Aktuell in den Filmclubs (22.11. – 28.11.2024) Walter Gasperi · Nov 2024 · Film

Das Kinotheater Madlen in Heerbrugg zeigt diese Woche mit „Bonnard, Pierre et Marthe“ ein Biopic über den Postimpressionisten Pierre Bonnard und seine Muse und Ehefrau Marthe. Im Kunstmuseum Liechtenstein in Vaduz steht dagegen mit Cristian Mungius „4 Monate, 3 Wochen, 2 Tage“ ein Meisterwerk nicht nur des rumänischen, sondern des modernen Autorenkinos insgesamt auf dem Programm.

Bonnard, Pierre et Marthe: Über die künstlerische Entwicklung Pierre Bonnards (1867–1947) erfährt man in Martin Provosts Biopic nur wenig. Beiläufig wird auch nur erwähnt, dass er sich der Kunst erst nach Abbruch des auf Druck seines Vaters begonnenen Studiums der Rechtswissenschaften zuwandte. Der Titel gibt dagegen schon die Stoßrichtung vor: Gesellschaftliche Hintergründe und geschichtliche Entwicklungen werden weitgehend ausgespart, der Fokus liegt ganz auf Pierre (Vincent Macaigne) und Marthe Bonnard (Cécile de France), die in rund einem Drittel der Gemälde des Postimpressionisten zu sehen sein soll. Hals über Kopf verlieben sich der Maler und sein Modell schon in der ersten Szene, doch immer wieder kommt es in der Folge zu Spannungen. 
Große Dramatik stellt sich dabei aber kaum ein. Vielmehr verlegen sich Provost und sein Kameramann Guillaume Schiffman darauf, engen und dunklen Szenen in Paris sommerlich-lichtdurchflutete Bilder vom Leben im Landhaus in Veronnet gegenüberzustellen. In dieser malerischen Landschaft weckt dieses Künstlerbiopic mit Bildern der sanft dahinfließenden Seine, den Menschen in weißen Kleidern und dem satten Grün der Wiesen und Wälder dabei immer wieder Assoziationen an Gemälde der Impressionisten, doch die Handlung plätschert recht gleichförmig dahin.
Bildschön ist das zwar anzusehen, ebenso solide inszeniert wie gespielt, aber insgesamt bleibt „Bonnard, Pierre et Marthe“ doch auch ein kraftloser und langatmiger Film, dem auch Cécile de France und Vincent Macaigne erst im letzten Abschnitt, wenn es um Altern und Sterben geht, Leben und bewegende Kraft einzuhauchen vermögen.
Kinotheater Madlen, Heerbrugg: Mo 25.11., 20.15 Uhr

4 Monate, 3 Wochen, 2 Tage: „Rumänien 1987“ – Ein Insert am Beginn gibt Ort und Zeit der Handlung von Cristian Mungius 2007 in Cannes mit der Goldenen Palme ausgezeichnetem Spielfilm vor. Der Name des Diktators Ceausescu fällt in den folgenden 113 Minuten ebenso wenig wie die Stadt, in der die Handlung spielt, genauer bestimmt wird. Direkt aus der Zeit heraus, die unter dem Conducător offiziell und völlig ironiefrei „Das Goldene Zeitalter" hieß, auf Augenhöhe mit den Protagonist:innen erzählt Mungiu. Er kommentiert nicht, er schildert nur – dies freilich mit einer Konsequenz und Geschlossenheit, die seinem zweiten Spielfilm eine atmosphärische Dichte, eine Wucht und beklemmende Kraft verleihen, wie man sie im Kino nur selten findet.
Der Titel bezieht sich auf den Fortschritt der Schwangerschaft der Studentin Gabita. Der Film konzentriert sich auf einen Tag und die Bemühungen, eine illegale Abtreibung durchzuführen. Unterstützung erhält Gabita dabei nur von ihrer Freundin Otilia.
Quasidokumentarisch sieht „4 Monate, 3 Wochen, 2 Tage“ aus, arbeitet einerseits mit extrem langen statischen Einstellungen, in denen Szenen in Echtzeit ablaufen und andererseits mit einer unruhigen Handkamera, die Ottilia bei ihren Wegen folgt und durch die Unruhe und Bewegung die innere Anspannung vermittelt. Die Kamera wahrt Distanz, die Erzählweise ist nüchtern und sachlich und dennoch gelingt es Mungiu jede dieser Einstellungen mit Emotionen aufzuladen beziehungsweise in ihnen Emotionen aufzubauen. 
So klein die Geschichte dabei sein mag – zum Thema Abtreibung bezieht der Film keine Stellung –, so sehr weist der Film trotz oder gerade wegen der Beschränkung auf diesen einen Tag und das eine Ereignis über das Gezeigte hinaus. Sichtbar und spürbar wird hier, wie ein Klima der Unterdrückung und materiellen Not Vertrauen untergräbt und Ausbeutung und Ausnützung fördert. Jeder denkt hier nur noch an sich, versucht irgendwie zu überleben und auf der Strecke bleibt der nächste. Auch Gabita nützt dabei Ottilia aus, gewinnt sie als Helferin durch Fehlinformationen. Doch an Ottilia zeigt Mungiu im Gegenzug, wie wichtig Solidarität in solchen Zeiten ist, wie sehr Freundschaft und Hilfsbereitschaft angesichts der äußeren Unterdrückung das Leben doch wieder erleichtern können.
Kunstmuseum Liechtenstein, Vaduz: Do 28.11., 18 Uhr

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