Aktuell in den Filmclubs (13.10. – 19.10. 2023) Walter Gasperi · Okt 2023 · Film

Am Spielboden Dornbirn wird diese Woche nochmals das von einer großartigen Penélope Cruz getragene Melodram „L'immensitá – Meine fantastische Mutter“ gezeigt. Beim Filmforum Bregenz steht unter anderem der eindrückliche südafrikanische Spielfilm „Die Wunde – Inexba", der in die archaische Männergesellschaft Xhosa entführt, auf dem Programm.

L‘immensitá – Meine fantastische Mutter: Rom in den 1970er Jahren: In kräftigen Farben erstrahlt die moderne römische Wohnung, in die die fünfköpfige Familie Borghetti vor kurzem eingezogen ist. Doch Lebensfreude breitet sich nicht aus, sondern Entfremdung zwischen den Eltern wird beim Abendessen spürbar. Der Blick der spanischstämmigen Mutter Clara (Penélope Cruz) ist immer wieder sehr ernst und traurig.
Aus der Perspektive ihrer etwa 12-jährigen Tochter Adriana (Luana Giuliani) blickt die Kamera von Gergely Pohárnok auf die von ihrem Hausfrauenalltag und der Gefühlskälte ihres Mannes frustrierte Mittvierzigerin. Hautnah ist sie an ihr dran, bietet in Detailaufnahmen der Augenpartie und der Wimpern keinen Überblick, stellt damit aber ein Nahverhältnis zwischen Tochter und Mutter her. 
Doch dieses Porträt der von Penélope Cruz vielschichtig gespielten Frau, die an den gesellschaftlichen Bedingungen zu zerbrechen droht, ist nur eine Seite von „L´immensitá“, denn parallel dazu erzählt Emanuele Crialese auch von der sexuellen Identitätssuche der Tochter Adriana, die sich zunehmend als Junge fühlt. 
Mit der Verbindung der Geschichte der Mutter und jener von Adriana packt Crialese zwar etwas viel in seinen fünften Spielfilm, ist aber andererseits gerade mit der Thematik der jugendlichen Suche nach Geschlechtsidentität auf der Höhe der Zeit und beschwört gleichzeitig mit kräftigen Farben, Kleidern, Autos und Schwarz-Weiß-Fernseher bis hin zu Trockenhauben beim Friseur die Stimmung der 1970er Jahre.
Spielboden Dornbirn: Fr 13.10., 19.30 Uhr

Die Wunde - Inexba: Zwei Welten treffen im Spielfilmdebüt des Südafrikaners John Trengrove aufeinander, wenn der etwa 30-jährige Xolani, der als Gabelstapelfahrer in einer Lagerhalle arbeitet, einen Pick-up besteigt und neben Ziegen und anderen Fahrgästen in sein Dorf gebracht wird. Dort soll Xolani den jungen Kwanda, der aus Johannesburg in sein Heimatdorf zurückgekehrt ist, beim Initiationsritus ins Erwachsenenleben begleiten.
Wie ein Ethnograph bietet Trengrove Einblick in die archaische, „Ulwaluko“ genannte Initiation der Xhosa. Hart fordert der Beschneider die jungen Männer dabei auf, ihre Beine zu spreizen, geht dann mit der Rasierklinge an die Arbeit. Details werden dem Publikum erspart, erahnen kann man freilich, wie schmerzlich dieser Eingriff ist, der ohne Betäubung vorgenommen wird. Laut und entschlossen müssen die Männer aber dennoch unmittelbar danach ihre Männlichkeit mit dem Satz „Ich bin ein Mann“ bestätigen. Abgeschlossen ist das Prozedere damit aber noch nicht, sondern mehrere Wochen müssen die jungen Männer danach, einzig begleitet von ihrem Betreuer, in der Wildnis verbringen. Dabei entdeckt der rebellische Kwanda aber auch, dass Xolani in Wahrheit homosexuell ist.
Stark ist Trengroves Film nicht nur im Blick auf eine unbekannte, archaische Welt, sondern auch in der Erzählweise. Mit nah geführter Handkamera und dynamischem Schnitt ebenso wie durch die unverbrauchten und natürlich agierenden Schauspieler entwickelt er großen Sog und zieht die Zuschauer:innen in die Handlung hinein. So bietet „Die Wunde“ einen packenden Einblick in eine Männergesellschaft, deckt aber auch eindrücklich die Selbstverleugnung und Verdrängung der eigenen Identität auf, die diese Gesellschaft von Homosexuellen abverlangt, die Heuchelei, die aus diesen rigiden Regeln resultiert und die Schwierigkeit, wenn nicht gar Unmöglichkeit, sich in diesem Umfeld zu einem Outing durchzuringen.
Filmforum Bregenz im Metrokino Bregenz: Mi 18.10., 20 Uhr

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