Aktuell in den Filmclubs (13.1. - 19.1. 2023) Walter Gasperi · Jän 2023 · Film

Im Filmforum Bregenz und TaSKino Feldkirch steht diese Woche Cyril Schäublins faszinierender historischer Film „Unrueh" auf dem Programm. Die Programmkinoschiene der Kinothek Lustenau lädt mit Kirill Serebrennikovs „Petrov´s Flu" zu einem finsteren Trip ins postsowjetische Russland der 1990er-Jahre ein.

Unrueh: Vom Setting her ist der zweite Spielfilm des Schweizers Cyril Schäublin ein historischer Film und dennoch sind die Bezüge zur Gegenwart unübersehbar. Eine andere Welt scheint in der Uhrenindustrie im Schweizer Jura in den 70er-Jahren des 19. Jahrhunderts noch möglich. Nichts ist festgeschrieben, nicht einmal die Zeitmessung, gibt es doch eine Fabrikzeit, eine Kirchenzeit, eine Gemeindezeit und eine Telegrafenzeit. Aber man ahnt schon, welche Zeit sich durchsetzen wird, wenn das Arbeitstempo zunehmend genauer kontrolliert und der Arbeitsprozess reglementiert und optimiert werden. Aber auch die Welt wird mit der aufkommenden Kartografie vermessen und die Abstände zwischen den Kontinenten durch die Telegrafie verkürzt. Gleichzeitig entwickelt sich gesellschaftlich als Gegenposition zu den Industriellen eine anarchistische Bewegung, die in der Uhrenindustrie vor allem von den Frauen getragen wird. 
Bewusst reduziert gehalten sind historische Kulissen und Kostüme. Kühl und spröde ist die Inszenierung, die an die Filme Jean-Marie Straubs und Danièle Huillets erinnert. Weitgehend statisch bleibt die Kamera von Silvan Hillmann, die die Menschen meist in langen, distanzierten Einstellungen erfasst. Auch auf extradiegetische Filmmusik verzichtet Schäublin.
Auf Distanz gehalten wird das Publikum aber auch durch den Verzicht auf Psychologisierung und Background der Charaktere. Nicht Emotionalisierung ist das Ziel, sondern vielmehr soll mit der nüchternen, aber präzisen Inszenierung Einblick in diese Umbruchszeit vermittelt werden.
Geduld verlangt „Unrueh" mit seiner entschleunigten und unaufgeregten Erzählweise zwar, doch wer sich darauf einlässt, erlebt einen ebenso ungewöhnlichen wie faszinierenden Film, der mit seinem inhaltlichen Reichtum spannende Einsichten bietet und zum Nachdenken anregt. 
TasKino Feldkirch im Kino GUK: Mi 18.1.
Filmforum Bregenz im Metrokino Bregenz: Do 19.1., 20 Uhr


Petrov‘s Flu:
Der im deutschen Exil lebende Russe Kirill Serebrennikov entfesselt einen finsteren Trip in die postsowjetische Befindlichkeit. Die Verfilmung von Alexey Salnikovs Roman "The Petrovs In and Around the Flu" spielt zwar um die Weihnachtszeit, doch Weihnachtsstimmung kommt hier nie auf. Im Mittelpunkt steht der stets hustende Petrov (Semyon Serzin), in dessen Fieberträume die Grenzen von Realität und Fantasie verschwimmen.
Breitwandbilder wechseln mit in engem Format gehaltenen, subjektiven Handykamera-Aufnahmen, schließlich wechselt der Film zu Schwarzweiß, wenn die Geschichte einer jungen Schauspielerin erzählt wird.
Wie diese Welt in Auflösung begriffen ist und dem Untergang geweiht scheint, so zertrümmert Serebrennikov jede lineare und klar strukturierte Handlung und evoziert mit grünstichigen Bildern, desolaten Settings sowie der Mischung aus Punkrock und ruhiger Musik eine Stimmung des Verfalls und des Untergangs. Nie sieht man hier die Sonne, wenn überhaupt Himmel sichtbar wird, ist dieser wolkenverhangen.
Ob Straßenbahn, enge Wohnung, Landstraße oder Saal für ein Silvesterstück – jeder Raum wirkt abweisend und schmuddelig und explizit auf eine Unterwelt verweist ein Verlag mit Namen Hades: Die einzige Option scheint Flucht und so fordern auch Graffitis an den Wänden immer wieder auf, abzuhauen.
Die Handlung zu ergründen sollte man hier gar nicht versuchen, sondern sich vielmehr auf die düstere Stimmung, die dieser Film beschwört, einlassen. Offen bleibt dabei freilich die Frage, inwieweit Serebrennikov in dieser Schilderung einer postkommunistischen Stadt der 1990er-Jahre die Zustände und die Befindlichkeit der Russ:innen im Land Wladimir Putins spiegeln will. Sicher ist aber, dass der Machthaber im Kreml mit diesem Film keine Freude hat: Denn egal, ob man „Petrov´s Flu" historisch liest oder aktuell interpretiert: ein düstereres Bild von Russland als das, das hier gezeichnet wird, kann man sich nicht vorstellen.
Kino Lustenau: Di 17.1., 20 Uhr + Mi 18.1., 18 Uhr

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