„Ach, Micki, es ist schön, mit dir zu sprechen!“
„Roman einer Biografie“ von Michael Köhlmeier über Filmregisseur Robert Dornhelm
Ingrid Bertel · Okt 2025 · Literatur

Der eine zählt zu den international gefragten Filmregisseuren, der andere gehört zu den meistgelesenen österreichischen Romanciers. Jetzt widmet Michael Köhlmeier seinem Freund Robert Dornhelm den „Roman einer Biografie“.

Nein, die Oscars, die Emmys und Golden Globes kommen nicht vor – oder höchstens ganz am Rand. Die Hollywood-Stars, die Galas und roten Teppiche überhaupt nicht, obwohl es von all dem reichlich gibt im Leben des Filmregiesseurs Robert Dornhelm. In Michael Köhlmeiers „Roman einer Biografie“ aber unterhalten sich zwei Freunde über das, was ihre Freundschaft ausmacht. Nur: Was genau ist das? Sind es die gemeinsamen Projekte? Zwei Filme haben Robert Dornhelm und Michael Köhlmeier miteinander gemacht: „Requiem für Dominic“ (1991, nominiert für den Golden Globe) und „Der Unfisch“ (1998). Damals war Dornhelm bereits in Hollywood seit 20 Jahren etabliert. Aber Drehbücher für ihn schreiben, sagt Micki im Roman, das mag er nicht. Da kann ihn Robert noch so schön drum bitten.
In Köhlmeiers Roman hört Micki dem Robert sehr genau zu, nur nicht immer, und so fließt das Gespräch in einer wundervollen Natürlichkeit dahin, nimmt jene überraschenden Wendungen, die man von zwei so ausgeprägten Persönlichkeiten erwartet, ist manchmal witzig, oft auch traurig und von einer bisweilen atemberaubenden Ehrlichkeit. „Natürlich“ bedeutet hier, dass der Autor über ein exquisites dramaturgisches Fingerspitzengefühl verfügt und genauso viel Liebe zur Sprache wie zur Sache mitbringt.  

„Du spottest, und ich leide!“

Die Sache ist die: Dreizehn Tage wollen die Freunde miteinander verbringen, damit Micki über Robert den „Roman einer Biografie“ schreiben kann. Also erzählt Robert, und Micki hört zu. Einmal schlägt er ihm vor, sich auf die Couch zu legen, dann wär’s wie beim Doktor Freud. „Du spottest, und ich leide“, klagt Robert. Und Micki antwortet pragmatisch: „Das ist die Rollenverteilung.“
Sie reden über sehr Privates, nicht über Roberts Historienfilme und Fernsehserien, wo Blut, Schweiß und Tränen in Bächen fließen, nicht über „Hunyadi“, „Vienna Blood“ oder „Maria Theresia“, sondern über die Kindheit eines Buben aus Temeswar. Über seine Mutter, die der jüdisch-ungarischen Minderheit angehört, aber nicht viel von Religion hält. Über den Vater, Sohn eines wohlhabenden Geschäftsmanns, der nach Jahren in Ceausescus Arbeitslagern verstummt ist. Über den Bruder Peter, der ihn herausfordert und beschützt und den er liebt wie sonst niemanden auf der Welt.  „Ich sagte zu ihm, mir wäre lieber, ich würde sterben als er. Wenn er stirbt, dann wäre ich ganz allein, das wäre für mich viel schrecklicher, als wenn ich tot bin.“
Mit dreizehn kommt Robert Dornhelm nach Wien. Sein Cousin, der spätere Staatsoperndirektor Ioan Holender, holt die Familie in einem grünen Opel Rekord ab. „Mein Bruder und ich haben immer Deutsch miteinander gesprochen,“ erzählt Robert. Ansonsten ist nicht klar, was „unsere Sprache ist. Rumänisch? Deutsch? Ungarisch? Russisch? Jiddisch?“ Später war’s Französisch und natürlich Englisch. Robert ist in all diesen Sprachen irgendwie zuhause. Und in ziemlich vielen Ländern auch. „Wenn ich von Heimat sprechen soll, dann meine ich Menschen. Freunde. Freunde wie dich, Micki.“ 

