Sommeratmosphäre und die dynamische Inszenierung, die intensiv Anaïs impulsives und leidenschaftliches Leben vermitteln, tragen zum starken Eindruck dieses typisch französischen Films bei. 
Schöner Gegenpol zu dieser unbändigen jugendlichen Lust sind Denis Podalydès und Valeria Bruni Tedeschi. Beide möchten wohl nochmals diese Jugend, die verflossen ist, zurückholen, doch Emilie erkennt auch, dass sie nur eine Affäre für Anaïs sein kann, sie an ihrem gewohnten Leben aber nichts ändern will. Wie mit der Krebserkrankung der Mutter kommt so auch mit der Kontrastierung von lebenshungriger Jugend und gesetztem Alter das Thema Vergänglichkeit ins Spiel, auf das Bourgeois-Tacquet und ihre Protagonistin mit einem entschiedenen „Carpe diem!“ antworten. 
Honolulu Garden, Bregenz – Montfortstraße: Di 2.5., 20 Uhr (Open-Air-Kino – nur bei trockenem Wetter)

Weitere Filmkritiken, Streamingtipps, DVD-Besprechungen und Regisseur-Porträts finden Sie auf meiner Website https://www.film-netz.com.  

Teilen: Facebook · E-Mail