Poetische Dokumentation 

Mit dem Filmen begonnen hat Robert beim ORF. 1971 drehte er die Dokumentation „Dracula und kein Ende“. Da konnte er seine Begeisterung für Friedrich Wilhelm Murnaus „Nosferatu – Eine Symphonie des Grauens“ ausleben - meinte er jedenfalls. Wie da Dracula auf dem Schiff aus seinem Sarg aufklappt – einfach genial. „Er hatte übrigens ein Brett im Rücken.“ Robert inszeniert für seinen Dracula-Film das Pfählen. Die Reaktion hat er nicht erwartet: „Sind Sie verrückt, Herr Dornhelm? Sie drehen einen Film im Auftrag des ORF, und da foltern Sie Menschen?“ 
Mit dem Film hat er zwar sein stilistisches Prinzip gefunden – aber präsentabel ist es noch nicht. Das wird es erst im „Glücksjahr“ 1977: Für „Die Kinder der Theaterstraße“ spricht Grace Kelly, besser gesagt Fürstin Gracia Patricia, den Off-Text und Dornhelm bekommt eine Oscar-Nominierung: „Ich bin in meiner Auffassung von Film, von Kunst allgemein, durch die Oscar-Nominierung bestätigt worden,“ sagt er, und diese Auffassung, bei der er bis heute geblieben ist, nennt er „poetische Dokumentationen“. Poesie und Doku zusammenzubringen – das liegt nicht auf der Hand.
Doch dieses Amalgam aus Wirklichkeit und Traum, dieser gesteigerte Realismus hat Tücken. Micki benennt sie: „Der Vorwurf war, dass du Dokumente wie gespielte Szenen verwendest.“ Nirgends wird das so deutlich wie an jenem Film, den Robert unbedingt drehen wollte, der TV-Serie „Anne Frank – Die wahre Geschichte“, die ihm eine Emmy-Nominierung einbrachte. Eigentlich war Steven Spielberg als Regisseur vorgesehen, „aber ein Rechtsstreit mit dem Anne-Frank-Haus in Amsterdam hat ihn dann aussteigen lassen. So habe ich das Projekt geerbt.“ Es war ein Angebot von ABC/Disney, und der Grund dafür „war … mein Film Requiem für Dominic, der für den Golden Globe nominiert wurde und dem Chef von ABC sehr gut gefiel … unser Film, Micki.“ Aber Micki lässt sich so schnell nicht abspeisen. Darf man die Hölle Auschwitz für einen Spielfilm nachbauen? Darf man ausgemergelte Darsteller casten und als KZ-Häftlinge in Szene setzen? Ist das nicht pietätlos, ja geradezu menschenverachtend? Gelten hier noch die Maßstäbe einer „poetischen Dokumentation“? Es gehört zu den Stärken dieses Buches, dass es solche Fragen in aller Deutlichkeit anspricht. Und dass es sie gleichzeitig in die Biografie eines Mannes einbettet, der erlebt hat, „dass die Welt untergeht, wenn ein Mensch stirbt.“ Dann ist das Vertrauen in die Welt zerstört, und was bleibt, ist eine Ironie, der sich beide verweigern wollen – und es doch nicht wirklich können. 

„Was wollte ich erzählen?“ 

Einmal hat Robert Dornhelm einen „Tatort“ gedreht, und deshalb erlaubt sich Micki eine despektierliche Frage: „Die Kommissare in deutschen Krimis, auch in österreichischen … in den verschiedenen Sokos … die gehen in den Büros immer herum, auf und ab, hin und her und durch die Gänge des Kommissariats … wo sie sind, gehen sie und erklären uns die Handlung … Und dabei haben sie außerdem noch ständig eine Kaffeetasse in der Hand. Muss das sein? Humphrey Bogart mit einem Kaffeehäferl? Also bitte!“ 
Denn die Freunde bevorzugen Filme, die so zwischen 50 und 100 Jahre alt sind. In denen kommt es vor allem auf die Atmosphäre an. Das sei ihnen beiden am wichtigsten. Für Köhlmeiers „Roman einer Biografie“ gilt allemal: „Die Handlung soll nicht von der Atmosphäre ablenken!“ 

Dieser Artikel ist bereits in der Print-Ausgabe der KULTUR Oktober 2025 erschienen. Hier geht es zum E-Paper.

Michael Köhlmeier: Dornhelm. Roman einer Biografie. Paul Zsolnay Verlag, Wien 2025, 288 Seiten, Hardcover, ISBN: 978-3-552-07522-1, € 26,80

Veranstaltungstipp 
In der neuen Reihe des Literaturhauses Vorarlberg „Ob allein oder im Gespräch mit Gästen“ nimmt Michael Köhlmeier Themen in den Blick, die ihn beschäftigen.
Fr, 24.10., 19 Uhr – Michael Köhlmeier: Was sehe ich, wenn ich die Welt anschaue?
Literaturhaus Vorarlberg, Hohenems
www.literatur.ist

 

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